Rover 3500 S

Gentleman im Straßenanzug

So wie er da steht, ist er geradezu ein Musterbeispiel an Unauffälligkeit. Keine „aufregende" Linienführung, kein gewagtes Styling, kein Detail, das zu einem bewundernden „Aha!" verleiten würde. Das wird erst langsam anders, wenn man sich diesem Auto nähert. Da entdeckt man das Schildchen „3500 S", das dem Staunenden verrät, dass unter der Haube ein Dreieinhalb-Liter-Motor steckt. Und das Zeichen „V8" sagt darüber hinaus, dass man es mit einem ausgewachsenen Achtzylinder zu tun hat.

Und wer schließlich noch einen Schritt näher kommt und einen Blick auf die gesamte Innenausstattung wirft, ist vollends überzeugt, es hier mit einem automobilistischen Gentleman zu tun zu haben. Einem Gentleman im Straßenanzug gewissermaßen. Das ist der Rover 3500 S von British Leyland.

Was der Leser schon aus den ersten Sätzen geschlossen haben wird: Der Rover ist kein Auto für Angeber. Es gibt für 17.770 Mark - genau soviel kostet der Wagen - eine Reihe anderer Typen, die vor der Haustür entschieden mehr hermachen. Der Rover ist vielmehr etwas für Leute, die Spaß an unerhört kultiviertem Fahren haben, eine Zeitlang ganz anonym in der Masse „mitschwimmen" - und dann plötzlich nach einem kurzen Tip auf das Gaspedal auf und davon sind, staunende Zeitgenossen im Rückspiegel. Und das alles ohne beleidigt aufjaulenden Motor oder sonstige markige Geräusche - der Gentleman macht sich vornehm schnurrend einfach davon.

Blick unter die Motorhaube: Die 145-PS-Maschine flößt mit ihren gewaltigen Dimensionen Respekt ein; dennoch kommt man an die wichtigsten Wartungsorgane gut heran.

Ein wenig nachdenklicher stimmt zunächst der Blick unter die zweite Haube: Fast ein Drittel des Kofferraums wird von dem gewaltigen Reserverad beansprucht, das links stehend montiert ist. Aber für die Fahrt in den Urlaub gibt es gleich zwei Variationsmöglichkeiten: Das Rad verschwindet entweder in einer Aussparung im Kofferraumboden oder wird - wie in den Tagen der Altvorderen - mit wenigen Handgriffen von außen auf den Deckel geschraubt.

Bitte Platz zu nehmen - auf vier Sesseln, die an Komfort und Formgebung keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Das Lenkrad ist recht groß dimensioniert und dahinter macht sich eine Batterie von Armaturen, Schaltern und Hebeln breit, dass man vorsichtshalber erst einmal die Bedienungsanleitung befragt. Aber dann geht es mit der Gewöhnung doch recht schnell, stellt man überrascht fest, wie sinnvoll die Betätigungshebel und -schalter etwa für Licht, Heizung, Gebläse, Scheibenwischer und Choke angebracht sind, freut sich über eine ganze Reihe „mitdenkender" Signallampen, die auf die kleinste Unregelmäßigkeit im Autohaushalt hinweisen - und jeder Hebel, jede Taste ist auch vom angeschnallten Fahrer ohne große Verrenkungen zu erreichen.

Startschwierigkeiten gibt es auch nach durchfrorener Nacht mit extrem tiefen Außentemperaturen nicht. Choke gezogen, eine Schlüsselumdrehung - das Auto ist „da". Das unterkühlte Getriebe - und hier speziell der Rückwärtsgang - will zwar in den ersten Fahrminuten noch ein wenig nachdrücklich geschaltet werden, aber dann ist auch das vorbei, freut man sich über die exakten, kurzen Wege mit dem kleinen „Knüppel" auf dem Mitteltunnel. Inzwischen wird es im Innern - unterstützt durch ein stufenlos regulierbares Gebläse - mollig warm, gelbes Licht auf dem Armaturenbrett zeigt an, dass der Motor keinen Choke mehr braucht.

Die Lenkung geht sehr exakt und der erstaunlich geringe Wendekreis von nur 9,6 Metern sorgt dafür, dass man auch in der Innenstadt gut vorankommt. So lassen sich die 4,56 m Wagenlänge auch gut einparken, zumal sich nach hinten keine Orientierungsprobleme ergeben.

Freilich zeigt der Rover 3500 S erst als schnelle Reiselimousine, was in ihm steckt. Da ist der 1,3 Tonnen schwere Wagen innerhalb von 7,3 Sekunden „auf 80" und passiert bei knapp 11 Sekunden die Marke „100". „Voll durchgetreten" geht es bis über die 190 km/h hinaus. Hier allerdings macht sich dann - vor allem bei plötzlich auftretenden Waldschneisen - deutlich der Seitenwind bemerkbar. Worauf man gut daran tut, ohne alle anderen Korrekturen den Fuß vorübergehend vom Gaspedal zu nehmen, was den Wagen umgehend wieder brav werden läßt.

Von dieser Einschränkung abgesehen, gibt es keinerlei Probleme, auch nach längerer schneller Fahrt keine Ermüdungserscheinungen, fährt man erster Klasse auf sicheren Beinen. Und kann auch im oberen Geschwindigkeitsbereich noch Spaß am Radiohören haben, weil von dem 145pferdigen Achtzylinder kaum etwas im Wageninneren zu hören ist.

Für eine zusätzliche angenehme Überraschung sorgt schließlich der für einen Wagen dieser Hubraumklasse durchaus „zivile" Verbrauch von 15,5 Litern pro 100 km. Bei einer Verdichtung von 10,5:1 muß selbstverständlich Super gefahren werden.

Rheinische Post / Deutschland 6.1.1973

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