Auf dem richtigen Weg?

Interview aus dem Jahr 1971 mit dem Präsidenten von British Leyland, Lord Stokes

Die jüngsten Äußerungen Henry Fords über die Lage der englischen Automobilindustrie zeichneten ein düsteres Bild von den Problemen, denen sich Lord Stokes und British Leyland gegenüberstehen. Trotzdem hat der Mann, der vor knapp drei Jahren die Aufgabe übernahm, Leyland und die BMC zu einem der größten Konzerne der Welt zu verschmelzen, selten zuvor soviel Optimismus und Kampfgeist gezeigt.

„Die Leute begreifen im Grunde gar nicht, was wir uns vorgenommen haben. Unser Problem besteht darin, acht verschiedene Firmen unter einen Hut zu bringen, was wahrhaftig nicht einfach ist. Sie vergessen meistens auch, dass wir erst vor drei Jahren angefangen haben. Und seither sind wir schon ein großes Stück vorwärtsgekommen. Wir machen Fortschritte, wohin man schaut. Im letzten Steuerjahr verloren wir ca. 200.000 Wagen durch etliche Arbeitsniederlegungen; in den vergangenen sechs Monaten dagegen kaum einen einzigen. Es gibt weniger Streitigkeiten, und wir erreichen größere Zugeständnisse bei den Gewerkschaften. Unsere Arbeitskapazität ist nunmehr nahezu voll ausgelastet. Der Inlandsmarkt floriert ausgezeichnet, und der Ausbau unseres Vertriebs in Übersee hat große Fortschritte gemacht. Ausserdem können wir jetzt eine völlig neue Modellreihe vom Stapel lassen, das erste wirklich neue Produkt, das unter dem Banner von British Leyland entwickelt wurde. Nie zuvor war ich zuversichtlicher und zufriedener mit unseren Ergebnissen.“

Ford hat gerade einen langen und kostspieligen Streik hinter sich, und Henry Ford erklärte überdeutlich, dass seiner Meinung nach erfolgreiche Arbeit in England unmöglich sei. Man sagt, Sie hätten Mr. Ford´s Bemerkung als „unverschämt“ bezeichnet.

„Ich möchte mich nicht über die Äußerungen von Mr. Ford auslassen. Für mich jedenfalls hat unser Land eine große Zukunft. British Leyland produziert über eine Million Autos im Jahr und verkauft über die Hälfte davon ins Ausland. Das wäre nicht der Fall, wenn unsere Erzeugnisse nicht gut wären. Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir eine Neigung haben, uns gerne schlechter zu machen als wir sind. Dauernd reden die Leute über unsere Arbeitsschwierigkeiten - aber wer redet über den furchtbaren Streik bei General Motors im letzten Jahr, über den letzten Streik bei American Motors, die Krise in Frankreich 1968, oder über die Probleme, die Fiat nun seit zwei Jahren hat? Der Grund für die Schwierigkeiten in unserem Land sind nicht die Gewerkschaften, Schwierigkeiten macht lediglich die Tatsache, dass wir eine sehr freie demokratische Gesellschaft sind und einige Elemente übrigbehalten haben, die das ganze System negativ beeinflussen. Wenigstens bringen wir es fertig, freundschaftlich miteinander zu reden, uns an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln, während andere die gewalttätigsten Streiks durchmachen. Ein wesentlicher Fortschritt ist uns damit gelungen, dass wir die nach Stückeinheiten bezahlte Arbeit im Morris-Zweigwerk Cowley und bei Rover abschaffen konnten. Hierdurch sind wir in der Lage, neue Modelle einzuführen oder auf dem Fließband Typen miteinander zu kombinieren, ohne andauernd über Stücklöhne diskutieren zu müssen. Dadurch erreichen wir ausser einem ruhigen Arbeitsablauf auch eine größere Flexibilität - kurz: einen höheren Wirkungsgrad.“

Dessen ungeachtet haben sich die Schwierigkeiten der letzten Zeit für Sie als recht kostspielig erwiesen. Ihre Gewinne zeigten im letzten Jahr eine deutliche Abwärtstendenz. Ihre Position auf dem europäischen Markt wurde geschwächt, während die Importwagen auf ihrem heimischen Markt stärker an Boden gewannen.

„Richtig, die Profite sind gesunken - aber nicht nur bei uns. Wir machen immer noch mehr Gewinn als zum Beispiel Fiat im vergangenen Jahr und wir hoffen, dass die Ergebnisse des laufenden Jahres noch entschieden günstiger ausfallen. Und was die Importe angeht - ich halte einen Marktanteil der Importwagen von 15 bis 17 Prozent nicht für zu hoch. In den EWG-Ländern liegt dieser Anteil um die 25 Prozent. Auf einen ähnlichen Wert wird er sich auch in Großbritannien einpendeln, falls wir dem Gemeinsamen Markt beitreten. Ich bin überzeugt, dass die Importeure auf unserer Insel kein besseres Geschäft machen werden als im übrigen Europa, auch jetzt schon sind ihre Preise dem Preisniveau unseres Marktes angepasst und sie werden wohl nicht viel besser abschneiden, wenn die letzten Zollschranken fallen. Ich möchte auch betonen, dass allein British Leyland im letzten Jahr mehr Autos exportiert hat als ganz Großbritannien importiert hat. Unsere Pläne zielen darauf ab, den Export nach Europa immer mehr auszuweiten. Die erste Stufe unserer Neuorganisation auf dem Festland ist bereits erfolgreich abgeschlossen: Alle unsere Vertragshändler arbeiten jetzt unter dem British Leyland-Zeichen und unsere Bemühungen zahlen sich zum Teil schon aus, wie zum Beispiel in Österreich und Norwegen, wo die Neuordnung bereits seit einem Jahr in Kraft ist. Natürlich lässt sich nicht vermeiden, dass zeitweilig die Verkäufe zurückgehen, wenn man verschiedene Vertriebs- und Kundendienstnetze miteinander verknüpft; es gibt zwangsläufig eine Phase der Unsicherheit. Wir glauben jedoch, dass wir den kritischen Punkt schon überwunden haben: In den Vereinigten Staaten und Europa sind unsere Verkäufe wertmäßig um nahezu 30 Prozent und nach Stückzahlen um 20 Prozent gestiegen. Wir planen für das Jahr 1975 eine Produktion von 1,5 Millionen Autos (gegenüber den gegenwärtigen 1,2 Millionen) und wollen davon rund 500.000 in europäische Länder exportieren.“

Dies setzt natürlich voraus, dass England dem Gemeinsamen Markt beitritt. Man hat jedoch den Eindruck, dass immer mehr Leute in Großbritannien gegen die Aufnahme in die EWG sind. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 59 Prozent der Engländer die EWG ablehnen.

„Es steht außer Frage, dass die verantwortungsbewussten Menschen in unserem Land ihre Ansicht hierüber nicht geändert haben: Sie wünschen nach wie vor den Beitritt zur EWG. Dieser Beitritt wäre möglicherweise das wichtigste politische Ereignis des Jahrhunderts und wir haben kein Recht, die Gelegenheit dazu zu versäumen. Verständlich ist andererseits auch, dass so mancher in England verärgert ist über die widerstrebende Haltung einiger potentieller Partner. Wir sind eine willige Braut, aber wir würden gerne auch beim Bräutigam etwas mehr Begeisterung sehen. Wenn man dabei ist, in einen Club einzutreten, hat man gern das Gefühl, erwünscht und willkommen zu sein. Sonst sagt man sich schließlich ´zum Teufel mit dem ganzen Kram´. Wir sind ein stolzes Volk und glauben, eine ganze Menge in die Liaison einbringen zu können. Unsere künftigen Partner sollten ein klein wenig mehr geben und nicht nur nehmen wollen.“

Da wir gerade von Partnerschaft sprechen: Sie sind mehrfach für internationale Verbindungen zwischen British Leyland und kontinentalen Automobilherstellern eingetreten. Bislang scheinen Sie nicht viel Gegenliebe gefunden zu haben.

„Zunächst möchte ich feststellen, dass wir bereits mit europäischen Konkurrenten zusammenarbeiten. Zum Beispiel fertigen wir für Renault Blechteile für R 8, R 10  und R 12. Außerdem bin ich überzeugt, dass es in Zukunft immer mehr Verbindungen zwischen den einzelnen Firmen geben wird. Im Augenblick haben wir selbst jedoch noch genug damit zu tun, unsere eigenen Unternehmen in Großbritannien zu koordinieren. Das muss unser erstes Ziel sein; internationale Fäden zu knüpfen, ist dann eine Aufgabe für später.“

Sie arbeiten auf dem Kontinent eng mit Innocenti in Italien zusammen; man hört jedoch, dass Innocenti möglicherweise von Alfa Romeo aufgekauft werden könnte - oder möglicherweise auch von British Leyland.

„Wenn ich über den Kauf einer ausländischen Firma verhandeln würde, dann würde ich es bestimmt nicht in die Zeitung setzen. Unser Arrangement mit Innocenti wird vorerst jedenfalls beibehalten. Wir streben ab 1975 eine jährliche Produktion von 80.000 Wagen in Italien an. Die Gespräche zwischen Alfa und Innocenti sind übrigens, soviel wir wissen, zur Zeit stark verflacht.“

Um das Kapitel Fusionsgespräche abzurunden: Inwieweit hat Ihr Unternehmen Interesse am Erwerb der Rolls Royce-Automobilproduktion?

„Wenn Rolls Royce zu haben wäre, würden wir uns selbstverständlich mit der Frage befassen. Aber offen gestanden, besonders begeistert wären wir von so einem Kauf nicht. Wir möchten unsere gesamten technischen Möglichkeiten einsetzen, um mehr Autos für die Masse zu bauen - und nicht nur zwanzig Wagen pro Woche. Wir müssen die Ergebnisse unserer Forschungsarbeiten auf Gebieten wie zum Beispiel der Abgasentgiftung einer möglichst großen Zahl von Autos zugute kommen lassen. In einem kleinen Unternehmen wie Rolls Royce stehen die Entwicklungskosten pro Wagen in keinem gesunden Verhältnis mehr zu der Anzahl der produzierten Fahrzeuge - gleichgültig, wie viel man für jeden Wagen erhält. Die Lösung für die Zukunft liegt darin, die technische Weiterentwicklung auf wesentliche Probleme zu konzentrieren und die dabei erzielten Ergebnisse auf Großserienprodukte zu übertragen. Für kleine Firmen ist es einfach unmöglich, entsprechend vernünftig zu arbeiten.“

Einen anderen Weg in die Zukunft sieht British Leyland offensichtlich in der Produktion konventioneller, billiger Großserienfahrzeuge vom Schlage des Marina, Cortina oder Avenger. Was den Marina betrifft, so sieht es so aus, als ob ganz British Leyland plötzlich amerikanisch geworden sei.

„Das ist ganz sicher nicht der Fall, aber es steht jedem frei, unseren neuen Wagen so zu empfinden. Das war Absicht. In gewissen Klassen war die Gruppe Austin-Morris schon bisher sehr stark: Wir sind immer noch marktführend mit unserem 12 Jahre alten Mini und der 1100/1300-Baureihe. Auch für Wagen wie Triumph, Rover und Jaguar gibt es wenig Konkurrenz. In der am schnellsten sich ausweitenden Klasse jedoch ist unsere Gesellschaft unterrepräsentiert, und zwar bei den verhältnismäßig orthodoxen, konventionellen Wagen wie Cortina, Vauxhall und Avenger. Wir brauchten ein gut aussehendes, sparsames Auto für Familien und Normalverbraucher. Nichts dergleichen hatten wir auf Lager. Wir beschlossen daher, so ein Auto zu entwickeln, sobald der Zusammenschluss von British Leyland perfekt war, und wir nahmen uns vor, den Wagen in zweieinhalb Jahren zur Produktionsreife zu bringen, wofür man normalerweise dreieinhalb bis vier Jahre veranschlagt. Jetzt haben wir ein neues Typenprogramm, das wir schon lange hätten haben müssen,, um wirklich konkurrenzfähig zu sein. Es mag durchaus sein, dass der Marina nicht sonderlich originell ist - aber er ist vernünftig; ein Wagen, der genau der Marktnachfrage entspricht und der British Leyland Gewinn bringen wird. Er wird billiger als vergleichbare Autos sein und, davon sind wir überzeugt, besser, zuverlässiger und leichter zu warten sein. Gerade diese Punkte sind die wichtigsten Argumente für Normalverbraucher, auf welche 40 Prozent aller Verkäufe in dieser wichtigen Klasse entfallen. Es war eines unserer Hauptprobleme, die richtigen Wagentypen für unser neues Programm zu finden - der Marina ist nur einer von ihnen. Wir haben noch mehr in petto, sowohl konventionelle als auch anspruchsvolle Modelle.“

Es gab wiederholt Gerüchte über eine mögliche Verstaatlichung von British Leyland.

„Ich sehe keinen Grund, warum so etwas jemals geschehen sollte. Wir bekamen lediglich zwei Kredite von der Regierung: 25 Millionen Pfund zum Zeitpunkt der Fusionierung und 10 Millionen Pfund als Teil einer allgemeinen Unterstützung der Metallindustrie. Im gleichen Zeitraum investierten wir 170 Millionen Pfund in unsere Unternehmen. Wir produzierten eine Reihe neuer Modelle wie zum Beispiel den Range Rover, den Jaguar V12. Wir mussten außerdem sehr viel neu organisieren und sehr stark rationalisieren. Wenn man all das durchführt, was wir bereits durchgeführt haben, muss man mit einem kurzfristigen Knick nach unten in der Gewinnkurve rechnen. Aber von jetzt an geht es aufwärts.“

Was war das Positivste in der Geschichte von British Leyland?

„Ihre Gründung. Sie hätte bereits viel früher erfolgen sollen; das hätte manches leichter gemacht.“

Und was war dann das Schlimmste?

„Gerade als wir anfangen wollten, trafen uns zwei Schläge besonders hart: die Arbeitskämpfe und Streiks sowie die Inflation. Ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken an eine jährliche Inflationsrate von 12 bis 14 Prozent abfinden. Ein Grund mehr für Großbritannien, dem Gemeinsamen Markt beizutreten; Deutschland, Frankreich und England zusammen könnten sicherlich eine vernünftige Finanz- und Steuerpolitik durchsetzen.“

Luftverschmutzung und Sicherheitsnormen werfen weitere Probleme für die Autohersteller auf, auch die Möglichkeit einer Abkühlung der derzeit heißen Liebe zum Automobil muss in Erwägung gezogen werden. Wie könnte der Wagen der Zukunft aussehen, und wie wird die Stellung des Automobils in den achtziger Jahren sein?

„Das ist zweifelsohne eine sehr komplexe und schwierige Frage. Auf jeden Fall stellt das Thema Luftverschmutzung ein Hauptproblem dar. Die giftigen Abgase müssen verringert werden, und das machen wir bereits. Aber wir müssen auch klarstellen, dass Autos weder den einzigen noch den größten Verschmutzungsfaktor in unserer Gesellschaft darstellen. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Hexenjagd auf die Autoindustrie kommt. Es besteht nämlich die Gefahr, dass Politiker die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen ablenken wollen. Eine Gefahr liegt auch in der Art und Weise, wie man in Amerika den Leuten etwas in punkto Sicherheit einzureden versucht. Das Auto zu sicher zu machen, könnte letzten Endes sogar ins Gegenteil umschlagen: Wenn wir anfangen, Panzer zu bauen statt Autos, hetzen wir die Leute geradezu aufeinander, und sie verlieren die Furcht vor Unfällen. Und das könnte sehr gefährlich werden. Ich hoffe, dass man im Laufe der Zeit vernünftig über diese Dinge denkt. In diesem Fall wird die ´Liebe zum Auto´ noch lange währen. Sicher, das Auto hat Konkurrenten; aber wir können nicht nur in den Größenordnungen reicher Leute denken. Für die breite Masse wird der Besitz eines Wagens erst jetzt richtig realisierbar. Heute bereits den Wagen der achtziger Jahre zu beschreiben, ist klarerweise unmöglich; ich glaube jedoch, dass die Tage der besonders exotischen Autos gezählt sind. Die Größe der Wagen wird wohl auf ein handliches Format schrumpfen, Beschleunigung und Straßenlage werden besser werden. Man wird elegante, kleinere Wagen verlangen, möglicherweise in der Mittelklasse zwischen 1,3 und 1,8 Litern.“

Hat der europäische Beobachter recht, der kürzlich festgestellt hat, dass Großbritannien im Vergleich zu anderen Ländern „zwar immer noch am besten zu leben versteht, aber nicht zu arbeiten“?

„Gewiss haben wir die feinste Lebensart. Aber wir arbeiten auch. Wir geben uns gern ein bisschen lässig, weil wir ungern zugestehen, dass wir genauso schwer arbeiten wie andere Völker. Aber wir tun es. Wir sind genauso leistungsstark wie andere; das einzige, was uns bislang möglicherweise gefehlt hat, waren genügend Investitionen. British Leyland jedenfalls ist jetzt auf dem richtigen Weg.“

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