Rover P6
Keine halben
Sachen
Beatles, Bond-Filme, Mini-berockte Beine - die Briten hatten in den
Sechzigern eine Menge zu bieten. Natürlich auch richtig gediegene Autos.
Eines der fortschrittlichsten war der Rover P6.
Nun assoziieren wir seit den Zeiten von
"British Elend" Fortschritt nicht mehr unbedingt mit Autos aus dem Land
des Fünf-Uhr-Tees. Aber 1963, als der Rover P6 erschien, war "Made in
Britain" noch ein Qualitätsbegriff. Erst am Ende seiner fast
vierzehnjährigen Bauzeit hieß es unisono: "Gott schütze uns vor Sturm
und Wind und Autos, die aus England sind". Eines gleich vorweg: Die
Schuld des Rover war es nicht.
In den sechziger Jahren war aus dem Empire
mittlerweile ein modernes Commonwealth of Nations geworden. Musikalische
Auftritte von John, Paul, George und Ringo lösten bei Backfischen
Kreischattacken aus, ein Schotte namens Sean Connery rettete die Welt
vor bösen Buben, und Mary Quant präsentierte ein Kleidungsstück, das mit
wenig Stoff auskam - den Mini ...
Wie richtungsweisend indes der gleichnamige
Winzling von Austin Morris tatsächlich war, war vielen damals noch nicht
klar. In der Formel 1 machte Colin Chapman mit seinem Monocoque-Lotus
von sich reden. Und bei Rover in Solihull krönten sie die seit gut 15
Jahren vorangetriebene Gasturbinen-Entwicklung mit einem Einsatz in Le
Mans, wenn auch zunächst außer Konkurrenz.
Ausgerechnet Rover! Die einst in Coventry
gegründete Fahrradfabrik hatte sich 1904 dem Automobilbau zugewandt. Die
Stückzahlen blieben überschaubar, die Fahrzeuge waren konservativ,
erzsolide und erarbeiteten sich ein Image als "Rolls-Royce des kleinen
Mannes", wozu die Wilks-Brüder Spencer und Maurice an der
Unternehmensspitze maßgeblich beitrugen. In den Fünfzigern bestand das
Rover-Programm aus dem Tantchen P4 ("Auntie") sowie dem größeren P5 mit
Dreiliter-Sechszylinder ("Elephant"). Dazu kam noch der Land Rover, der
sich als Überraschungserfolg erwies. Das war die Ausgangslage, als im
Herbst 1963 der P6 in Gestalt des Rover 2000 erschien. Ein mutiges Auto:
Außen kompakt und klar gezeichnet, ausgestattet mit modernen
Sicherheitsfeatures sowie einem ausgezeichneten Fahrwerk voller
ungewöhnlicher Lösungen, krempelte er das leicht angestaubte Markenimage
gehörig um. Tantchen brauchte erst mal Riechsalz ...
Einen ersten Vorgeschmack hat zwei Jahre
zuvor schon der Turbinen-Prototyp T4 gegeben, dem der 2000 äußerlich im
Grunde bis auf die Frontpartie entspricht. "Rover engineering takes
motoring years ahead" - so viel Fortschritt ist der alten Kundschaft
erst mal suspekt. Aber schließlich soll der fahraktive P6 auch die
jüngere, gutbetuchte Mittelschicht ansprechen. Dabei hatte der neue
2000er-Rover "nur" einen Vierzylinder unter der Haube, ein zeitgemäßes
ohc-Aggregat mit halbkugelförmigen Brennräumen in den Kolben
("Heron"-Prinzip), das sich mit seinen 90 PS vor der Konkurrenz nicht
fürchten musste. Der Achtzylinder, mit dem der P6 sich endgültig in die
Herzen der Fans katapultierte, kam erst fünf Jahre später. Doch der
Reihe nach.
Die Teams von Chefkonstrukteur Robert Boyle
und Forschungschef Gordon Bashford haben beim 2000er ganze Arbeit
geleistet. Ebenfalls involviert ist die Gasturbinen-Abteilung unter Spen
King, der das neue Modell mit der zukunftsweisenden Antriebstechnik
kombinieren soll (woraus dann besagter T4 entsteht). Ein ambitioniertes
Programm - schließlich steht in den Rover-Ingenieurbüros für alle
sichtbar der Leitspruch: "Nur die besten Lösungen sind keine halben
Lösungen". Dank der guten Land Rover-Vekäufe ist genug Geld in der
Kasse, um in Ruhe neue Ideen auszutüfteln - ein Luxus, der dem anfangs
ziemlich bockigen P6 am Ende guttut. Chefstylist David Bache hätte sich
darüber hinaus ein radikaleres Äußeres gewünscht, aber Maurice Wilks
will die konservative Stammklientel nicht verschrecken: "Er dachte, die
Leute würden das nicht mögen", erinnert sich Spen King später. Frühe
P6-Prototypen hätten durchaus aus der Feder von Flaminio Bertoni stammen
können, dem Citroen DS-Schöpfer. Und das nicht nur äußerlich: Der Rover
hat, wie die DS, ein Stahlskelett mit verschraubten Karosserieblechen,
was Reparaturarbeiten erleichtert.
Allerlei eigenwillige Lösungen lassen sich
die Ingenieure für das Fahrwerk einfallen, der Rover 2000 gleitet zwar
nicht so sänftenartig wie die DS dahin, aber er ist ein agiles Auto,
prädestiniert für die gerade neu entstehenden Motorways. Zu nennen sind
etwa die horizontal in den Radkästen angeordneten Schraubenfedern der
Vorderradaufhängung, die auch zum kleinen Wendekreis des Wagens
beitragen. Oder die hintere De-Dion-Achse, die strenggenommen gar keine
ist. Das üblicherweise bei dieser Konstruktion starre Achsrohr ist
zusammenschiebbar und sorgt so für Sturzkonstanz der Hinterräder. Die
Rover-Entwickler scheren sich jedoch nicht um akademische
Terminus-technicus-Finessen und schaffen geradezu unenglische
Aufhängungen. Fast schon nicht mehr der Rede wert sind die
Scheibenbremsen - wieder so ein unter maßgeblicher britischer
Beteiligung entstandenes Technik-Goodie - an allen vier Rädern,
natürlich servounterstützt. Dass das Auto nur ein Einkreissystem hat,
ist da zu verschmerzen.
Großes Augenmerk legen Bashfords Leute auf
passive Sicherheit und stehen dabei ihren Kollegen von Volvo oder
Daimler-Benz in nichts nach: Im P6-Innenraum, der aus einer stabilen
Fahrgastzelle nach Stuttgarter Vorbild besteht, sollen ein gepolstertes
Armaturenbrett sowie eine Sicherheitslenksäule die Verletzungsgefahr
minimieren. Der Tank ist aufprallgeschützt zwischen den Hinterrädern
angeordnet - allerdings zu Lasten des Kofferraums. Serienmäßig gibt es
für Fahrer und Beifahrer Sicherheitsgurte. Für unkomplizierte Bedienung
sorgen im geschmackvoll mit Ledersitzen (später gibt es auch
Stoffbezüge) eingerichteten Innenraum durchdacht angeordnete Hebel und
Schalter. Autojournalisten zollen den Sicherheitseinrichtungen einhellig
Lob, 1964 wird der Rover 2000 zum ersten "Auto des Jahres" gewählt.
Auch Handling und Fahrkomfort finden
Beifall. Selbst für heutige Verhältnisse ist das Fahrverhalten
bemerkenswert modern, insbesondere für eine 50 Jahre alte Konstruktion!
Reinhard Seiffert erkennt schon in auto motor und sport 4/1965
unumwunden an, dass der Wagen "liebevoll konzipiert" worden ist.
Allerdings stellt er auch fest, dass "bei sonst ausgezeichneten
Fahreigenschaften" der Rover "eine Neigung zu plötzlichem Ausbrechen der
Hinterräder im Grenzbereich" entwickle - zumindest mit den sensiblen
Pirellis. Werksfahrer Roger Clark hingegen ist bei seinen Einsätzen
hochzufrieden mit dem seiner Meinung nach gut kontrollierbaren
Fahrverhalten im Grenzbereich. Er und Jim Porter gewinnen 1965 mit einem
2000 bei der "Monte" sogar ihre Klasse. Den Gesamtsieg holt freilich -
ein Mini.
In Sachen Fahrdynamik ziehen Zeitgenossen
gerne Vergleiche mit BMW und Lancia. Das leicht brummige Motorengeräusch
trägt ebenfalls zu dieser Assoziation bei und auch in puncto
Individualität passt das Bild. Das alles hat seinen Preis: Der Rover
2000 kostet damals 1264 Pfund, 9 Schilling und 7 Pence und liegt damit
preislich über vergleichbaren Massenmodellen von BMC, Rootes oder Ford -
aber immerhin deutlich unterhalb eines Jaguar.
Kinderkrankheiten bleiben der
Neukonstruktion freilich nicht erspart: Herausspringende Gänge und
ähnliche Malaisen - ungewohnt für die alte Rover-Stammklientel - kriegt
die Firma aber bald in den Griff. Kritik muss der P6 aber zeitlebens
aufgrund seines knappen Platzangebots einstecken. Er ist nur als
Viersitzer ausgelegt, bei weit zurückgeschobenen Vordersitzen wird
hinten der Beinraum knapp. Vor allem aber ist das Gepäckabteil zu klein,
das sich die Golfausrüstung noch mit dem Reserverad (und später auch
noch mit der Batterie) teilen muß. Rover nimmt von Anfang an diverse
Anläufe zur Lösung des Problems bis hin zur Ersatzrad-Montage auf dem
Kofferdeckel, überzeugend ist aber keine Version. Und einen P6-Kombi hat
es werksseitig nie gegeben. Das überlässt Rover Spezialkarossiers wie
FLM Panelcraft, ebenso wie es auch vereinzelt Cabrios sowie Coupés und
selbst ein Landaulet auf P6-Basis gibt.
Als die Konkurrenz speziell von Triumph -
mit der die Firma bald auch noch unter einem Dach vereint sein wird -
dank günstiger Preise immer mehr an Boden gewinnt, verpasst Rover dem
2000 einen zusätzlichen SU-Vergaser, um die PS-Ausbeute zu steigern. Der
TC (twin carburettor) ist geboren, der Einfachvergaser-2000 wird zum SC
(single carburettor). Außerdem gibt´s letzteren nun auch mit einer
generell als Sedativum empfundenen Automatik.
Während dessen hat William Martin-Hurst,
Maurice Wilks´ Nachfolger auf dem Rover-Chefsessel, einen Deal mit
General Motors ausgehandelt: Rover sichert sich den gegenüber dem
Vierzylinder nur wenig schwereren Leichtmetall-V8 von Buick. Die Briten
können so das Problem, ihrer Limousine einen stärkeren Motor zu
verpassen, auf elegante Weise lösen. Technikdirektor Peter Wilks, ein
Neffe der eingangs erwähnten Wilks-Brüder, ist gegenüber Martin-Hurst
nach einer Testfahrt mit einem V8-befeuerten P6-Prototypen jedenfalls
hin und weg: "William, was ist das denn? Das ist der erste Rover, den
ich fahre, der nicht untermotorisiert ist".
Zunächst darf sich das gründlich
überarbeitete US-Triebwerk ein halbes Jahr lang im größeren P5 bewähren,
bevor es im P6B (B für Buick) debütiert. Schon seit 1963 laufen Versuche
mit Reihensechszylindern im P6, doch sehen die Prototypen mit ihren nach
vorne verlängerten Kühlergesichtern aus wie Nasenbären, selbst
Fünfzylinder sind noch zu lang. Da für die Antriebsaggregate des vom P6
abgeleiteten Frontantriebs-Turbinenwagens T4 seinerzeit genügend Raum in
der Breite gelassen worden ist, findet der V8 jetzt ausreichend Platz im
Motorabteil des 2000 - der so zum 3500 wird. Kurz vor dessen Debüt
feiert Rover im Februar 1968 den Bandablauf des 100.000sten P6. Die
Segel des stolzen Wikingerschiffs im Kühleremblem scheinen sich mit
einem Mal ganz weit aufzuplustern.
Fahrdynamische Reserven für die vor allem in
Sachen Drehmoment doppelt so starke V8-Maschine hat der Wagen von Haus
aus mitbekommen. Aus 90 PS sind gut 150 geworden - je nach Ausführung
und Bestimmungsland gibt es differierende Angaben zur P6-Technik. Statt
15,7 mkg bei 2750 U/min zerren jetzt 30 mkg bei 3000 Touren an der
Hinterachse - weswegen der "Three Thousand Five", wie er anfangs heißt,
zunächst nur mit einer Borg Warner-Automatik zu haben ist. Ein
Schaltgetriebe, das die Werte samt halbwegs wadenschonender Kupplung
verkraftet, steht erst ab 1971 zur Verfügung. Dank Vinyldach und
schicken Felgen macht dieser "3500 S" dann auch optisch einen sportiven
Eindruck.
Mit 1830 Pfund liegt Rovers neuer
Dreieinhalbliter preislich über der auslaufenden Jaguar Mk2-Baureihe,
aber unterhalb des neuen XJ6 - wobei sich der neue BLMC-Konzern nach dem
großen britischen Fusions-Rundumschlag Wettbewerb im eigenen Haus
schafft. Bald kommt der V8 auch in Rover-Geländewagen zum Einsatz, und
die Kollegen von MG und Triumph greifen ebenfalls gerne zu. Dazu werden
zwei P6B-Prototypen von British Leylands Sportabteilung zu
Viereinhalbliter-Monstern für Tourenwagenrennen umgebaut.
Mit dem 3500 pflegen Rover-Kunden nun
Understatement pur, äußerlich fällt gegenüber dem Vierzylinder praktisch
nur die größere Luftöffnung an der Frontschürze auf. Dem P6B wird hohe
Fahrsicherheit attestiert, es ist auch keine Rede mehr vom plötzlich im
Grenzbereich ausbrechenden Heck. Gut, die Lenkung geht im Stand etwas
schwerer, der Verbrauch ist höher. Und Kollege Seiffert merkt in ams
19/1969 - Neil Armstrong hat soeben als erster Mensch den Erdtrabanten
betreten - zur mittlerweile "ein wenig verschroben und altbacken"
wirkenden Karosserie an, dass sie "den monderfahrenen Menschen von heute
wie eine Erinnerung aus alter Zeit" anmute ... Geschmack im Wandel der
Epochen: Im Jahr 2014 macht gerade diese Hülle aus dem P6 einen
Klassiker wie "Dinner for one" oder "Miss Marple" mit Margaret
Rutherford.
Unaufdringlich und laufruhig schiebt der
moderne, mit Hydrostößeln operierende V8 den kompakten Briten vorwärts.
Welches Potential in dem Triebwerk noch steckt, machen auch
Sportwagenhersteller von Morgan bis TVR klar, die das kräftige
Alu-Aggregat jahrzehntelang nutzen. Mit dem temperamentvollen
Buick-Motor hat der P6 in den Augen vieler Rover-Freunde einen
angemessenen Antrieb gefunden. Enttäuschend wie ehedem bleibt hingegen
die Resonanz in Amerika, 1971 zieht sich die Firma vom US-Markt zurück.
Im Jahr zuvor erhielt der P6 ein Facelift -
erkennbar am "Honigwaben"-Kühlergrill. Bei der Gelegenheit ersetzen
stilvolle Rundinstrumente den nicht ganz spiegelfreien Bandtacho. Die
letzte größere Revision der Baureihe erfolgt schließlich 1973, als die
Vierzylinderversionen auf 2,2 Liter aufgebohrt werden, für mehr Kraft
aus dem Keller. Ein großes Problem sind inzwischen jedoch die unter
British Leyland-Ägide zunehmenden Qualitätsprobleme. In den Sechzigern
hat die britische Regierung die einheimischen Hersteller zum
Zusammenschluss gedrängt. Der Reigen beginnt, als die von Austin, Morris
und weiteren getragene British Motor Corporation (BMC) 1965 die Firma
Pressed Steel übernimmt - Rovers Karosserielieferanten. Rover wiederum
übernimmt Alvis, um Engpässen vorzubeugen. 1967 schließlich fusioniert
Rover mit der Leyland Group, bestehend aus Standard-Triumph und diversen
Nutzfahrzeugbauern. Im Jahr darauf folgt der Zusammenschluss Leylands
und der British Motor Holding (BMC mit Jaguar/Daimler). Die nunmehrige
British Leyland Motor Corporation (BLMC) scheint gut gewappnet nach dem
Motto "too big to fail".
Doch das hat schon zu Beginn der Siebziger
nicht funktioniert: Fehlentscheidungen und Eifersüchteleien unter den
Konzernmarken schlagen Schneisen in die Motivation der Belegschaft,
nicht nur bei Rover. Qualitätsprobleme häufen sich, hinzu kommen
Streikwellen, die Ölkrise, eine hohe Inflation sowie Konkurrenz - vor
allem aus Japan - bei ständig sinkender Exportnachfrage.
In Ehren ergraut und mit einer fast
15-jährigen Bauzeit (von den ersten Vorserienwagen Anfang 1963 bis zu
den letzten Exemplaren im März 1977) gesegnet, hätte der P6 ein besseres
Ende verdient. Einst bekam der Rover 2000 für seine Sicherheitsmerkmale
die Goldmedaille des britischen Automobilclubs AA. 1975 bekommt ein 3500
den "AA´s Square Wheel Award" - was der "Silbernen Zitrone" des ADAC
entspricht. Rover war endgültig im British Elend angekommen.
Oldtimer Markt / Deutschland 2014
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