Rover 3500 V8
Nur Eingeweihte unterscheiden
ihn auf den ersten Blick von seinen schmalbrüstigeren, schwächeren Brüdern,
den 2000ern. Er ist ein echter Engländer. Vielleicht einer der wenigen, denen
man dieses Attribut auch noch im ursprünglichen Sinne geben darf. Freilich ist
auch bei ihm einiges von der modernen englischen Arbeitsmentalität zu sehen und
zu spüren. Ihre Lordschaft haben nicht mehr erstes Personal.
Trotzdem, sieht man über diese
scheinbar unumgänglichen englischen Schwächen hinweg, bietet sich mit dem
3,5-Liter-Rover ein Auto dar, das man mit den exklusivsten Wagen ruhig in einen
Topf werfen kann.
Schon von seiner Form her
ruhig, eher unterspielend und doch hervorstechend, ist er ein Automobil, das auf
eine bestimmte Käuferschicht abgestimmt ist. Auf den erfolgreichen Mann, der
seine Sturm- und Drangperiode schon hinter sich gebracht, seinen Weg gemacht hat
und nun im Zenit seines Lebens stehend, sich den Wagen kauft, der ihm Spaß
macht. Die einen steigen da auf einen teuren Sportwagen um, andere gefallen sich
in Riesenschlitten und die Dritten suchen die Exklusivität im Understatement.
Und das finden sie bei den
englischen Repräsentationslimousinen. Unser Rover ist wohl die billigste davon,
wenn man bei diesen Preisen noch von billig sprechen kann.
Bei unserem Testwagen hat man
das Understatement so weit getrieben, dass man ihm eine Tarnfarbe gegeben hat -
also so müsste ich ihn nicht haben. Aber abgesehen von der Farbe ist am Auto
wirklich nichts auszusetzen.
Schon bevor man seinen Popo
noch in die ausgezeichneten Fauteuils pflanzt, umfängt einen schon der Hauch
der englischen Welt. Der Duft echten Leders, mit dem die Fastschalensitze
bezogen sind.
Die zweite Feststellung, die
man macht, ist, dass der Innenraum keineswegs verschwenderisch groß geraten ist
- er ist fast maßgeschneidert für vier Personen, die allerdings sehr bequem
sitzen können. Diese Kompaktheit der Passagierzelle wird noch optisch
unterstrichen durch die als Prallplatte ausgebildeten riesigen Handschuhfächer,
die vom Fußraum schräg bis zum Armaturenbrett reichen, durch die üppige
Tapezierung und die überdimensional tiefen Kopfstützen. Von den Teppichen bis
zum Himmel atmet alles Konservativismus im guten Sinne zur Potenz erhoben. Es
ist daher selbstverständlich, dass sich das reichhaltigst instrumentierte
Armaturenbrett etwas verschämt unter einem dicken Wulst verbirgt und so beim
ersten Augenschein nicht die Beachtung erringt, die es verdienen würde. Nur dem
Fahrer dämmert so nach und nach, wie überkomplett man ihn informiert und erst
bei Nacht, wenn er sich von grün glimmenden Anzeigegeräten umgeben sieht, ihn
fast das Gefühl beschleicht, in einem Flugzeugcockpit zu sitzen, erst dann
erkennt er in vollem Umfang die Akribie, mit der die Engländer hier vorgegangen
sind.
So tadellos die
Anzeigeinstrumente sind, so konservativ und unpraktisch sind die Schalter rechts
neben dem Lenkrad am Armaturenbrett angeordnet. Es handelt sich dabei um den
Licht-, den Scheibenwischer- und -wascher- und den Innenbeleuchtungsschalter.
Sie sind Drehschalter, und man kann mit ihnen jede Menge Stücke spielen - wenn
man sie einmal gefunden hat. Ein echtes Gustostückerl ist der
Wischerintervallschalter, bei dem man mit einem zweiten Rädchen auch die
Wischerintervalle verändern kann. Schlecht ist der Scheibenwaschschalter, der
durch Drücken des Wischerschalters bedient wird - Wisch-Wasch-Automatik gibt es
nicht.
Die Heizung und Lüftung
funktioniert tadellos, auch die Scheiben werden stets beschlagfrei gehalten, und
die Heckscheibe kann beheizt werden. Nur will die Bedienung der Schalter und
Hebel erst gelernt sein. Wie überhaupt man bei Rover nicht viel von
Arbeitserleichterung für den Fahrer hält - aber vielleicht machen gerade diese
vielen Instrumente, Hebelchen und Schalter einen Teil des Reizes aus, dem der
Roverfahrer zweifellos unterliegt.
Für jeden gibt es im Rover die
richtige Sitzposition, und wenn die Sitzverstellung nicht mehr ausreichen
sollte, dann kann man noch das Lenkrad verstellen (näher zum Fahrer oder weiter
weg). Nicht verstellen kann man das Wischerfeld, auch wenn man es noch so sehr wünschte,
denn es ist viel zu klein. Eine gute Idee, aus der Not geboren, ist die Möglichkeit,
das Reserverad außen auf dem Kofferraumdeckel anzubringen. Und das wird bei
einer Urlaubsfahrt unbedingt notwendig sein, denn wenn auch der Kofferraum sehr
groß ist (vor allem sehr hoch), so nimmt das Reserverad doch etwa ein Drittel
des Volumens weg, und was übrig bleibt ist dann noch schlecht zu beladen. Auch
eine etwas gehobenere Ausstattung des Kofferraumes würde man sich wünschen. So
wie es sich eben für Schweinslederkoffer und Suitcases gehört.
Die aufwendige Radaufhängung,
fast der einzig unenglische Zug an diesem Auto, trägt das ihre zur
Hochklassigkeit des Rover bei. Eine etwas eigenwillige Vorderradaufhängung ist
hier kombiniert mit einer De-Dion-ähnlichen Schieberohr-Hinterachse, die eine
der teuersten Achskonstruktionen überhaupt ist. Dieser Einsatz macht sich aber
bezahlt, sowohl im Fahrverhalten wie auch im Fahrkomfort.
Selbst auf den schlechtesten
Straßen geht nichts vom Komfort verloren, wenngleich man sich diesen Luxus mit
einer etwas zu großen Kurvenneigung erkauft.
Beim schnellen Kurvenfahren
erwies sich der bullige Engländer zunächst als Untersteurer, der sich im
Grenzbereich zu einem sehr gut kontrollierbaren Übersteurer entwickelte, aber
den Fahrer kaum vor große Probleme stellen wird. Diese Fahrsicherheit wird noch
unterstrichen durch wirklich gutes Handling, zu dem die Kugelumlauflenkung, die
trotz des hohen Wagengewichtes leichtgängig ist und absolut stoßfrei und genügend
exakt arbeitet, das ihre beiträgt.
Tribut an das Alter der
Konstruktion muss man leider auch bei der Bremsanlage zahlen - es gibt keinen
zweiten Bremskreis. Trotzdem darf man zufrieden sein. Es handelt sich hier um
vier Scheibenbremsen mit einem Bremskraftverstärker, die ausgezeichnet
arbeiten, kaum Fading zeigen und butterweich zu betätigen sind.
Trotz der kräftigen Maschine
ist auch das Fahrverhalten auf Eis und Schnee durchaus akzeptabel (da trägt die
Automatik viel dazu bei), die Seitenwindempfindlichkeit hält sich in angenehmen
Grenzen, und selbst Spitzengeschwindigkeiten sind problemlos über weite Strecken ermüdungsfrei zu bewältigen.
Dieser
3,5-Liter-Achtzylindermotor wurde ehedem für die „Kompaktamerikaner"
konstruiert, hat 3528 ccm Hubraum, ist extrem kurzhubig angelegt, liebt aber
trotzdem die niederen Drehzahlen und gibt bei 5200 U/min seine maximale Leistung
von 149 PS ab. Die Ventile werden über automatisch nachstellende Ventilstößel
von einer zentralen Nockenwelle aus bedient. Sein maximales Drehmoment von
immerhin 28 mkg erreicht er schon bei 2800 U/min.
Dieser Motor ist prädestiniert
für eine Automatik, und die hat er auch serienmäßig. Seit kurzer Zeit gibt es
diesen Wagen wohl wahlweise mit Handschalter, seine Stärke aber spielt er mit
der Automatik aus, die hier nur Vorteile bringt.
Es handelt sich dabei um eine
Borg-Warner-Dreigang-Automatik, die, bedingt durch den Drehmomentverlauf, schon
bei sehr niedrigen Drehzahlen fast unmerklich hinaufschaltet. Allerdings
geschieht das etwas langsam, wie auch Kickdown etwas unwillig zur Kenntnis
genommen wird. Will man schneller beschleunigen und die Drehzahlmöglichkeiten
voll ausschöpfen, muss man zum Wählhebel greifen und die Gänge sperren.
Trotz der 149 PS ist der Rover
kein sehr spritziges Auto, zumindest nicht, was man sich bei so vielen Pferdchen
darunter vorstellt. Er vermittelt eher den Eindruck eines gepflegten
Nervenschoners. Was nicht heissen soll, dass er langsam ist. Immerhin bringt er
eine Spitze von über 185 km/h. Der Achtzylinder leistet seine Arbeit im unteren
Drehzahlbereich begleitet von einem bulligen Brummen, was bei höheren
Drehzahlen in leises Summen übergeht. Einer Unterhaltung, selbst bei Höchstgeschwindigkeit,
steht nichts im Wege.
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- 100 km/h 12,3 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 187,7
km/h
Testverbrauch 15,2 l/100 km
austria motor journal /
Österreich 2/1972
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