Herzlich willkommen?

Wenn ein schwäbischer Autowerker, der „beim Daimler schafft“, ein englisches Auto zu Gesicht bekommt, wird er kaum allzu großen Respekt empfinden. So sehr ist man hierzulande überzeugt, es besser zu können.

Es könnte allerdings dem Daimler-Schaffer passieren, dass er – genauer hinsehend – auf dem englischen Auto exakt die sieben Buchstaben D-a-i-m-l-e-r entziffert. Denn im Jahr 1896 hat ein Mr. Simms, der bei Auslandsgeschäften Partner des alten Daimler und auch des alten Bosch war, die Daimler Motor Company in Coventry gegründet, deren Markenrechte heute von Jaguar wahrgenommen werden. So kommt es, dass ein Paralleltyp des Jaguar XJ 6 mit Daimler-Grill erworben werden kann. Die europäischen Verknüpfungen im Automobilbau sind eben schon älteren Datums.

Auch mit dem Besserkönnen ist das so eine Sache. Eine Jaguar-Hinterachse und ein Jaguar-Zwölfzylinder sind Objekte, die bei deutschen Automobiltechnikern durchaus Ansehen genießen. Der Kompaktbau des Mr. Issigonis, die Rennwagen von Lotus, BRM oder Tyrrell haben viel von sich reden gemacht und die Rennwagen-Weltmeister der letzten Jahre waren überwiegend Engländer.

England ist, wenn man so will, auf dem Gebiet des Automobilbaues in den letzten Jahren das „kreativste“ Land der Welt gewesen: Nirgendwo entstanden so viele interessante Neukonstruktionen. Parallel mit dieser Entwicklung ging die Gesundschrumpfung der britischen Automobilindustrie: Aus einer Vielzahl mittlerer und kleiner Hersteller entstand die große BLMC. Zusammen mit den Filialen von General Motors, Ford und Chrysler bildet sie ein Produkt-Potential, das mit den deutschen, französischen und italienischen Herstellern auf einer Stufe steht.  

Nur für Anglophile?

Diese starken Veränderungen innerhalb kurzer Zeit machen jedoch auch deutlich, dass vorher etwas nicht gestimmt hat. Wenn man die Zukunftschancen englischer Autos auf dem Kontinent realistisch beurteilen will, darf man nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass der Ruf englischer Autos denkbar schlecht ist. Ganz besonders in Deutschland, in geringerem Maße auch in Frankreich, Italien und Österreich, am wenigsten in der Schweiz.

Zwar hat es, auch in Deutschland, immer eine feste Gemeinde anglophiler Autofahrer gegeben, für die nie etwas anderes in Frage kam als ein Mini oder Maxi, ein MG oder Triumph, ein Rover oder Jaguar. Aber diese Wenigen wussten, was sie auf sich nahmen: Schwieriger Umgang mit weit verstreuten Werkstätten, sorgfältiges Achten auf Wassertemperaturen und Ölverbrauch, geduldiges Warten auf Ersatzteile. Wenn dagegen ein harmloser, an Opel oder VW gewöhnter Automobilist an einen Austin oder einen Sunbeam geriet, dann musste er sich in die Anfangszeit des Automobils zurückversetzt fühlen, in denen ein Auto überhaupt nur dann lief, wenn sich der Fahrer dauernd um es kümmerte und sich ein tiefes Einfühlungsvermögen in seine zahlreichen Schwächen aneignete.

Zum Glück haben die Engländer, die lange nichts anderes kannten, das inzwischen selbst gemerkt: Englische Zeitungen griffen die Sache auf und warfen der britischen Autoindustrie vor, die schlechtesten Autos der Welt zu bauen. Wir erhielten mehrfach Anfragen aus englischen Redaktionen: Wie man bei uns die englischen Autos beurteile. Sie bekamen stets freimütige Antworten, die sich überwiegend aus Eigenschaftswörtern wie unzuverlässig, reparaturanfällig, kurzlebig zusammensetzten. Hinzu kam stets der Hinweis auf den unzureichenden Kundendienst.

Noch vor wenigen Jahren neigte man in England dazu, solche Urteile als kontinentalen, insbesondere alemannischen Hochmut anzusehen. Den ersten Hinweis darauf, dass vielleicht doch die englischen Autos selber schuld sein könnten, erhielt man aus jenen Ländern des britischen Commonwealth, die es mit der Zeit zu so großer politischer und wirtschaftlicher Selbstständigkeit brachten, dass sie nicht mehr auf England als alleinigen Autolieferanten angewiesen waren. Es zeigte sich, dass, wer wählen konnte, sehr gern amerikanische, deutsche oder japanische, auch italienische oder französische Autos statt englischer wählte. Und schließlich mehrten sich, trotz kräftiger Importbarrieren, auch im britischen Mutterland jene Automobilisten, die einen Volkswagen, einen Renault oder einen Alfa Romeo kauften und sich damit außerordentlich wohl fühlten.

Käufer-Geduld lässt nach

Wie es, trotz der unbezweifelbar großen Fähigkeiten der britischen Autobauer, zu diesem Qualitätsgefälle der britischen gegenüber den übrigen Autos der Welt kam – diese Frage lässt sich wohl nicht ohne Kenntnis der britischen Verkehrsverhältnisse beantworten. Bis vor wenigen Jahren konnte man auf britischen Straßen nach kontinentalen Begriffen eigentlich nicht fahren, sondern nur rollen. Auf winkligen schmalen Fahrbahnen, denen durch zahlreiche Hecken jegliche Übersichtlichkeit genommen wurde, bewegte man sich in Geschwindigkeitsbereichen, die zwischen Stadt- und Landstraßenverkehr kaum einen Unterschied aufwiesen. Als dann, mit starker Verspätung, die ersten Autobahnen gebaut wurden, trauten sich viele Autofahrer nicht, über die gewohnten Bereiche von höchsten 60 bis 80 km/h hinauszugehen. Taten sie es trotzdem für längere Zeit, dann traten jene Erscheinungen auf, mit denen Benutzer britischer Fahrzeuge auf dem Kontinent schon längst vertraut sind: Motor-Überhitzung, krankhafter Ölverbrauch, frühzeitiger Motor-Kollaps.

Es entspricht der bescheidenen Gemütsart des Engländers, in solchen Fällen die Schuld bei sich selbst zu suchen: Man darf eben nicht so schnell fahren, dass der Motor heiß wird. Für die langwierige und teure Reparatur hat man die nötige Geduld schon in der Kinderstube anerzogen bekommen: Man beschwert sich nicht darüber. In den menschlichen Eigenarten liegt auch die Erklärung dafür, dass englische Autos in der Schweiz weit verbreiteter sind als in anderen kontinentalen Ländern: Die Schweizer haben nicht nur ähnliche Verkehrsverhältnisse, sondern auch ein ähnlich zufriedenes Wesen. Der Deutsche dagegen neigt zur Ungeduld und zu scharfen Unmutsäußerungen, wenn sein Auto nicht läuft. Man muss aber davon ausgehen, dass sich die Verkehrsverhältnisse und damit auch die Konsumentenhaltungen auf der ganzen Welt nivellieren: Eines Tages werden der Schweizer, der Japaner, der Nigerianer, der Engländer und der Deutsche von Zuverlässigkeit und Kundendienst bei Autos ziemlich ähnliche Vorstellungen haben.

Dieses Angleichen der Ansprüche bei den englischen Käufern wird notwendig sein, um die Exportmöglichkeiten der britischen Autoindustrie zu verbessern. Da bisher sogar die britischen Filialen der US-Hersteller GM und Ford sich den geringeren Ansprüchen anpassten, ist anzunehmen, dass nur höhere Käuferansprüche das Niveau der in England gebauten Autos heben können.

Der Weg zum Allerweltsauto

Der Anpassungsvorgang der britischen Autoindustrie an das Weltniveau sieht nicht immer so aus, wie man sich das vom deutschen Standpunkt aus denkt: Der Morris Marina als neuestes Modell der BLMC ist ein Allerweltsauto, wie man es sich simpler kaum vorstellen kann. Dennoch ist es möglich, dass gerade dieser Marina einen neuen Anfang und eine echte Chance bedeutet: Wenn er wirklich zuverlässig ist und einen guten Kundendienst mit auf den Weg bekommt, dann kann man diesen Wagen auch Leuten verkaufen, die bisher nicht daran dachten, sich ein englisches Auto anzuschaffen. Natürlich lehnen die anglophilen Autokäufer alten Stils einen solchen Blechkasten ab und halten sich weiter an die Mini und Maxi, die MG und Rover. Aber für die Engländer wird es gerade darauf ankommen, neue Käuferkreise zu erschließen – Käuferkreise, denen es im Grunde gleich ist, ob ihr Auto aus England, Frankreich oder Japan stammt, ob es Morris, Chrysler oder Toyota heißt – wenn es nur billig in der Anschaffung und unproblematisch im Unterhalt ist. BLMC-Präsident Lord Stokes erwies sich mit dem Marina als Mann des schlichten Verkaufsdenkens. Zur Sache befragt, wies er darauf hin, dass die BLMC künftig nicht ausschließlich den Weg des billigen Primitivautos gehen wolle, dass sie aber schon genug Fahrzeuge von technischer Originalität im Programm habe.

Es kann also sein, dass die erfolgreichen englischen Autos der Zukunft gerade nicht typisch englisch sein werden. Zweifellos wird man sich bemühen, auch für die mehr konservativen Modelle etwas zu tun, also ihren technischen Reifegrad zu heben, den Kundendienst und die Ersatzteilversorgung zu verbessern. Aber man wird gut daran tun, sich dabei auf wenige Typen zu beschränken – sonst wird sich wenig an den jetzigen Zuständen ändern. Wagen mit ausgesprochen gutem Ruf wie Rolls-Royce oder Rover können dabei als Imagemaker wirken, für Deutschland ungeeignete Autos wie den Triumph 2000 sollte man dagegen gleich ganz zu Hause lassen. Der Ehrgeiz der bisherigen Importeure, vom einen Typ fünf, vom anderen zehn und vom dritten gar fünfzehn Stück zu verkaufen, hat den Ruf der britischen Autos bei uns mit ruiniert.

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