Rover 3500 V8 - in 1. Hand

Rover-Drive

von Hans Georg von Grawert

Der Besitzer des Autohauses und sein Werkstattmeister nahmen mich gemeinsam in die Zange, als es zum Kaufvertrag kam. Sie holten den besten Weinbrand aus dem Schrank und schenkten reichlich ein, wohl um die Verhandlungen abzukürzen. Bei sechs Prozent Rabatt wurden wir uns einig, ich unterschrieb und der Cognac war schneller vom Tisch, als ich gucken konnte... Für 17.000 Mark hatte ich in genau diesem Moment einen Rover P6 3500 gekauft.

Mein Chef war sich sicher: "Den Grawert haben die guten Ingenieursgeister verlassen. Der hat sich einen englischen Wagen gekauft. Dabei hätte er für weniger Geld auch einen 230er Mercedes bekommen!" Das stimmte zwar, aber ein Auto vom weltgrößten Taxiproduzenten? Ohne Leder und "nur" mit Sechszylindermotor? Nein danke. Nur unsere Sekretärin verteidigte meine Erscheinung: "Der Wagen sieht doch eigentlich ganz hübsch aus - wenn nur diese Farbe nicht wäre!" Ich rechtfertigte meine Farbwahl zugunsten "tobacco leaf" mit dem Hinweis darauf, dass das Auto im Fuhrpark der Queen die gleiche Farbe hätte. Ein Fehler: "Die Frau hat noch nie Geschmack bewiesen!"

Als ich Anfang 1972 über ein neues Auto nachdachte, standen zwei Wagen in der engeren Auswahl: der Rover und - auch wenn´s komisch klingt - ein Porsche Targa. Gesiegt hat letztlich die Vernunft in Gestalt meiner Frau, die meinen fahrerischen Qualitäten kritisch gegenüberstand und mein plötzliches Ableben im Falle eines Porsche-Kaufs prognostizierte. Außerdem machte eine Rover-Preissenkung den P6 zusätzlich attraktiv: Statt 19.900 Mark kostete das Auto plötzlich nur noch 17.900 Mark. Rover war nicht willens oder in der Lage, neue US-Auflagen zu erfüllen, stellte daher den US-Export ein und senkte den Preis, um die überzähligen Autos an den Mann zu bringen. 17.900 Mark für einen Wagen mit Alu-V8, Automatik und Lederpolstern - das war ein Wort!

Als Ingenieur reizte mich auch die Technik des Briten. Die Kombination von europäischer Karosserie und - ursprünglich - amerikanischer Motor/Getriebe-Einheit war in jener Zeit sehr interessant für mich. Es gab eine ganze Reihe von Autos, die nach diesem Muster gestrickt waren: Opel Diplomat, Facel Vega, Monteverdi, Iso, De Tomaso, Jensen - und eben auch die Rover P5 und P6. Letzterer war nicht nur am billigsten, sondern auch technisch am interessantesten: Die vereinfachte De-Dion-Hinterachse mit innenliegenden Scheibenbremsen, die sich durch einen simplen Trick, eine Schiebemuffe, von der viel aufwendigeren klassischen Bauart unterschied, dazu die Vorderradaufhängung an Winkelhebeln und horizontal liegenden Federbeinen - das war einmalig. Ein steifes Karosserieskelett, das Antriebsstrang und Achsen trug und auf das alle sichtbaren Außenbleche geschraubt wurden, gab´s in ähnlicher Form sonst nur bei der DS. Und erst dieser Alu-V8 mit Hydrostößeln (anno 1972!), der einst bei Buick entworfen worden war...

Auf der Autobahn war ich seinerzeit mit dem Rover ein König. Ganz selten einmal flog ein großer BMW oder ein Porsche vorbei, sonst gab es auf der linken Spur kaum Konkurrenz. Die Schalldämmung war ebenso überzeugend wie der Federungskomfort. 1972 war das Fahrwerkskonzept des P6 bereits neun Jahre alt, aber es gab wenig, woran man hätte mäkeln können. Ab Tempo 120 überschatteten Fahrtwind und Abrollgeräusche den Motorklang. Je schneller man fuhr, desto leiser schien das Auto zu werden. Selbstverständlich hat sich nach modernen Maßstäben vieles relativiert, aber meine Mitfahrer sind immer noch begeistert von den Reisequalitäten des Autos. Wenn ich darüber nachdenke, wo die Briten einst standen und was sie verschlafen haben - ein Jammer!

Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. So merkte man dem für England und die USA konzipierten Auto an, dass es nicht unbedingt für deutsche Vollgas-Autobahnen konzipiert worden ist. Es gibt spurstabilere Autos, bei starkem Seitenwind braucht der, der schnell fahren möchte, ein gutes Händchen und gute Nerven. Die Dämpfung ist dazu ein wenig weich ausgefallen, und die Konstruktion der Vorderachse lässt Radunwuchten oder einen Höhenschlag der Reifen stark spüren. All dem ist freilich beizukommen, durch gute VR-Reifen, straffere Stoßdämpfer - und ein Tieferlegen der Front.

Dass der Motor gut ist, beweist schon die Tatsache, dass er in seinen Grundzügen bis heute in ganz verschiedenen Fahrzeugen eingesetzt wird. Auch er hat freilich Schwachstellen, die aber nicht konzeptioneller Natur sind und denen man abhelfen kann. Problematisch sind nach meiner Erfahrung der Ventiltrieb und die Kurbelgehäuseentlüftung. Die merkwürdige originale Zahnkette des Nockenwellenantriebs sollte sofort gegen eine Duplexrollenkette mit den dazugehörigen Rädern gewechselt werden. Die alten Gussnockenwellen liefen ab Werk schnell ein. Sie waren zu weich, nicht vernünftig gehärtet und mussten gegen den Öffnungswiderstand doppelter Ventilfedern ankämpfen. Die acht großen Zylinder schließlich sorgen schon bei geringem Verschleiß für recht hohen Druck im Kurbelgehäuse. Die drei Entlüftungen - zwei zu den Vergasern, eine zum Luftfilter - sind recht knapp dimensioniert. Alte Motoren drücken deshalb das Öl gerne hier und dort heraus, was zu einem echten Ärgernis werden kann. Bei meinem ist schließlich seit dem ersten Tag ein unrunder Motorlauf bei Choke-Betrieb zu vermelden. Auch neue Vergaser und penible Einstellung behoben dies nicht - was um so merkwürdiger ist, da andere Rover dieses Problem nicht kennen.

Diese Mäkeleien verzerren ein wenig das positive Bild. Tatsächlich passierte mechanisch an dem Auto in den ersten elf Jahren und 185.000 Kilometern praktisch nichts. Es fuhr, und zwar schnell, zuverlässig und enorm kultiviert. Einmal wurde ein Simmering an einem Differentialausgang undicht, einmal meldete sich ein Kreuzgelenk der Kardanwelle zu Wort - das war´s.

Es sind die Kleinigkeiten, die das Bild etwas trüben. So hangele ich von einer Tachowelle samt Hülle zur nächsten. Alle Versuche, die Welle knickfrei zu verlegen, scheiterten, und ich werde sie wohl weiter fleißig wechseln. Und auch an der Elektrik haperte schon mal hier und da etwas. Die serienmäßigen Kohle-Zündkabel waren Murks und führten zwischenzeitlich zu Startproblemen, die erst Kupferkabel kurierten. Zweimal bekam die Verteilerkappe Risse, dann stellte Lucas auf ein neues Material um. Diese blaue Kappe tut mittlerweile seit zwanzig Jahren Dienst. Nach 80.000 Kilometern streikte der Regler. Auch das Neuteil (und die neue Lima) arbeiteten nicht perfekt - ein Bosch-Dienst beendete den Spuk mit einer Lima mit integriertem Regler. Der Scheibenwischerendschalter streikt bis heute regelmäßig. Woran es liegt, dass der Einbau eines neuen Schalters nichts nützt, habe ich bis heute nicht herausgefunden. Ich schaffte mir einen zweiten Wischermotor an und fuhr fortan einen spazieren, indes ich den anderen bei Lucas in Köln-Porz überholen ließ. So wechselte ich fröhlich Wischermotoren wie andere Leute Ölfilter.

Der Rover P6 ist ein durchdacht konstruiertes, logisch aufgebautes Auto. In einigen Dingen verlangt er freilich etwas Fingerspitzengefühl. Ein Journalist schrieb einmal, dass selbst eingeschworene Fans beim Gedanken an eine Reparatur der hinteren innenliegenden Bremse über den Kauf eines Nissan Sunny nachdenken. Er hatte Recht. Außerdem ist das Justieren aller Blechteile eine echte Kunst. Beispiel Türen: Theoretisch sollen alle Türspalte parallel und gleich breit verlaufen. An den Fahrzeugflanken soll nichts überstehen und alle vier Portale sollen, aus kurzer Entfernung losgelassen und nur sanft angestoßen, satt ins Schloss fallen. Wenn sie dann noch rundherum an ihrer Dichtung anliegen, bekommt man nicht einmal nasse Füße bei Regen. Diese vier Forderungen unter einen Hut zu bringen, gleicht einer Quadratur des Kreises: Verändert man einen Parameter zum Positiven, ändern sich ein oder zwei zum Negativen. Ein winziger Spalt sorgt für Windgeräusche und das Gefühl, dass nicht alle Türen richtig geschlossen sind. Und wer dann glaubt, am Ziel zu sein, stellt fest, dass sich die Fensterrahmen verspannt haben und die Fenster sich nicht mehr so leicht öffnen lassen, wie das der Fall sein sollte...

Da unglaublich viel Zeit bei diesen Arbeiten drauf geht, sind heute Selberschrauber gefragt, zumal sich der Marktwert der P6 diametral entgegengesetzt zum heutigen Stundenlohn entwickelt hat. Überhaupt sind angeblich spezialisierte Werkstätten mit einem Exoten wie dem Rover mitunter überfordert. Ich habe meine Erfahrungen gemacht - und das schon bei der Erstinspektion, bei der ja die Kopfschrauben nachgezogen werden sollten. Ich erlaubte mir, die Ventildeckel mit zwei festgeklebten Haaren zu plombieren, und siehe da, nach der Inspektion waren sie noch unversehrt an ihrem Platz. Ich fragte den Meister am Telefon, warum das so sei, und der fragte seinen Gesellen. Die Lösung: An den Zylinderkopfschrauben außerhalb der Ventildeckel hatte der Geselle den Drehmomentschlüssel angesetzt, festgestellt, dass die Schrauben mit höherem Moment angezogen waren als vorgegeben und daraufhin das Unternehmen abgebrochen. Ich fragte den Meister noch, woher der Geselle den richtigen Wert hatte. "Von mir, 5,5 Meterkilogramm" antwortete er. Woher dieser Wert denn stammte, interessierte mich ebenfalls. "Vom MIni..." Ich wechselte die Werkstatt.

Ebenfalls nicht zum Stammkunden wurde ich in einem Kölner Betrieb, der einst die erste Adresse für gehobene englische Automobile war. Der Meister stellte sich bei meinem ersten Besuch in den Türrahmen, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und brüllte mich an, wie man sich nur ein englisches Auto kaufen könnte. Komisches Geschäftsgebaren. Eine dritte Firma in Bergisch Gladbach hielt es für nicht weiter bedenklich, dass die hinteren Bremsscheiben Rost ansetzten, augenscheinlich also nicht im Einsatz waren. Nach Gründen suchten sie nicht, schließlich gibt es ja noch die vordere Bremse...

Eine Reihe vorgenommener Verbesserungen wirkte sich erst einmal nachteilig aus: Irgendwann montierte ich eine elektrische Benzinpumpe, die prompt streikte, da sie sehr empfindlich war und ich auf einen Feinstfilter verzichtet hatte. Der nachträglich montierte Krümmer des P6 3500 S wurde zweimal undicht und die Edelstahlauspuffanlage - auch für den S - musste angepasst werden. Ich hatte mir von diesem Umbau etwas mehr Leistung versprochen, die sich aber nicht einstellte. Eine nachträglich installierte Servolenkung gab beunruhigende Geräusche von sich, erst die zweite funktionierte tadellos. Und schließlich erforderte ein GFK-Batteriekasten einen kleineren Akku.

Ein guter Griff war dagegen die 272-Grad-"Fast Road"-Nockenwelle, die ich unlängst montierte. Gleichzeitig habe ich die Atemwege des V8 durch eine Verdoppelung der Luftfilterfläche ein wenig freigemacht, das Ergebnis ist ein sehr viel müheloseres, angenehmes Fahren im Geschwindigkeitsbereich zwischen 120 und 180 km/h, auch wenn der Durchzug geringfügig schlechter geworden ist. Die eigentliche Überraschung: Der Verbrauch hat deutlich abgenommen und pendelt jetzt im Mischbetrieb um 12,5 bis 13 Liter. Die neuen amerikanischen Roads-Hydrostößel hätte ich mir dagegen sparen sollen. Bei warmem Öl geben sie im Leerlauf ein nerviges Rasseln von sich.

Wie gesagt habe ich das Auto aus Gründen der Fahrsicherheit - immerhin geht es Tacho 200 Spitze - vorne etwas tiefer gelegt. Die richtige Idee hatte der Rover-Schrauber Klaus Fischer aus Lemgo, dessen Können ich schätzen gelernt habe: Er kürzte den Daumen des Winkelhebels, der auf das Führungsstück der Schraubenfeder drückt. Den Federn wird so kein Haar gekrümmt, Federweg und Komfort bleiben unverändert, aber die Nase kommt weiter runter Richtung Straße. Beim Aufbocken des Autos "fallen" die Räder so theoretisch weiter durch, was Fischer in der Praxis durch Gummipuffer verhinderte. Die Stoßdämpfer werden beim P6 ja "umgekehrt" beansprucht: Beim Ausfedern "verkürzen" sie sich.

Über 25 Jahre war mein Auto keinen Tag abgemeldet, bis mir 1997 auf dem Rückweg vom Nürburgring die Kardanwelle brach, wahrscheinlich ausgelöst durch Schwingungen, die von einem Lagerschaden im Getriebe herrührten. Liegengeblieben? Aber nein! Die letzten 60 Kilometer bis nach Hause hat der Rover noch gemacht. Bei langsamer Fahrt polterte es fürchterlich, also Ohren zu und Gas... Zu Hause stellte sich dann heraus, dass zwei Lagerböcke im Block zertrümmert waren. Es war - auch dank der Rover-Freunde-IG - kein Problem, die nötigen Teile zu fairen Preisen aufzutreiben. Nun rollt der P6 wieder, allerdings mit Saisonkennzeichen von April bis Oktober.

Hier und da knirscht es inzwischen, aber das darf bei einem Auto sein, das mich fast drei Jahrzehnte zur Arbeit und in den Urlaub gebracht hat und mit dem ich noch immer Brötchen und Blumenerde herankarre. Bis heute begeistert mich die Mühelosigkeit und Souveränität, mit der der V8 den Rover antreibt. Das Auto ist immer noch so agil, das der Mechaniker eines Bosch-Dienstes erst kürzlich fast eine Hebebühne umfuhr, weil er aufs Gaspedal trat, ohne sich die Motorisierung zu vergegenwärtigen. Sein Kommentar: "Donnerwetter..."

Immer ist alles noch original, auf den Lederpolstern fühle ich mich als Schlossherr. Das Blech drumherum ist hier und da neu, doch von einer Restaurierung kann nicht die Rede sein. Derzeit öffnet sich die Kurbelscheibe der Fahrertür gerne von selbst, das De-Dion-Achsrohr knurrt ein wenig beim Einfedern und der linke hintere Reifen zeigt außen starken Abrieb. Zusammenhang? Ursache? Es wird sich finden. Und im Winter nimmt Klaus Fischer die Dachhaut ab. Wie es darunter wohl aussieht? Egal, dieser P6 ist mein Auto. Welches andere sollte ihn auch ersetzen?

Oldtimer Praxis 1/1999

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