Fusion geglückt?
Interview
aus dem Jahr 1970 mit dem Präsidenten von British Leyland, Lord Stokes
"Wir sind kein geschlagenes Land...", dieser Satz,
den Lord Stokes am Ende unserer Unterredung voll Überzeugung ausspricht,
kennzeichnet den Mann, seine Handlungsweise, seine Entschlossenheit. Er hat
etwas von einer englischen Bulldogge an sich, dieser Mann, der soviel
Freundlichkeit und, eindrucksvoller noch, soviel Stärke ausstrahlt. Er selbst
gab sich niemals geschlagen, was schliesslich dazu führte, dass er von einem
bescheidenen kaufmännischen Posten bei einem Lastwagenhersteller zum Präsidenten
der British Leyland, der englischen "General Motors", aufstieg. Wäherend ein
Ford oder ein Agnelli ihre Adelsprädikate schon in der Wiege vermacht bekamen,
fand Donald Stokes erst aufgrund seines Durchstehvermögens und dank seiner
Intelligenz Zugang zum ´House of Lords´. Wer könnte sich einen schöneren Titel
vorstellen als jenen, bei dem der Familienname des Beteiligten für alle Zeiten
mit dem Namen seines Unternehmens verknüpft ist, wo der Mann mit dem Konzern
verschmilzt, aus dem er hervorging und dessen Erfolg er bewirkt hat: Lord Stokes
of Leyland.....
"Ich glaube", sagt Lord Stokes, "dass meine
Ernennung in den Adelsstand vor allem meiner Frau Freude bereitet hat. Stellen
Sie sich vor, man wendet sich an sie und sagt: Your Ladyship"...
Er lacht übers ganze Gesicht.
"Was mich angeht", fährt er fort, "so sehe ich in
meinem Titel nur einen einzigen Vorteil: Als Mitglied des Oberhauses habe ich
das offizielle Recht, jedes Regierungsmitglied direkt und öffentlich zur Rede
zur stellen. Ich nehme mir dieses Recht kaum einmal, aber es reicht schon, wenn
sie wissen, dass ich gegebenenfalls einmal Lust dazu verspüren könnte....".
Man findet in Lord Stokes nur wenig von jenem
britischen Traditionalismus, wie er sich in kontinentalen Karikaturen
widerspiegelt, es sei denn einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor, ein
siegesgewisses Temperament und auch jenes schätzenswerte Talent, die Aufgaben
des täglichen Lebens gewissenhaft zu erfüllen, ohne sich selbst dabei jemals
allzu ernst zu nehmen.
"Etwas überrascht und betrübt mich bei den Fragen,
die Sie mir stellen", sagt Lord Stokes. "Und zwar die Beharrlichkeit, mit der
Sie darauf bestehen, die sozialen Unruhen, die sogenannten wilden Streiks, die
wir in England hatten, voller Ernst betrachten zu wollen. Frankreich und auch
Italien waren, soviel ich weiß, auch nicht gerade Stätten des sozialen Friedens.
Die Öffentlichkeit ist durch die Vielzahl kleinerer Streiks in England wie
hypnotisiert und vergisst dabei, was sich vor einiger Zeit bei Ford in Detroit
und innerhalb der gesamten französischen Industrie abgespielt hat. Vielleicht
liegt darin unsere Stärke, dass wir all diese sozialen Mini-Unruhen haben und
nicht diese gewaltigen Explosionen, die sich anderswo gelegentlich ereignen. Die
ganze Welt sieht sich mit Aufruhr, dem Ausbruch der Individualität, der
Rebellion gegen die etablierte Ordnung und dem sozialen Zusammenschluss
konfrontiert. Was uns angeht, so haben wir ein ausgezeichnetes Verhältnis zu
unseren Gewerkschaften. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass die
Gewerkschaften in den meisten Fällen ihre Anhänger nicht mehr unter Kontrolle
haben....".
Sie sagten mir letztes Jahr, dass das Problem der
sozialen Beziehungen innerhalb eines Unternehmens zunächst einmal eine Frage des
Managements sei. Ein gut verwaltetes Unternehmen, meinten Sie, wäre ein
Unternehmen, in dem derartige Probleme nicht existierten.
"Ich bin davon nach wie vor überzeugt, zumindest,
solange es sich um Krisen ohne politischen Hintergrund handelt. Im übrigen
glaube ich, dass es an der besseren Verwaltung unseres Konzerns liegt, dass
dieses Unternehmen, seit der Gründung von British Leyland, wegen der Streiks
weniger Zeit verloren hat als beide Unternehmen vor ihrem Zusammenschluss. Wir
und Rootes bezahlen heute die höchsten Löhne in der englischen
Automobilindustrie. Während der ersten 12 Monate seit ihrem Bestehen konnte
British Leyland mit reduziertem Personal die Produktion um 16 % steigern.
Während der darauffolgenden sechs Monate konnten wir nochmals eine 10 %ige
Steigerung, gemessen am neuen Niveau, verzeichnen. Wir sind heute ein gesundes
und durchaus lebendiges Unternehmen."
Zweifellos haben Sie bei Ihrer Expansion vom
wirtschaftlichen Boom profitiert, der sich, unterstützt von der wirtschaftlichen
Überhitzung, seit zwei Jahren bei fast allen Märkten abzeichnet.
"British Leyland hat 1969 weit über eine Million
Autos gebaut, trotz der Streiks, die uns insgesamt etwa 100.000 Autos gekostet
haben. Es gingen uns auf nahezu jedem Sektor einige Verkaufsmöglichkeiten
verloren, vor allem bei den Mini und den Sportwagen. Mit Ausnahme des
Maxi-Bandes sind unsere anderen Bänder alle bis an die Grenzen ihrer
Leistungsfähigkeit ausgelastet."
Dennoch haben Sie nicht überall das erreicht, was
angestrebt wurde. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel.
"Das stimmt. Wir hofften, 110.000 Wagen nach Übersee
verkaufen zu können und kamen nur auf 90.000, da wir nicht in ausreichenden
Mengen produzieren konnten. Die Marktsituation in den Vereinigten Staaten ist
jedoch weiterhin günstig für uns. Dadurch, dass die Detroiter Werke nun selbst
Kleinwagen bauen, haben sie diese Wagen gesellschaftsfähig gemacht. Dank Ford
und bald auch dank General Motors ist der Kleinwagen nicht mehr länger ein
Fahrzeug der Armen. Gleichzeitig jedoch wünscht sich der Käufer ein
individuelles Auto. Unser sehr breites Programm, das auch Sportwagen
einschliesst, ermöglicht es uns, diesem Wunsch zu entsprechen. Ich möchte
jedoch hinzufügen, dass ich es gar nicht für erstrebenswert halte, wenn British
Leyland mehr als 150.000 Wagen nach Amerika verkauft. Wir wollen unsere Chancen
aufteilen und nicht, wie das Volkswagenwerk, alles auf eine Karte setzen. Man
sollte die Möglichkeiten des amerikanischen Marktes nutzen, muss dabei aber
vermeiden, allzu stark von ihm abhängig zu werden."
Sie werden sich also mehr darauf konzentrieren, Ihre
Position innerhalb des Gemeinsamen Markts auszuweiten, wo Ihr Eindringen, vor
allem in Deutschland, gebremst wurde.
"Gewiss. Deshalb sind wir auch dabei, ohne den
Eintritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt abzuwarten, unser
Produktionspotential auf dem Kontinent zu erweitern. Unsere neue Fabrik in
Belgien, die Ende 1971 betriebsbereit ist, wird es uns ermöglichen, 110.000
Wagen pro Jahr im Bereich der EWG zu bauen. Darüber hinaus etablieren wir uns
auch in Spanien, von wo aus wir insbesondere die südamerikanischen Märkte
beliefern wollen. Im übrigen scheint es mir unerlässlich zu sein, dass England
dem Gemeinsamen Markt beitritt. Wir müssen die Vereinigten Staaten Europas
bilden und sollten dabei unsere nationalen Rivalitäten und die kleinlichen und
kurzsichtigen Streitereien unserer Politiker vergessen. Die eigentliche Gefahr
droht uns in der Tat von den Vereinigten Staaten und von Japan. Wir müssen uns
zusammenschliessen, um dieser Gefahr begegnen zu können, und Großbritannien ist
dazu bereit. Vor zwanzig Jahren war England zweifellos noch nicht europäisch.
Aber in der Zwischenzeit sind wir es geworden. Wir leben nicht länger auf einer
Insel. Ebenso bin ich davon überzeugt, dass es in Europa zu neuen Fusionen
kommen wird. Dies wird das einzige Mittel sein, um uns gegenüber der japanischen
und amerikanischen Konkurrenz zu behaupten. British Leyland verfügt über sehr
solide Grundlagen, die wir noch weiter ausbauen wollen. Wir stehen der Idee
einer Kooperation mit anderen europäischen Herstellern jedoch positiv gegenüber.
Ich weiß nicht genau, welche Form eine solche Zusammenarbeit annehmen würde,
aber ein gutes Beispiel dafür, wie man so etwas machen könnte, scheinen mir
unsere Karosserie-Teillieferungen an Renault zu sein. Auf jeden Fall sind wir
zur Diskussion bereit."
Wollte man Lord Stokes mit zwei Worten definieren,
so könnte man ihn einen empirischen Humanisten nennen. Sein grösster Stolz
besteht heute darin, die Fusion zwischen Leyland und der BMC in Rekordzeit
durchgeführt zu haben.
"Ich glaubte zuerst, wir würden drei Jahre brauchen,
bevor wir die ersten Früchte der Fusion ernten könnten. Es ging jedoch alles
sehr viel schneller und wir konnten am Ende eines einzigen Jahres Ergebnisse
verzeichnen, mit denen wir selbst nicht gerechnet hatten. Zu Beginn war ich
sechs Monate lang gezwungen, ein Autokratenleben zu führen. Aber dann konnte ich
meinen Stil sehr schnell ändern. Wir haben jeden Beteiligten systematisch zu
jedem Problem gehört. Alle waren über alles unterrichtet, denn es ist eigentlich
dumm, auf technischem Gebiet Geheimnisse haben zu wollen, aus dem einfachen
Grund schon, weil man sie doch nicht lange wahren kann. Jeder konnte sich frei
ausdrücken, was sich allein schon als sinnvoller psychologischer Schock erwies.
Ausserdem habe ich darauf geachtet, dass die Konsultationsgespräche jeweils in
der zur Debatte stehenden Fabrik stattfanden und nicht in unserem Hauptquartier.
Auch das wirkte sich in psychologischer Hinsicht sehr positiv aus. Durch die
Fusion wurde daher in unserem Unternehmen keinerlei Groll erzeugt. Im Gegenteil,
es gelang uns, bei unseren Mitarbeitern eine neue Begeisterung zu erwecken. Und
doch war nichts schwieriger als das: British Leyland umfasst ungefähr 60
Fabriken, von denen einige seit über siebzig Jahren bestehen. Jede hat natürlich
ihre Gewohnheiten und ihre Traditionen. Dank ständiger Public
Relations-Bemühungen innerhalb des Unternehmens gelang es uns, die 190.000
Mitarbeiter von British Leyland von unseren Plänen und unserer Wesensgleichheit
zu überzeugen.
Auf Ihre Frage, was mir 1969 bei British Leyland am
bemerkenswertesten erschien, hätte ich Ihnen mit greifbaren Erfolgen aufwarten
können. Ich ziehe es jedoch vor zu sagen, dass unser schönster Erfolg
psychologischer Natur ist. Das Gefühl, dass unsere Fusion geglückt ist, dass es
British Leyland nunmehr wahrhaft gibt, dass die Mitarbeiter in einer neuen Form
zusammengeschmolzen sind und dass sie das Gefühl haben, nicht mehr den Gruppen
anzugehören, in denen sie bislang beschäftigt waren, sondern einer neuen
Familie, der British Leyland, die eine eigene Existenz hat."
Lord Stokes weist heute gern darauf hin, dass
British Leyland dank der neu eingeführten Verwaltungssysteme größere
Entscheidungen schneller treffen kann, als dies bei BMC jemals der Fall war.
"Unsere Führungskräfte haben schon jetzt
phantastische Leistungen vollbracht", sagt er. "Deshalb kann auch der erste
Großserienwagen, der seit der Fusion konzipiert wurde, gegen Ende dieses Jahres
vorgestellt werden. Und den ersten Prototyp dieses künftigen Modells konnte ich
bereits an Weihnachten 1968 probefahren, an Heiligabend - British Leyland ist
ungeheuer elastisch."
Lord Stokes betrachtet den Austin Maxi nicht als
echtes Fahrzeug der BLMC. Er gehört zu dem von BMC erhaltenen Erbe und man
scheint sich in London nicht allzu große Illusionen in bezug auf seine
europäische Zukunft zu machen. Was Frankreich betrifft, so rechnet man sogar nur
mit 1.500 verkauften Einheiten pro Jahr.
"Sein großer Verdienst", sagt Lord Stokes, "bestand
darin, zu existieren. Wir haben sein Erscheinen hinausgeschoben, um das
vollständig neue Auto noch weiter auszufeilen und brachten es schliesslich im
vollen Bewusstsein seiner Grenzen auf dem Markt. Es ist ein Wagen, der auf dem
englischen Markt Erfolg haben wird (sein Anteil an der Gesamtzahl der
Zulassungen beträgt schon 2,3 %). Vergessen Sie bitte nicht, dass der
Austin 1800, der international gesehen ein Misserfolg war, ebenfalls 2,3 % der
Verkäufe in England ausmacht und dass die Lieferfristen für diesen Wagen zur
Zeit sechs Monate betragen! Der Maxi ist für unseren heimischen Markt sehr
wertvoll. Was aber die übrige Welt angeht, so haben wir da andere Pläne. In der
Tat wollen wir von nun an alle sechs Monate ein neues oder ein grundlegend
modifiziertes Modell auf den Markt bringen und unsere Produktion soll in fünf
Jahren auf 1,5 Millionen Einheiten gesteigert werden.
British Leyland befindet sich zur Zeit in
einer Periode der Umgestaltung, sowohl in technischer als auch in kommerzieller
Hinsicht. Die Fabrik von Cowley wird vollkommen reorganisiert und soll zu einer
autonomen Einheit werden, die in der Lage ist, komplette Autos herzustellen. Der
Konzern hat ein Investitionsprogramm aufgestellt, das von 60 Millionen Pfund im
Jahre 1969 auf 80 Millionen Pfund in diesem Jahr gesteigert werden soll.
"Wir haben im letzten Jahr unsere gesamten
Produktionsstätten in den Vereinigten Staaten, in Südafrika, in Australien und
in Neuseeland organisatorisch zusammengefasst", sagt Lord Stokes. "Wir haben
damit begonnen, unser Vertriebsnetz in Großbritannien, eine wahre Goldgrube,
optimal auszunutzen. Die Auslieferung unserer Produkte wurde in Lausanne auf
europäischer Ebene und in Österreich und Norwegen auf nationaler Ebene
zusammengefasst. In dieser Richtung werden wir weiterarbeiten. British Leyland
wird sich überall niederlassen."
Sie hatten auch Pläne in Osteuropa - es
scheint jedoch, als ob Sie in dieser Richtung nicht recht weitergekommen sind.
"Wir hätten im Osten durchaus einiges erreichen
können, vor allem auf dem Gebiet der Nutzfahrzeuge. Aber ich will mich nicht
verzetteln: Zunächst muss unser eigenes Haus in Ordnung sein. Unsere
Hauptaufgabe besteht schliesslich darin, die Produkte des Hauses zu verkaufen
und nicht so sehr darin, Fabriken in Übersee zu errichten."
Nach einer Unterbrechung von einigen Monaten
sind Sie, quasi durch ein Hintertürchen, zum Rennsport zurückgekehrt. Werden Sie
sich auf diesem Gebiet stärker engagieren?
"Das Wesentliche an einem Rennen ist nicht die
Teilnahme, sondern der Sieg. Ich stehe dem Rennsport positiv gegenüber, unter
der Voraussetzung, dass unsere Autos eine Chance haben, sich durchzusetzen.
Dagegen finde ich es schade, dass der Rennsport mehr zu einem finanziellen als
zu einem sportlichen Wettkampf geworden ist. Die Öffentlichkeit ist sich dessen
wohl bewusst. Ich fürchte, dass sie sich eines Tages von einer zurückziehen
wird, in der die finanziellen Erwägungen die rein sportlichen Aufgaben immer
stärker überwiegen. Dennoch weiß ich, dass dem Automobilsport eine große
Bedeutung zukommt. Innerhalb unseres Konzerns verfügt Jaguar am ehesten über
Wagen, die für Rennen geeignet sind. Das Problem besteht darin, den richtigen
Moment für ein solches Comeback zu erkennen."
Offensichtlich aufgebracht über die Streiks
bei gewissen Zulieferern haben Sie letztes Jahr damit gedroht, sich Ihr Material
notfalls im Ausland, insbesondere in Japan, zu beschaffen. Haben Sie Ihre
Drohung wahrgemacht?
Lord Stokes lächelt. "Nein, das habe ich nicht",
sagt er. "Aber es war richtig, damit zu drohen. Das half!"
Insgesamt haben Sie nicht wenige Menschen und
Gewohnheiten erschüttert, bei sich selbst und auch ausserhalb...
"Einige waren der Meinung", erwidert Lord Stokes,
"dass wir die Zähne fletschen würden, um zu beissen. Mittlerweile haben sie
erkannt, dass es sich dabei lediglich um Weisheitszähne handelte!"
auto motor und sport 4/1970
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