The same procedure as every year

Die britische Automobilgruppe British Leyland rutschte ein weiteres Mal

am Ausverkauf vorbei

So etwas hat es während der sechsjährigen Amtszeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher noch nicht gegeben. Die „Eiserne Lady“ musste den Verkauf des traditionsreichen britischen Automobilherstellers Austin Rover an den amerikanischen Ford-Konzern absagen: Dutzende konservative Abgeordnete, sonst stramme Parteigänger Thatchers, hatten im Parlament gegen den Ausverkauf britischer Industrieinteressen rebelliert.

Die Mehrzahl der Kabinettsmitglieder legte daraufhin ein Veto gegen den Deal ein und riet der Regierungschefin dringend von dem Verkauf Austin Rovers an den US-Konzern ab. Der Plan war für traditionsbewusste Briten shocking: Austin Rover ist die Personenwagen-Division des staatlichen Automobilkonzerns British Leyland (BL) und der einzige überlebende Großanbieter von Automobilen.

BL hat 1985 im eigenen Land 328.000 Personenwagen und 55.000 Lieferwagen, Busse und Lastwagen ausgeliefert und etwas mehr als 100.000 Autos exportiert. Im heimischen Markt hatte das Unternehmen damit einen bescheidenen Marktanteil von knapp 18 Prozent, während Ford 26 Prozent und General Motors knapp 17 Prozent verbuchen konnten. Wäre den Ford-Planern die Austin Rover-Übernahme geglückt, dann wäre der zweitgrößte Autokonzern der Welt in Großbritannien und in Europa ganz klar an die Spitze gerückt.

British Leyland (Branchenspott: British Elend) war mehrfach der Pleite nahe: Insgesamt 7,8 Milliarden Mark hat die britische Regierung inzwischen an Subventionen in die Leyland-Gruppe gesteckt. Mit Erfolg: Die Sanierung und Modernisierung der veralteten Produktpalette und BL-Automobilfabriken hat dazu geführt, dass die riesigen Verluste von einst im ersten Halbjahr 1985 auf 152 Millionen Mark reduziert werden konnten. Viel über die BL-Produktpalette sagt die Tatsache aus, dass der 1959 erstmals gebaute Mini heute noch immer gebaut und verkauft wird. Inzwischen sind mehr als fünf Millionen des damals als revolutionär angesehenen Kleinwagens von den Bändern gerollt.

Die gewaltigen Summen aus der Staatskasse und die Befürchtung, dass eine Zusammenlegung von BL und der britischen Ford-Tochter zu neuen Massenentlassungen führen könnte, hatte die Opposition und die um ihre Wiederwahl bangenden konservativen Abgeordneten auf die Barrikaden getrieben. Frau Thatcher hatte den geplanten Verkauf von Austin Rover an Ford zunächst damit begründet, dass „die riesigen staatlichen Zuschüsse“ an Leyland aufhören müssten. Edward Heath, der frühere konservative Premierminister, kritisierte Maggie Thatcher allerdings auch wegen der geplanten Abgabe der Land Rover-Division und des gesamten Lastwagen-Bereichs an GM.

Heath kündigte unter dem Jubel der Oppositionsparteien und rebellierender konservativer Politiker aus den BL-Hochburgen in Mittelengland an, „dass der Kampf gegen diesen Plan fortgesetzt wird“. John Smith, der Schattenminister der Labour-Partei für Industriefragen, protestierte auch gegen die geplante Privatisierung der Zubehörteile-Tochter Unipart. Sie soll durch eine Aktienemission aus der BL-Gruppe entlassen werden.

Die BL-Unternehmensgeschichte liest sich wie ein historischer Roman vom Jahrzehnte dauernden, etappenweisen Untergang des britischen Kolonialreiches. Es steckt viel Nostalgie hinter den einstmals berühmten Automobilmarken Austin, Morris, Rover, MG, Triumph, Jaguar und anderen, die bei drei Großfusionen in den Jahren 1952 bis 1968 in der British Leyland-Gruppe aufgegangen sind.

Entstanden ist die britische Automobilindustrie im Jahre 1895, als Herbert Austin, der Manager einer kleinen Fabrik für Schafscher-Apparate, in Wolseley sein erstes Auto baute. Es war ein Dreirad-Fahrzeug mit einem winzigen Zwei-PS-Motor. Austin hatte sich dann 1905 in Longbridge, einem Vorort der mittelenglischen Industriestadt Birmingham, mit einer eigenen Automobilfirma selbständig gemacht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte den britischen Herstellern das Geld und der Weitblick, die veralteten und oft fast als Handwerksbetriebe operierenden Fabriken durch zeitgemäße Werke zu ersetzen. 1951 kam die erste große Konsolidierung, der Zusammenschluss von Austin und Morris zur British Motor Corporation (BMC).

Die englische Krankheit in Form endloser Teepausenstreiks, nicht eingehaltener Produktions- und Lieferziele und einer Produktivität, die sich auf dem Niveau der zwanziger Jahre bewegte, sollte jedoch in den sechziger und siebziger Jahren zum endgültigen Abstieg der einstmals in Europa an der Spitze stehenden britischen Automobilindustrie führen. Hinzu kam ein dramatischer Qualitätsabfall.

1967 suchte Rover, ein seit 1904 unabhängiger Hersteller, die Rettung durch eine Fusion mit dem Lastwagenproduzenten Leyland. Ein Jahr später kam es zum Gesamtzusammenschluss der überlebenden, rein britischen Automobilunternehmen als British Leyland.

Die britische Automobilindustrie, in der die ausländischen Hersteller wie General Motors unter der Marke Vauxhall und Ford immer wichtiger wurden, erlebte 1972 einen Gesamtausstoß von 1,9 Millionen Autos und damit auch den bisherigen Produktionshöhepunkt. Die Gesamtfertigung ist seither auf etwas mehr als eine Million Autos geschrumpft.

Danach gab es beispiellose Massenentlassungen, die Schließung von Dutzenden unrentabler Fabriken und Zubehörwerke und das unablässige Vordringen ausländischer Anbieter. Im letzten Jahr wurden in Großbritannien 1,8 Millionen Personenautos verkauft: 58 Prozent davon aus dem Ausland.

BL trennte 1982 Austin Rover und Jaguar Cars als separate Gruppen. Im Zuge der Privatisierungspolitik von Margaret Thatcher erfolgte dann 1984 der Verkauf von Jaguar. Die Aktien des Unternehmens, das mit einer brutalen Qualitätskampagne ein Comeback erreichte, wurden für eine Milliarde Mark an der Börse untergebracht.

Gleiche Pläne hatte die britische Premierministerin für die BL-Gruppe, doch hatte General Motors aufgrund der riesigen Verluste und angesichts der rüden Arbeitskampfmethoden der britischen Gewerkschaften bereits ein entsprechendes Verkaufsangebot der vorherigen Labour-Regierung unter James Callaghan abgelehnt.

Jetzt musste Maggie Thatcher beim Verkauf von Austin Rover an Ford einen Rückzug machen. Sie wird sich mit dem Verkauf von BL im Nutzfahrzeug- und Teilebereich begnügen müssen. Für BL bleibt gegenwärtig nur eine Möglichkeit: die Kooperation mit Honda zu intensivieren.

„auto motor und sport“ 5/1986

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