British Leyland - und die englische Krankheit

Spätsommer 1979, im Zweigwerk Coventry des größtes englischen Automobilherstellers British Leyland: Unruhe unter den Beschäftigten. Seit einem Jahr werden hier der Triumph Dolomite sowie die Sportwagen-Typen Spitfire und TR 7 montiert. Jetzt soll der Betrieb stillgelegt werden, weil der 50 Jahre alte Leyland-Boß Michael Edwardes, seit 1978 im Amt, die anhaltende Firmenkrise nur durch einschneidende Produktionskürzungen, eine massive Modellbereinigung und die Entlassung von 25.000 Beschäftigten überwinden will. Die Arbeiter sind sauer, aber keineswegs erstaunt. Kahlschläge gehören bei Leyland - heute BL Limited - längst zur Tagesordnung.

„Also vor einem Jahr haben sie das Werk Liverpool dicht gemacht, und seither bauen wir den TR 7“, mosert Jim Spain, gebürtiger Ire, seit 25 Jahren dabei und Gewerkschaftsvertreter. „Die lassen jetzt den Dolomite und den Spitfire auslaufen, und der TR 7 wird dann drüben im Werk Solihull weitergebaut.“

Mag schon sein, dass es so kommt, denn noch ist Leyland mit 750.000 Autos jährlich zwar Englands größte Vierradschmiede, aber Marktführer schon lange nicht mehr. 22 Prozent Anteil am Inlandsmarkt waren es 1979, im Jahr davor noch 26 und zehn Jahre früher sogar über 40 Prozent. Längst haben Ford sowie die Peugeot-/Citroen-Tochter Talbot und die General-Motors-Marke Vauxhall die Spitzenstellungen übernommen: An jedem zweiten in England verkauften Auto verdienen allein - bitter genug - ausländische Hersteller.

Diese Bilanz ist eine deutliche Quittung dafür, dass 170.000 Leyland-Arbeiter in 35 Werken unter einem halben Dutzend verschiedener Marken Autos bauen - zu viele Arbeiter, zu viele Modelle, wenig gängige Typen oft mit antiquierter Technik. Zwischen den großen Typen der kleinen Serien, etwa den Rover- und Jaguar-Nobelwagen, und dem nicht vor Ende dieses Jahres zu erwartenden Mini-Nachfolgers klafft eine riesige Lücke. Die Großserienfahrzeuge der Mittelklasse wie Allegro, Marina, Maxi oder Princess sind alles keine großen Renner.

Dabei war den Engländern ihre traditionsreiche Autoindustrie durchaus wert und teuer. Rund vier Milliarden Mark steckte die Londoner Regierung seit 1978 aus dem Steuersäckel in das schwachbrüstige Unternehmen. Doch schon fürchten Experten, dass nur ein gewaltiger Investitionsstoß von mindestens acht Milliarden Mark die veraltete Technik und die verunsicherte Belegschaft aufforsten kann. Geld, das aufgebracht werden muss; denn wollte man den Konzern untergehen lassen, müssten wohl auch die rund 2.000 Zuliefererbetriebe Konkurs anmelden: Mehr als eine Million Arbeitsplätze gingen verloren.

Die Frage nach den Ursachen der Misere führt hinaus aus den Werkshallen und mitten in britische Geschichte: in Tradition und Wirtschaftsleben. Auf den ersten Blick scheint die Insel nämlich ein soziales Paradies, denn in keiner westlichen Industrienation sind die Einkommen so gleichmäßig verteilt wie in Großbritannien. Schon 1964 verdiente das oberste Zehntel der englischen Bevölkerung nur rund 30 Prozent des Volkseinkommens - in der Bundesrepublik entfielen auf die Führungsschicht dagegen mehr als 40 Prozent. Das Land, in dem der gebürtige Trierer Karl Marx lebte, kommt von allen westlichen Nationen dem sozialistischen Ideal einer gerechten Verteilung des Volkseinkommens am nächsten.

Trotzdem herrscht jenseits des Ärmelkanals zwischen den Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer frühkapitalistischer Kriegszustand. Schuld haben beide Seiten. Trägheit der Unternehmer und Sturheit der Gewerkschaftsbosse bringen das einst so produktive Industrievolk an den Rand des Ruins. „Wenn Unternehmer und Gewerkschaften zusammenarbeiten würden“, klagt der Wirtschaftsexperte Graham Hurton, „könnten wir die Produktionskosten senken, den Export erhöhen und unseren Lebensstandard aufrechterhalten.“

Aber die beiden Seiten kommen nicht zusammen: Denn Brite zu sein, das bedeutet unter anderem auch eine fast sklavische Abhängigkeit von teils verschrobenen, teils verstaubten Traditionen. Freimütig bekannten so beispielsweise 56 Prozent aller britischen Wirtschaftsführer bei einer Meinungsumfrage, dass sie die erste berufliche Stellung nur familiären oder gesellschaftlichen Kontakten - schlicht Beziehungen - verdankten.

Die Folgen sind sichtbar. In vielen britischen Unternehmen fehlt es dem Management an fachlicher Qualifikation, ist die Firmenstruktur hoffnungslos veraltet, gelten moderne Begriffe wie Absatzplanung, Verkaufskontrolle oder Marketing bis heute als verdächtig. Jeder zweite der im Unternehmerverband organisierten leitenden Angestellten versteht nach eigenem Eingeständnis nichts oder nur wenig von seinem Geschäft. Der frühere Generaldirektor des Industrieverbandes, John Davies, gibt unumwunden zu: „England hat ziemlich spät die Notwendigkeit eingesehen, ein professionelles Management zu schaffen.“

Die Arbeitsmoral der Bosse ist entsprechend. In der Regel erscheinen sie nicht vor zehn Uhr am Schreibtisch, speisen von eins bis drei und verschwinden um fünf. Das Wochenende ist nach heiliger Tradition der Erholung reserviert.

„Wenn ein deutscher Industrieller am Freitagnachmittag merkt, dass in seinem Betrieb die Maschinen nicht ausgelastet sind, wird er am Wochenende durch Europa hetzen und neue Aufträge reinholen. Der Brite wird hingegen bestenfalls eine Extrarunde Golf spielen“, spottete ein Londoner Ex-Minister.

Lahme Unternehmer aber machen Fehler. Während beispielsweise westdeutsche Industrielle schon zwischen 1959 und 1965 fast ein Viertel ihrer Einnahmen für den Kauf neuer Maschinen, Fabrikationshallen oder Computer in die ohnehin erst nach dem Krieg aus Ruinen erstandenen Unternehmen steckten, investierten die Briten in ihre veralteten Anlagen bescheidene 17 Prozent. Nur in Österreichs Industrie werden vergleichsweise noch weniger Computer eingesetzt als in der britischen. Viele der Leyland-Fabriken sind mehr als 70 Jahre alt, ihr Maschinenpark wurde zuletzt vor 20 Jahren erneuert.

In anderen Branchen ist das Bild ähnlich. Zwei Drittel der mehr als eine Million Maschinen in der englischen Metallindustrie sind älter als zehn Jahre, ein Viertel davon stammt noch aus der Vorkriegszeit. England hängt am eisernen Plüsch. „Wenn man in Westdeutschland eine Fabrik besichtigt“, klagt ein aufgeklärter Leyland-Manager, „so zeigt der Direktor stolz seine neuesten Anlagen. In einer englischen Fabrik führt der Boss sofort seine älteste Maschine vor und brüstet sich damit, dass sie noch läuft.“

Es geht aber auch umgekehrt. In Leylands Zweigwerk Castle Bromwich, unweit von Birmingham, wurde erst kürzlich eine nagelneue Lackieranlage installiert. Bei der Einweihung lobten die Manager sie als eine der modernsten in ganz Europa - wohl wissend, dass bereits die Schließung des Werkes und Entlassung von 7.500 Beschäftigten festgeschrieben war.

Solange die Gewinne stimmten und das in Jahrhunderten britischer Kolonial- und Industrieherrlichkeit gewachsene Kapital den Rücken der Bosse stärkte, wogen solche Fehlleistungen leicht. Als jedoch nach den beiden Weltkriegen eine Kolonie nach der anderen in die politische Selbständigkeit entwich und zugleich dynamische Industriegesellschaften in Japan, auf dem Kontinent und in den USA mit ihren besseren Produktionsmitteln zu gefährlichen Konkurrenten wurden, führte Britanniens Drahtseilakt zwischen Wohlfahrtsstaat und Großmachtstreben stracks in die Krise. Der Verteilungskampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern begann immer härter zu werden.

Mehr als zehn Millionen der 26 Millionen Arbeitnehmer sind in 485 Einzelgewerkschaften organisiert - Anfang des Jahrhunderts waren es noch 1358 Arbeitnehmer-Organisationen. 245 Einzelgewerkschaften haben weniger als 500 Mitglieder, und nur 160 sind im Dachverband der „Trade Union Congresses“, hierzulande dem DGB vergleichbar, organisiert und folgen dessen Weisungen.

So gibt es eine Gewerkschaft der Korbmacher, der Küfer und sogar der Striptease-Tänzerinnen von Soho. Während bei VW die Tarifverträge ausschließlich mit der IG Metall ausgehandelt werden, muss Leyland mit mehr als 30 Gewerkschaften klarkommen.

Klar kamen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Insel jedoch bislang nur selten, denn angesichts der zwischen 1970 und 1977 um 145 Prozent gestiegenen Lebenshaltungskosten forderten die Gewerkschaften ein immer größeres Stück vom immer kleineren Kuchen. Die britischen Lohnkosten kletterten 1977 und 1978 fast doppelt so schnell wie in der Bundesrepublik. Finanzieren ließ sich dieses Verteilungsgezerre, natürlich, nur auf Kosten der Besitzenden. Ein englischer Manager muss von beispielsweise 90.000 Mark Jahresgehalt nicht weniger als 83 Prozent (Bundesrepublik 56 Prozent) Steuern bezahlen - die Rekordquote der Europäischen Neun.

Erst unlängst drohte Leyland-Chef Edwardes, mit einem Jahreseinkommen von 370.000 Mark längst jenseits der Schock-Quote, er werde England verlassen, wenn nicht binnen zwei Jahren die Steuern ermäßigt würden: „Ich kann meine Manager nicht pausenlos antreiben, wenn sie nicht fair bezahlt werden.“

Aber antreiben müsste er sie, denn bescheidener Nettoverdienst führte zwangsläufig zu eher beiläufiger Arbeitsleistung. Ein Drittel aller Manager könnte denn auch laut einer vom britischen Marktforschungsinstitut „Market and Opinion Research International“ veranlassten Umfrage „im gegenwärtigen Job ohne große Anstrengungen mehr leisten.“

Die Gewerkschaften beeindruckte solches Bekenntnis wenig. Ließen sich ihre Forderungen nicht am Verhandlungstisch durchsetzen, wurde einfach gestreikt. Auf jeweils 1.000 Beschäftigte entfielen zwischen 1967 und 1976 jährlich 788 durch Streik verlorene Arbeitstage - in Westdeutschland waren es ganze 56 Tage. Zwar streiken japanische, französische, italienische und US-Arbeiter noch häufiger als ihre britische Kollegen, aber was die auf Fortschritt getrimmte Wirtschaft dieser Länder verkraftete, war für Englands ohnehin gebremsten Wohlstand verhängnisvoll.

Der Lebensstandard sank im Vergleich zu anderen Industrieländern unaufhörlich - 1961: Rang neun,1966: Platz 13, 1971: Platz 15, 1978: Platz 18.

Dessen ungeachtet erwiesen sich die englischen Arbeiter als die eigensinnigsten Streikposten der Welt. Als beispielsweise vor zehn Jahren in den Londoner Docks Gabelstapler eingeführt wurden, traten die Ladearbeiter in den Ausstand. Erfolg: Voll bezahlt, doch untätig, trotteten 14 Männer hinter jedem Gerät her, das ihre Arbeit übernahm.

Erst 1979 flimmerten auch über bundesdeutsche Fernsehschirme die Bilder von aufgetürmten Müllbergen in Londons Straßen; die Schulen blieben geschlossen, todkranke Patienten wurden nicht mehr operiert, Tote nicht mehr beerdigt. In manchen Gemeinden floss ungeklärtes Wasser aus den Leitungen.

Rückendeckung verleiht den Gewerkschaften der „Trade Disputes Act“ aus dem Jahr 1906: „Für die Folgen eines Streiks“, so besagt der wichtige Paragraph dieses Gesetzes, „kann kein Arbeiter und keine Gewerkschaft haftbar gemacht werden.“ Den Nutzen daraus ziehen vor allem jene Arbeiter, denen irgend etwas nicht passt. Und die arbeiten auffällig oft bei Leyland.

So wollte die Direktion im Zweigwerk Birmingham einige Arbeiter der Nachtschicht fristlos entlassen, weil sie das Fließband abgestellt und sich schlafen gelegt hatten. Ein drohender Streik der Kollegen erzwang die Weiterbeschäftigung. Weil sie eine Tür zu ihrem Aufenthaltsraum wünschten, streikten erst 167, dann alle 3.000 Beschäftigte des Rover-Zweigwerkes in Solihull - einer neuen Leyland-Fabrik. In der Liverpooler Niederlassung wiederum streikten die Arbeiter, um über Duftmarken zu palavern, die streunende Katzen im Werksgelände zu setzen pflegten.

Neun von zehn Streiks sind wildest-strikes, wilde Streiks ohne die Genehmigung der Gewerkschaftsführung. „Der Streik war in der Vergangenheit das letzte Mittel für Männer, die ein echtes Problem hatten“, lamentierte sogar die linke Tageszeitung „Daily Mirror“, „jetzt sind wilde Streiks das erste Mittel von Männern, die zu ungeduldig sind, um zu verhandeln.“

Als fatal erweist sich, das die Streiklust auch Unfähige vor Entlassung schützt. Der Wirtschaftler Allan Flaunders aus der Universitätsstadt Oxford schätzt, dass in britischen Unternehmen 40 Prozent der Arbeiter überflüssig sind. So erbringt ein englischer Chemiearbeiter nur 77 Prozent, ein Stahlarbeiter gar nur 70 Prozent der Leistung seines bundesdeutschen Kollegen. Ganze fünf Autos schraubt, statistisch betrachtet, ein Leyland-Arbeiter pro Jahr zusammen. Beim italienischen Fiat-Konzern, kaum weniger von Streiks gebeutelt, sind es vergleichsweise immerhin 8,1 Autos.

Nichts konnte vor diesem Hintergrund die fast zwangsläufige Talfahrt bremsen. Die ehemals berühmte englische Motorradindustrie ist pleite, praktisch verschwunden. Wurde 1955 noch weltweit jedes vierte Schiff auf einer britischen Werft gebaut, sank inzwischen der Anteil auf unter fünf Prozent.

Zunehmend der Bedeutungslosigkeit verfällt der Automobilbau der einst mächtigsten Industrienation der Geschichte, die vor 120 Jahren die Hälfte der Weltkohleförderung bestritt, über 50 Prozent der Welthandelsflotte betrieb und ein Viertel der installierten Dampfkraft besaß. Von elf auf fünf Prozent rutschte der Weltmarktanteil der britischen Autobranche in den vergangenen 15 Jahren ab.

Den Rückwärtsgang eingelegt hatten Britanniens Autobauer eigentlich schon, als ihre Vehikel noch vorwärts fuhren und vor genau 70 Jahren die Firma Morris als Urzelle des heutigen Leyland-Konzerns gegründet wurde.

Damals stieg der Fahrradhändler Richard Morris in dem Dörfchen Cowley in Oxfordshire auf die noch junge Autobranche um - mit geliehenen 2.000 Pfund. Die in einer ehemaligen Volksschule untergebrachte Morris-Werkstatt konnte bald nicht so viele Autos liefern, wie die Kundschaft kaufen wollte. 164 Pfund, nach heutigem Geldwert etwa 2.000 Mark, kostete jener Morris Oxford, der bald ebenso zum britischen Straßenbild gehörte wie die königliche Pferdekutsche. 1920 fanden bereits 2.000 Wagen reißenden Absatz, obschon sich der Preis inzwischen verdoppelt hatte. Die Autoindustrie wurde zur britischen Wachstumsbranche.

1926 bot sogar der US-Autokonzern General Motors - auf der Suche nach einem europäischen Stützpunkt - dem Selfmademan Morris elf Millionen Pfund für seine junge Firma. Der aber lehnte ab und wurde dafür vom Königshaus als einer der ersten Industriebosse Englands in den Adelsstand erhoben.

Doch dieses Bild trog. Morris war von der überschwappenden Welle automobilistischer Begeisterung auf die Höhe seines Erfolgs getragen worden, nicht aber durch seine eigenen Fähigkeiten als Manager. Sein Lebensstil kam nie über das Niveau eines Fahrradhändlers hinaus. Sein Büro blieb das alte Rektorzimmer der Volksschule. Am liebsten machte er alles selbst und delegierte keine Verantwortung. Die Buchhaltung war eine Zettelsammlung, technische Pläne bestanden aus hastig gekritzelten Skizzen. Und als 1939 sein Stellvertreter L.P. Lord energisch zeitgemäße Führungspraktiken forderte, gab es Krach. Lord kündigte, wechselte zur bereits 1906 gegründeten Austin Motor Company und lieferte sich als deren Präsident erbitterte Konkurrenzschlachten mit seinem ehemaligen Arbeitgeber.

Den fälligen Zusammenschluss der beiden Konkurrenten schob nur noch der Zweite Weltkrieg hinaus, denn unter dem Schutzschild der 1940 staatlich verordneten Notwirtschaft ließ sich prächtig leben: Die Rohstoffe wurden zugeteilt, die Produkte rationiert, die Preise verordnet. Wettbewerb fand praktisch nicht mehr statt.

Morris wie Austin konnten produzieren, was sie wollten, wie sie wollten, verkauft wurden ihre Autos auf jeden Fall. „Die Selbstzufriedenheit,  mit der die führenden Unternehmen diese Situation hinnahmen, veranlasste jedoch einige Leute zum Nachdenken. Wie würden derart geschützte Industrien im Wettbewerb mit amerikanischen und europäischen Konkurrenten abschneiden?“, fragte der britische Wissenschaftler und Verwaltungskritiker Northcote C. Parkinson.

Es blieb nicht beim Nachdenken. Nach Kriegsende wurden per Gesetz künstlich überhöhte Preise abgeschafft, mussten Handelsabsprachen gemeldet werden. Viel geschah zwar nicht, um der Planwirtschaft den Garaus zu machen, aber es genügte. Ohne den Rückenwind staatlich abgesicherter Preise und den Vorteil des kolonialen Absatzmarktes konnte keiner der Rivalen Morris und Austin alleine überleben. Es genügte, um beide 1951 unter das gemeinsame Dach der neuen British Motor Company (BMC) zu zwingen.

Die Neuordnung hatte anregende Wirkung. So stand BMC hinter dem Briten Donald Campbell, als dieser 1964 mit einem 5.000 PS starken Vehikel und 648,58 km/h einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord zu Lande aufstellte.

Bei der Rallye Monte Carlo siegten die Mini Cooper der BMC gleich 1964 und 1965 hintereinander: Jedes Fahrzeug war für 17.000 Mark aufgerüstet worden, und über 100.000 Mark wurden in die Organisation gesteckt. Der Doppelerfolg brachte dem Werk in Europa innerhalb eines Jahres um 16 Millionen Mark höhere Einnahmen; der Umsatz auf dem Kontinent verdreifachte sich.

Die Gewinne reichten für den isolierten Markt jenseits des Kanals, für Weltniveau war es indessen zu wenig. Wie Renault, Fiat oder Ford konnten zwar auch die BMC-Grundsteine Austin und Morris ihre Entstehungsgeschichte bis zum Beginn des Automobilzeitalters zurückverfolgen. Doch die historischen Konkurrenten hatten es schon längst zu fortschrittlicher Technik, durchrationalisierten Produktionsmethoden und weltweiter Absatzstrategie gebracht, die Briten aber nicht. Dass etwas geschehen musste, signalisierte den staatlichen Industrieplanern 1965 der Aufkauf der britischen Autofirma Rootes durch den amerikanischen Chrysler-Konzern, denn er legte massive Fehler der amtlichen Kontrolleure bloß.

Von den eher der irrationalen Angst vor ausländischer Konkurrenz als gezielter Planung entspringenden „Empfehlungen“ der Ministerien getrieben, hatten die Brüder William und Reginald Rootes ein neues Werk in Linwood in der Grafschaft Renfrewshire errichtet - ein schwerer Fehler, wie sich bald zeigte. Die unterschiedlichen Interessen von fünf verschiedenen Ministerien, die Unfähigkeit der Staatsbürokratie zu kühler Einsicht, provozierten den Fehlgriff. Im Hinterland der Linwood-Fabrik gab es fast ausschließlich ungelernte Arbeitskräfte. Streiks unter der neuen Belegschaft zehrten an der ohnehin dünnen Kapitaldecke. Am Ende war der Zusammenbruch nicht mehr zu vermeiden. Anstatt die drohende Weltmarkt-Konkurrenz abzuwehren, hatten die Briten mit Chrysler einen Konkurrenten ins eigene Land geholt.

„Die Aufregung über die Chrysler-Rootes-Fusion brachte Premier Harald Wilson und seine Minister zu der Überzeugung, dass sich unerwünschte Firmenzusammenschlüsse am ehesten dadurch vermeiden ließen, indem man ihnen mit Fusionen im Interesse der Öffentlichkeit zuvorkam“, glaubt Kritiker Northcote Parkinson. Mit anderen Worten: Englands Staatsmanager hatten nichts aus ihren Fehlern gelernt. Sie mochten weiterhin nichts dem freien Wettbewerb überlassen und wollten die Wirtschaft ihres Landes auch künftig an der kurzen Leine gängeln. Als Konsequenz kam es 1966 zur Gründung der „Industrial Reorganization Corporation“ (IRC), einer Art Ministerium, das den Firmen ihre Handels- und Fusionspartner vorschreiben sollte. Wo immer sich Schwachstellen in Englands Industrien und Stärken ausländischer Konkurrenten offenbarten, griff die IRC ein.

Technologie-Minister Wegdwood Benn, als Labour-Mann zuvor für das Postressort verantwortlich, schuf schnell einen Beamtenapparat, der an Größe und Einfluss nur noch in den USA und der Sowjetunion übertroffen wurde. Seine Milliardensubventionen retteten erst die Flugzeugindustrie, dann die Aluminiumbranche vor handfestem Wettbewerb. Reedereien erhielten für Schiffsneubauten bis zu 45 Prozent Staatsbeihilfen, die Computerindustrie wurde zur größten der Welt aufgebläht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Reihe auch an der Autoindustrie war.

Dort litt BMC unter ständiger Atemnot. Lange Lieferfristen und miserabler Service verärgerte vor allem die ausländische Kundschaft. So konnten die BMC-Manager auf ihrem wichtigsten Auslandsmarkt, den USA, im ersten Halbjahr 1968 nur 300 Wagen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres absetzen. Hauptgrund: verspätete Auslieferung fest bestellter Wagen. „Nur ein wendigeres Management, rationellere Produktionsmethoden und harte Arbeit könnten Britanniens Wirtschaft sanieren“, warnte Edward Denison vom Brooking-Institut in Washington.

Es gab eine englische Firma, die alle drei Vorzüge vorweisen konnte: Die Leyland Motor Corporation in dem mittelenglischen Städtchen Grantham mit ihrer gewinnbringenden Omnibus- und Lastwagen-Produktion sowie den Personenwagenmarken Rover und Triumph.

Sogar beim Bau des ersten westdeutschen Schützenpanzers HS 30 für die Ende der fünfziger Jahre in der Adenauer-Ära aufrüstende Bundeswehr war Leyland mit von der Partie gewesen. Jetzt sollte das gesunde Unternehmen die kranken Reste der britischen Autoindustrie aus der Talsohle schleppen.

Im Januar 1968 war es so weit. Leyland nahm außer der Nobelmarke Rolls Royce praktisch alle übrigen Autohersteller mit ihren Austin, Jaguar, Morris, MG, Wolseley und Riley unter die Fittiche. Insgesamt 79 Zweigwerke mit 200.000 Beschäftigten und einer Jahresproduktion im Wert von zehn Milliarden Mark kamen zusammen. Europas größter Freund von Firmenzusammenschlüssen, Fiat-Boss Giovanni Agnelli, lobte: „Jetzt sind wenigstens die Engländer stark.“

Es schien, wenigstens zu Anfang, tatsächlich so. Schon im Dezember des gleichen Jahres schickte sich der neue Leyland-Chef Sir Donald Stokes an, die bundesdeutschen Lastwagenhersteller Hanomag und Henschel aufzukaufen - beide im Besitz des Essener Rheinstahl-Konzerns und vom heutigen VW-General Toni Schmücker geleitet. Dabei ging es Stokes nicht um die 4.000 Arbeitsplätze, er war nur an den 840 Verkaufsstützpunkten der Rheinstahl-Töchter interessiert. Über sie sollten Leyland-Lastwagen zu deutschen Käufern gesteuert werden.

Schmücker schlug Alarm und machte nach eigenem Bekenntnis „die alten Säcke in Untertürkheim wach“: In einer Blitzaktion übernahm die Stuttgarter Daimler-Benz AG 51 Prozent des Kapitals der bedrohten Lastwagenfabriken, um den Briten die Zufahrt nach Deutschland abzuriegeln.

Damit endete Leylands bis heute einziger Expansionsversuch. Die Entwicklung schlug eher ins Gegenteil um. Ratenweise mussten die Briten einen Auslandsmarkt nach dem anderen räumen. Erst wurden die Leyland-Fabriken in Australien aufgegeben - Kosten 88 Millionen Mark; dann gingen die konkursbedrohten Spanien-Niederlassungen an den US-Autogiganten General Motors. Eine Rettungsaktion für den 1969 drittgrößten Automobilhersteller Europas nach VW und Fiat musste in Gang gesetzt werden.

10.000 Arbeiter wurden entlassen, die Zahl der Zweigwerke wurde auf 55 verringert. Nur durch akrobatische Buchungstricks brachten die Leyland-Kassierer noch Jahresüberschüsse zusammen, um dem Unternehmen die Gunst der Banken und des Kapitalmarktes zu erhalten. 1973 wies die Bilanz bescheidene 20 Millionen Mark als Gewinn aus - VW erwirtschaftete im gleichen Jahr, im Schatten des ersten Öl-Embargos, immerhin noch fünfmal so viel. 1974 musste die Londoner Regierung mit 300 Millionen einspringen, als durch massive Absatzschwierigkeiten eine Dreitagewoche erzwungen wurde. Auf nochmals zwei Milliarden Mark wurde der Kapitalbedarf für dringend notwendige Modernisierungen geschätzt. Hatte Leyland 1973 noch knapp eine halbe Million Autos verkauft, waren es im Jahr darauf nicht einmal mehr 400.000.

Alle Rettungsversuche mussten aber schließlich an streikenden Arbeitern scheitern. Vor allem wilde Streiks in den für die Gesamtproduktion wichtigen Teilbereichen legten ganze Werke lahm: So gefährdete eine Handvoll Arbeiter in der Motorenmontage die Zukunft des Werkes Cowley; der Ausstand von 100 Arbeitern des Bremsen-Zulieferers Girling stoppte die gesamte Jaguar-Fertigung; massive Lohnforderungen von bis zu 40 Prozent zerrten an der dünnen Finanzdecke.

„British Leyland-Arbeiter“, so glossierte ein Branchenwitz die Streiklust mit bis zu 700 Arbeitsniederlegungen im Jahr, „brauchen an den Werkstoren nicht mehr die Stechuhren zu drücken, sie tragen sich nur noch ins Gästebuch ein.“

Was in der Bundesrepublik mit Sicherheit landesweit politische Unruhen ausgelöst hätte, ließ die Briten freilich gelassen, denn schließlich blieb ja noch der Staat als Rettungsanker. Die Gewerkschaften hatten ohnehin schon lange ihre Zustimmung zu einer Verstaatlichung der Leyland-Firma angemeldet.

Deshalb war niemand mehr überrascht, als Sir Donald Stokes 1974 den Offenbarungseid leistete und seinen Bittgang ins Technologie-Ministerium antrat. Eine Sonderkommission unter Leitung des Industrieberaters Don Ryder klopfte die tönernen Füße des Riesen ab und arbeitete Empfehlungen zur Abfindung der 227.000 Leyland-Aktionäre aus: 1975 ging das Unternehmen dann in den Besitz der Nation über. Doch außer der Tatsache, dass seither Englands Steuerzahler für die Verluste aufkommen müssen, änderte sich wenig. Finanzspritzen von vier Milliarden Mark aus der Staatskasse seit 1975 konnten den Konzern nicht auf geraden Kurs bringen.

Streiks, veraltete Produktionsanlagen und ungenügende Arbeitsleistung bestimmten weiterhin die Szene. „Alle Welt weiß natürlich, wie man ein Autounternehmen führt, aber wenn wir Gaszähler hergestellt oder Brücken gebaut hätten, dann hätte man uns wenigstens in Ruhe gelassen“, murrte der mehr an Technik als an Design und Absatz interessierte Stokes über den staatlich verordneten Niedergang.

1978 musste auch er, inzwischen 65 Jahre alt, gehen. Nachfolger Michael Edwardes hatte seine Erfahrungen bei Renault gesammelt und verordnete dem siechen Unternehmen, nicht anders als seine Vorgänger, erst einmal eine Entschlackungs­kur. Erstes Rationalisierungsopfer: der inzwischen seit einem halben Jahrhundert gebaute MG-Sportwagen. Der MG - Abkürzung für Morris Garages - war britische Autotechnik par excellence, aber weder der Schönste noch Schnellste seiner Gattung. Dafür entwickelte er sich rasch als eine Art Markenzeichen wetterharter Pfeifenraucher - technisches Talent vorausgesetzt, denn bei älteren Modellen fielen irgendwann einmal die hölzernen Bodenplatten aus dem Fahrzeug­rahmen. Nach einer halben Million Exemplaren legte Edwardes das MG-Werk in Abingdon still, „weil uns einfach das Geld fehlt, um Verlierer durchzuschleppen.“

Geld - genau 1,53 Milliarden Mark verteilt auf die nächsten vier Jahre - sagte auch Londons Regierung wie schon bei allen vorangegangenen Sanierungsversuchen wieder zu. Und abermals standen auch Massenentlassungen sowie Werks­stillegungen auf dem Programm. Neu war nicht viel.

Wirklich schien eigentlich nur die Reaktion der Belegschaft. Edwardes hatte sie im November 1978 über seine Absichten abstimmen lassen und mit 87 Prozent eine überwältigende Zustimmung gefunden. Die verlusttreibenden Streiks schienen besserer Einsicht gewichen zu sein.

Doch es schien nur so. Denn da arbeitete ein gewisser Derek Robinson bei Leyland, 52 Jahre alt, seit 30 Jahren im Betrieb, politisch extrem linkslastig und Führer sämtlicher 860 gewerkschaftlichen Vertrauensleute bei Leyland. Robinson wollte die Pro-Edwardes-Abstimmung nicht anerkennen und protestierte mit Flugblättern gegen die Gesundschrumpfung: „Man möge denjenigen, die mit Ja gestimmt haben, vergeben, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die Firmenleitung schlug zurück, entließ Robinson fristlos und provozierte damit die Arbeitsniederlegung von 30.000 Beschäftigten. Wieder einmal wurde gestreikt.

Aber Edwardes ließ sich nicht einschüchtern, selbst nicht, als die Transportarbeiter-Gewerkschaft schon den Totalstreik ausrief. Gestützt auf die Vier-Fünftel-Zustimmung der Belegschaft zu seinen Plänen, stellte er die Streikenden vor die Wahl: „Entweder weiterarbeiten oder fristlose Entlassung.“ Die Streikenden kehrten an ihre Maschinen zurück.

Inzwischen sieht es so aus, als habe auch dieser längst überfällige Kraftakt um wenigstens ein Jahrzehnt zu spät stattgefunden. Leylands Anteil am Markt dürfte nämlich 1980 erstmals unter die 20-Prozent-Marke abrutschen. Das Management steht vor der Entscheidung, den Massenmarkt aufzugeben und sich ganz auf die kleinen Spezialmärkte der Jaguar und Rover zu konzentrieren, oder wenigstens eine Überleitungsaktion zu versuchen, deren Erfolg allerdings niemand vorherzusagen wagt.

Die Neuentwicklung eines Mittelklassewagens wäre kaum vor Ende 1983 abzuschließen. Auch der Versuch, einen potenten Partner auf dem Kontinent, etwa Renault oder VW, zur Zusammenarbeit zu gewinnen, scheiterte mangels Interesse. So machte sich Edwardes im vergangenen Herbst auf den Weg nach Tokio zu Verhandlungen, die nach Ansicht des britischen Motor-Journalisten Graham Turner von der Tageszeitung „Daily Mail“ den „Stolz Englands als Autonation in tiefster Seele verwunden“ mussten: Honda, vor allem durch seine Motorradproduktion etwa ebenso groß wie Leyland, hatte seine Kooperation angeboten.

Kurz vor Weihnachten 1979 wurde der Vertrag unterschrieben. Was für Leyland „eine technische und geschäftliche Zusammenarbeit“ bedeutet und ab 1981 durch den Bau des Honda-Modells Bounty 3.000 Arbeitsplätze im Werk Cowley sichern soll, ist für den Partner in Tokio der erste Schritt westwärts. Bislang hatten sich die japanischen Autohersteller bereiterklärt, nicht mehr als zehn bis elf Prozent des britischen Gesamtabsatzes ins Land zu bringen. Nun, da ein Honda-Fahrzeug zu mehr als 50 Prozent aus in Großbritannien gefertigten Teilen bestehen wird, ließe sich dieses Verkaufslimit elegant umgehen.

Skeptiker sehen um einiges weiter. Für einen Pariser Renault-Manager ist „British Leyland wie ein Patient auf der Intensivstation, der nur noch durch Schläuche und Kabel am Leben gehalten wird. Wenn da einer den Stromstecker rauszieht, ist es aus.“ Und dann, so fürchten die Fachleute, sind die Japaner endgültig da. Immerhin konnten sie mit dem Leyland-Abkommen ihren ersten Produktionsstützpunkt innerhalb der EG verwirklichen - für die Briten vielleicht der Anfang vom bitteren Ende.

„auto motor und sport“ 9/1980

 

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