British Leyland - und die englische Krankheit
Spätsommer 1979, im
Zweigwerk Coventry des größtes englischen
Automobilherstellers
British Leyland: Unruhe unter den Beschäftigten. Seit einem Jahr werden
hier der Triumph Dolomite sowie die Sportwagen-Typen Spitfire und TR 7
montiert. Jetzt soll der Betrieb stillgelegt werden, weil der 50 Jahre
alte Leyland-Boß Michael Edwardes, seit 1978 im Amt, die anhaltende
Firmenkrise nur durch einschneidende Produktionskürzungen, eine massive
Modellbereinigung und die Entlassung von 25.000 Beschäftigten überwinden
will. Die Arbeiter sind sauer, aber keineswegs erstaunt. Kahlschläge
gehören bei Leyland - heute BL Limited - längst zur Tagesordnung.
„Also vor einem Jahr haben
sie das Werk Liverpool dicht gemacht, und seither bauen wir den TR 7“,
mosert Jim Spain, gebürtiger Ire, seit 25 Jahren dabei und
Gewerkschaftsvertreter. „Die lassen jetzt den Dolomite und den Spitfire
auslaufen, und der TR 7 wird dann drüben im Werk Solihull weitergebaut.“
Mag schon sein, dass es so
kommt, denn noch ist Leyland mit 750.000 Autos jährlich zwar Englands
größte Vierradschmiede, aber Marktführer schon lange nicht mehr. 22
Prozent Anteil am Inlandsmarkt waren es 1979, im Jahr davor noch 26 und
zehn Jahre früher sogar über 40 Prozent. Längst haben Ford sowie die
Peugeot-/Citroen-Tochter Talbot und die General-Motors-Marke Vauxhall
die Spitzenstellungen übernommen: An jedem zweiten in England verkauften
Auto verdienen allein - bitter genug - ausländische Hersteller.
Diese Bilanz ist eine
deutliche Quittung dafür, dass 170.000 Leyland-Arbeiter in 35 Werken
unter einem halben Dutzend verschiedener Marken Autos bauen - zu viele
Arbeiter, zu viele Modelle, wenig gängige Typen oft mit antiquierter
Technik. Zwischen den großen Typen der kleinen Serien, etwa den Rover-
und Jaguar-Nobelwagen, und dem nicht vor Ende dieses Jahres zu
erwartenden Mini-Nachfolgers klafft eine riesige Lücke. Die
Großserienfahrzeuge der Mittelklasse wie Allegro, Marina, Maxi oder
Princess sind alles keine großen Renner.
Dabei war den Engländern
ihre traditionsreiche Autoindustrie durchaus wert und teuer. Rund vier
Milliarden Mark steckte die Londoner Regierung seit 1978 aus dem
Steuersäckel in das schwachbrüstige Unternehmen. Doch schon fürchten
Experten, dass nur ein gewaltiger Investitionsstoß von mindestens acht
Milliarden Mark die veraltete Technik und die verunsicherte Belegschaft
aufforsten kann. Geld, das aufgebracht werden muss; denn wollte man den
Konzern untergehen lassen, müssten wohl auch die rund 2.000
Zuliefererbetriebe Konkurs anmelden: Mehr als eine Million Arbeitsplätze
gingen verloren.
Die Frage nach den
Ursachen der Misere führt hinaus aus den Werkshallen und mitten in
britische Geschichte: in Tradition und Wirtschaftsleben. Auf den ersten
Blick scheint die Insel nämlich ein soziales Paradies, denn in keiner
westlichen Industrienation sind die Einkommen so gleichmäßig verteilt
wie in Großbritannien. Schon 1964 verdiente das oberste Zehntel der
englischen Bevölkerung nur rund 30 Prozent des Volkseinkommens - in der
Bundesrepublik entfielen auf die Führungsschicht dagegen mehr als 40
Prozent. Das Land, in dem der gebürtige Trierer Karl Marx lebte, kommt
von allen westlichen Nationen dem sozialistischen Ideal einer gerechten
Verteilung des Volkseinkommens am nächsten.
Trotzdem herrscht jenseits
des Ärmelkanals zwischen den Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer
frühkapitalistischer Kriegszustand. Schuld haben beide Seiten. Trägheit
der Unternehmer und Sturheit der Gewerkschaftsbosse bringen das einst so
produktive Industrievolk an den Rand des Ruins. „Wenn Unternehmer und
Gewerkschaften zusammenarbeiten würden“, klagt der Wirtschaftsexperte
Graham Hurton, „könnten wir die Produktionskosten senken, den Export
erhöhen und unseren Lebensstandard aufrechterhalten.“
Aber die beiden Seiten
kommen nicht zusammen: Denn Brite zu sein, das bedeutet unter anderem
auch eine fast sklavische Abhängigkeit von teils verschrobenen, teils
verstaubten Traditionen. Freimütig bekannten so beispielsweise 56
Prozent aller britischen Wirtschaftsführer bei einer Meinungsumfrage,
dass sie die erste berufliche Stellung nur familiären oder
gesellschaftlichen Kontakten - schlicht Beziehungen - verdankten.
Die Folgen sind sichtbar.
In vielen britischen Unternehmen fehlt es dem Management an fachlicher
Qualifikation, ist die Firmenstruktur hoffnungslos veraltet, gelten
moderne Begriffe wie Absatzplanung, Verkaufskontrolle oder Marketing bis
heute als verdächtig. Jeder zweite der im Unternehmerverband
organisierten leitenden Angestellten versteht nach eigenem Eingeständnis
nichts oder nur wenig von seinem Geschäft. Der frühere Generaldirektor
des Industrieverbandes, John Davies, gibt unumwunden zu: „England hat
ziemlich spät die Notwendigkeit eingesehen, ein professionelles
Management zu schaffen.“
Die Arbeitsmoral der Bosse
ist entsprechend. In der Regel erscheinen sie nicht vor zehn Uhr am
Schreibtisch, speisen von eins bis drei und verschwinden um fünf. Das
Wochenende ist nach heiliger Tradition der Erholung reserviert.
„Wenn ein deutscher
Industrieller am Freitagnachmittag merkt, dass in seinem Betrieb die
Maschinen nicht ausgelastet sind, wird er am Wochenende durch Europa
hetzen und neue Aufträge reinholen. Der Brite wird hingegen bestenfalls
eine Extrarunde Golf spielen“, spottete ein Londoner Ex-Minister.
Lahme Unternehmer aber
machen Fehler. Während beispielsweise westdeutsche Industrielle schon
zwischen 1959 und 1965 fast ein Viertel ihrer Einnahmen für den Kauf
neuer Maschinen, Fabrikationshallen oder Computer in die ohnehin erst
nach dem Krieg aus Ruinen erstandenen Unternehmen steckten, investierten
die Briten in ihre veralteten Anlagen bescheidene 17 Prozent. Nur in
Österreichs Industrie werden vergleichsweise noch weniger Computer
eingesetzt als in der britischen. Viele der Leyland-Fabriken sind mehr
als 70 Jahre alt, ihr Maschinenpark wurde zuletzt vor 20 Jahren
erneuert.
In anderen Branchen ist
das Bild ähnlich. Zwei Drittel der mehr als eine Million Maschinen in
der englischen Metallindustrie sind älter als zehn Jahre, ein Viertel
davon stammt noch aus der Vorkriegszeit. England hängt am eisernen
Plüsch. „Wenn man in Westdeutschland eine Fabrik besichtigt“, klagt ein
aufgeklärter Leyland-Manager, „so zeigt der Direktor stolz seine
neuesten Anlagen. In einer englischen Fabrik führt der Boss sofort seine
älteste Maschine vor und brüstet sich damit, dass sie noch läuft.“
Es geht aber auch
umgekehrt. In Leylands Zweigwerk Castle Bromwich, unweit von Birmingham,
wurde erst kürzlich eine nagelneue Lackieranlage installiert. Bei der
Einweihung lobten die Manager sie als eine der modernsten in ganz Europa
- wohl wissend, dass bereits die Schließung des Werkes und Entlassung
von 7.500 Beschäftigten festgeschrieben war.
Solange die Gewinne
stimmten und das in Jahrhunderten britischer Kolonial- und
Industrieherrlichkeit gewachsene Kapital den Rücken der Bosse stärkte,
wogen solche Fehlleistungen leicht. Als jedoch nach den beiden
Weltkriegen eine Kolonie nach der anderen in die politische
Selbständigkeit entwich und zugleich dynamische Industriegesellschaften
in Japan, auf dem Kontinent und in den USA mit ihren besseren
Produktionsmitteln zu gefährlichen Konkurrenten wurden, führte
Britanniens Drahtseilakt zwischen Wohlfahrtsstaat und Großmachtstreben
stracks in die Krise. Der Verteilungskampf zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern begann immer härter zu werden.
Mehr als zehn Millionen
der 26 Millionen Arbeitnehmer sind in 485 Einzelgewerkschaften
organisiert - Anfang des Jahrhunderts waren es noch 1358
Arbeitnehmer-Organisationen. 245 Einzelgewerkschaften haben weniger als
500 Mitglieder, und nur 160 sind im Dachverband der „Trade Union
Congresses“, hierzulande dem DGB vergleichbar, organisiert und folgen
dessen Weisungen.
So gibt es eine
Gewerkschaft der Korbmacher, der Küfer und sogar der
Striptease-Tänzerinnen von Soho. Während bei VW die Tarifverträge
ausschließlich mit der IG Metall ausgehandelt werden, muss Leyland mit
mehr als 30 Gewerkschaften klarkommen.
Klar kamen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer auf der Insel jedoch bislang nur selten, denn angesichts
der zwischen 1970 und 1977 um 145 Prozent gestiegenen
Lebenshaltungskosten forderten die Gewerkschaften ein immer größeres
Stück vom immer kleineren Kuchen. Die britischen Lohnkosten kletterten
1977 und 1978 fast doppelt so schnell wie in der Bundesrepublik.
Finanzieren ließ sich dieses Verteilungsgezerre, natürlich, nur auf
Kosten der Besitzenden. Ein englischer Manager muss von beispielsweise
90.000 Mark Jahresgehalt nicht weniger als 83 Prozent (Bundesrepublik 56
Prozent) Steuern bezahlen - die Rekordquote der Europäischen Neun.
Erst unlängst drohte
Leyland-Chef Edwardes, mit einem Jahreseinkommen von 370.000 Mark längst
jenseits der Schock-Quote, er werde England verlassen, wenn nicht binnen
zwei Jahren die Steuern ermäßigt würden: „Ich kann meine Manager nicht
pausenlos antreiben, wenn sie nicht fair bezahlt werden.“
Aber antreiben müsste er
sie, denn bescheidener Nettoverdienst führte zwangsläufig zu eher
beiläufiger Arbeitsleistung. Ein Drittel aller Manager könnte denn auch
laut einer vom britischen Marktforschungsinstitut „Market and Opinion
Research International“ veranlassten Umfrage „im gegenwärtigen Job ohne
große Anstrengungen mehr leisten.“
Die Gewerkschaften
beeindruckte solches Bekenntnis wenig. Ließen sich ihre Forderungen
nicht am Verhandlungstisch durchsetzen, wurde einfach gestreikt. Auf
jeweils 1.000 Beschäftigte entfielen zwischen 1967 und 1976 jährlich 788
durch Streik verlorene Arbeitstage - in Westdeutschland waren es ganze
56 Tage. Zwar streiken japanische, französische, italienische und
US-Arbeiter noch häufiger als ihre britische Kollegen, aber was die auf
Fortschritt getrimmte Wirtschaft dieser Länder verkraftete, war für
Englands ohnehin gebremsten Wohlstand verhängnisvoll.
Der Lebensstandard sank im
Vergleich zu anderen Industrieländern unaufhörlich - 1961: Rang
neun,1966: Platz 13, 1971: Platz 15, 1978: Platz 18.
Dessen ungeachtet erwiesen
sich die englischen Arbeiter als die eigensinnigsten Streikposten der
Welt. Als beispielsweise vor zehn Jahren in den Londoner Docks
Gabelstapler eingeführt wurden, traten die Ladearbeiter in den Ausstand.
Erfolg: Voll bezahlt, doch untätig, trotteten 14 Männer hinter jedem
Gerät her, das ihre Arbeit übernahm.
Erst 1979 flimmerten auch
über bundesdeutsche Fernsehschirme die Bilder von aufgetürmten
Müllbergen in Londons Straßen; die Schulen blieben geschlossen,
todkranke Patienten wurden nicht mehr operiert, Tote nicht mehr
beerdigt. In manchen Gemeinden floss ungeklärtes Wasser aus den
Leitungen.
Rückendeckung verleiht den
Gewerkschaften der „Trade Disputes Act“ aus dem Jahr 1906: „Für die
Folgen eines Streiks“, so besagt der wichtige Paragraph dieses Gesetzes,
„kann kein Arbeiter und keine Gewerkschaft haftbar gemacht werden.“ Den
Nutzen daraus ziehen vor allem jene Arbeiter, denen irgend etwas nicht
passt. Und die arbeiten auffällig oft bei Leyland.
So wollte die Direktion im
Zweigwerk Birmingham einige Arbeiter der Nachtschicht fristlos
entlassen, weil sie das Fließband abgestellt und sich schlafen gelegt
hatten. Ein drohender Streik der Kollegen erzwang die
Weiterbeschäftigung. Weil sie eine Tür zu ihrem Aufenthaltsraum
wünschten, streikten erst 167, dann alle 3.000 Beschäftigte des
Rover-Zweigwerkes in Solihull - einer neuen Leyland-Fabrik. In der
Liverpooler Niederlassung wiederum streikten die Arbeiter, um über
Duftmarken zu palavern, die streunende Katzen im Werksgelände zu setzen
pflegten.
Neun von zehn Streiks sind
wildest-strikes, wilde Streiks ohne die Genehmigung der
Gewerkschaftsführung. „Der Streik war in der Vergangenheit das letzte
Mittel für Männer, die ein echtes Problem hatten“, lamentierte sogar die
linke Tageszeitung „Daily Mirror“, „jetzt sind wilde Streiks das erste
Mittel von Männern, die zu ungeduldig sind, um zu verhandeln.“
Als fatal erweist sich,
das die Streiklust auch Unfähige vor Entlassung schützt. Der
Wirtschaftler Allan Flaunders aus der Universitätsstadt Oxford schätzt,
dass in britischen Unternehmen 40 Prozent der Arbeiter überflüssig sind.
So erbringt ein englischer Chemiearbeiter nur 77 Prozent, ein
Stahlarbeiter gar nur 70 Prozent der Leistung seines bundesdeutschen
Kollegen. Ganze fünf Autos schraubt, statistisch betrachtet, ein
Leyland-Arbeiter pro Jahr zusammen. Beim italienischen Fiat-Konzern,
kaum weniger von Streiks gebeutelt, sind es vergleichsweise immerhin 8,1
Autos.
Nichts konnte vor diesem
Hintergrund die fast zwangsläufige Talfahrt bremsen. Die ehemals
berühmte englische Motorradindustrie ist pleite, praktisch verschwunden.
Wurde 1955 noch weltweit jedes vierte Schiff auf einer britischen Werft
gebaut, sank inzwischen der Anteil auf unter fünf Prozent.
Zunehmend der
Bedeutungslosigkeit verfällt der Automobilbau der einst mächtigsten
Industrienation der Geschichte, die vor 120 Jahren die Hälfte der
Weltkohleförderung bestritt, über 50 Prozent der Welthandelsflotte
betrieb und ein Viertel der installierten Dampfkraft besaß. Von elf auf
fünf Prozent rutschte der Weltmarktanteil der britischen Autobranche in
den vergangenen 15 Jahren ab.
Den Rückwärtsgang
eingelegt hatten Britanniens Autobauer eigentlich schon, als ihre
Vehikel noch vorwärts fuhren und vor genau 70 Jahren die Firma Morris
als Urzelle des heutigen Leyland-Konzerns gegründet wurde.
Damals stieg der
Fahrradhändler Richard Morris in dem Dörfchen Cowley in Oxfordshire auf
die noch junge Autobranche um - mit geliehenen 2.000 Pfund. Die in einer
ehemaligen Volksschule untergebrachte Morris-Werkstatt konnte bald nicht
so viele Autos liefern, wie die Kundschaft kaufen wollte. 164 Pfund,
nach heutigem Geldwert etwa 2.000 Mark, kostete jener Morris Oxford, der
bald ebenso zum britischen Straßenbild gehörte wie die königliche
Pferdekutsche. 1920 fanden bereits 2.000 Wagen reißenden Absatz, obschon
sich der Preis inzwischen verdoppelt hatte. Die Autoindustrie wurde zur
britischen Wachstumsbranche.
1926 bot sogar der
US-Autokonzern General Motors - auf der Suche nach einem europäischen
Stützpunkt - dem Selfmademan Morris elf Millionen Pfund für seine junge
Firma. Der aber lehnte ab und wurde dafür vom Königshaus als einer der
ersten Industriebosse Englands in den Adelsstand erhoben.
Doch dieses Bild trog.
Morris war von der überschwappenden Welle automobilistischer
Begeisterung auf die Höhe seines Erfolgs getragen worden, nicht aber
durch seine eigenen Fähigkeiten als Manager. Sein Lebensstil kam nie
über das Niveau eines Fahrradhändlers hinaus. Sein Büro blieb das alte
Rektorzimmer der Volksschule. Am liebsten machte er alles selbst und
delegierte keine Verantwortung. Die Buchhaltung war eine Zettelsammlung,
technische Pläne bestanden aus hastig gekritzelten Skizzen. Und als 1939
sein Stellvertreter L.P. Lord energisch zeitgemäße Führungspraktiken
forderte, gab es Krach. Lord kündigte, wechselte zur bereits 1906
gegründeten Austin Motor Company und lieferte sich als deren Präsident
erbitterte Konkurrenzschlachten mit seinem ehemaligen Arbeitgeber.
Den fälligen
Zusammenschluss der beiden Konkurrenten schob nur noch der Zweite
Weltkrieg hinaus, denn unter dem Schutzschild der 1940 staatlich
verordneten Notwirtschaft ließ sich prächtig leben: Die Rohstoffe wurden
zugeteilt, die Produkte rationiert, die Preise verordnet. Wettbewerb
fand praktisch nicht mehr statt.
Morris wie Austin konnten
produzieren, was sie wollten, wie sie wollten, verkauft wurden ihre
Autos auf jeden Fall. „Die Selbstzufriedenheit, mit der die führenden
Unternehmen diese Situation hinnahmen, veranlasste jedoch einige Leute
zum Nachdenken. Wie würden derart geschützte Industrien im Wettbewerb
mit amerikanischen und europäischen Konkurrenten abschneiden?“, fragte
der britische Wissenschaftler und Verwaltungskritiker Northcote C.
Parkinson.
Es blieb nicht beim
Nachdenken. Nach Kriegsende wurden per Gesetz künstlich überhöhte Preise
abgeschafft, mussten Handelsabsprachen gemeldet werden. Viel geschah
zwar nicht, um der Planwirtschaft den Garaus zu machen, aber es genügte.
Ohne den Rückenwind staatlich abgesicherter Preise und den Vorteil des
kolonialen Absatzmarktes konnte keiner der Rivalen Morris und Austin
alleine überleben. Es genügte, um beide 1951 unter das gemeinsame Dach
der neuen British Motor Company (BMC) zu zwingen.
Die Neuordnung hatte
anregende Wirkung. So stand BMC hinter dem Briten Donald Campbell, als
dieser 1964 mit einem 5.000 PS starken Vehikel und 648,58 km/h einen
neuen Geschwindigkeitsweltrekord zu Lande aufstellte.
Bei der Rallye Monte Carlo
siegten die Mini Cooper der BMC gleich 1964 und 1965 hintereinander:
Jedes Fahrzeug war für 17.000 Mark aufgerüstet worden, und über 100.000
Mark wurden in die Organisation gesteckt. Der Doppelerfolg brachte dem
Werk in Europa innerhalb eines Jahres um 16 Millionen Mark höhere
Einnahmen; der Umsatz auf dem Kontinent verdreifachte sich.
Die Gewinne reichten für
den isolierten Markt jenseits des Kanals, für Weltniveau war es indessen
zu wenig. Wie Renault, Fiat oder Ford konnten zwar auch die
BMC-Grundsteine Austin und Morris ihre Entstehungsgeschichte bis zum
Beginn des Automobilzeitalters zurückverfolgen. Doch die historischen
Konkurrenten hatten es schon längst zu fortschrittlicher Technik,
durchrationalisierten Produktionsmethoden und weltweiter Absatzstrategie
gebracht, die Briten aber nicht. Dass etwas geschehen musste,
signalisierte den staatlichen Industrieplanern 1965 der Aufkauf der
britischen Autofirma Rootes durch den amerikanischen Chrysler-Konzern,
denn er legte massive Fehler der amtlichen Kontrolleure bloß.
Von den eher der
irrationalen Angst vor ausländischer Konkurrenz als gezielter Planung
entspringenden „Empfehlungen“ der Ministerien getrieben, hatten die
Brüder William und Reginald Rootes ein neues Werk in Linwood in der
Grafschaft Renfrewshire errichtet - ein schwerer Fehler, wie sich bald
zeigte. Die unterschiedlichen Interessen von fünf verschiedenen
Ministerien, die Unfähigkeit der Staatsbürokratie zu kühler Einsicht,
provozierten den Fehlgriff. Im Hinterland der Linwood-Fabrik gab es fast
ausschließlich ungelernte Arbeitskräfte. Streiks unter der neuen
Belegschaft zehrten an der ohnehin dünnen Kapitaldecke. Am Ende war der
Zusammenbruch nicht mehr zu vermeiden. Anstatt die drohende
Weltmarkt-Konkurrenz abzuwehren, hatten die Briten mit Chrysler einen
Konkurrenten ins eigene Land geholt.
„Die Aufregung über die
Chrysler-Rootes-Fusion brachte Premier Harald Wilson und seine Minister
zu der Überzeugung, dass sich unerwünschte Firmenzusammenschlüsse am
ehesten dadurch vermeiden ließen, indem man ihnen mit Fusionen im
Interesse der Öffentlichkeit zuvorkam“, glaubt Kritiker Northcote
Parkinson. Mit anderen Worten: Englands Staatsmanager hatten nichts aus
ihren Fehlern gelernt. Sie mochten weiterhin nichts dem freien
Wettbewerb überlassen und wollten die Wirtschaft ihres Landes auch
künftig an der kurzen Leine gängeln. Als Konsequenz kam es 1966 zur
Gründung der „Industrial Reorganization Corporation“ (IRC), einer Art
Ministerium, das den Firmen ihre Handels- und Fusionspartner
vorschreiben sollte. Wo immer sich Schwachstellen in Englands Industrien
und Stärken ausländischer Konkurrenten offenbarten, griff die IRC ein.
Technologie-Minister
Wegdwood Benn, als Labour-Mann zuvor für das Postressort verantwortlich,
schuf schnell einen Beamtenapparat, der an Größe und Einfluss nur noch
in den USA und der Sowjetunion übertroffen wurde. Seine
Milliardensubventionen retteten erst die Flugzeugindustrie, dann die
Aluminiumbranche vor handfestem Wettbewerb. Reedereien erhielten für
Schiffsneubauten bis zu 45 Prozent Staatsbeihilfen, die
Computerindustrie wurde zur größten der Welt aufgebläht. Es war nur noch
eine Frage der Zeit, bis die Reihe auch an der Autoindustrie war.
Dort litt BMC unter
ständiger Atemnot. Lange Lieferfristen und miserabler Service verärgerte
vor allem die ausländische Kundschaft. So konnten die BMC-Manager auf
ihrem wichtigsten Auslandsmarkt, den USA, im ersten Halbjahr 1968 nur
300 Wagen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres absetzen.
Hauptgrund: verspätete Auslieferung fest bestellter Wagen. „Nur ein
wendigeres Management, rationellere Produktionsmethoden und harte Arbeit
könnten Britanniens Wirtschaft sanieren“, warnte Edward Denison vom
Brooking-Institut in Washington.
Es gab eine englische
Firma, die alle drei Vorzüge vorweisen konnte: Die Leyland Motor
Corporation in dem mittelenglischen Städtchen Grantham mit ihrer
gewinnbringenden Omnibus- und Lastwagen-Produktion sowie den
Personenwagenmarken Rover und Triumph.
Sogar beim Bau des ersten
westdeutschen Schützenpanzers HS 30 für die Ende der fünfziger Jahre in
der Adenauer-Ära aufrüstende Bundeswehr war Leyland mit von der Partie
gewesen. Jetzt sollte das gesunde Unternehmen die kranken Reste der
britischen Autoindustrie aus der Talsohle schleppen.
Im Januar 1968 war es so
weit. Leyland nahm außer der Nobelmarke Rolls Royce praktisch alle
übrigen Autohersteller mit ihren Austin, Jaguar, Morris, MG, Wolseley
und Riley unter die Fittiche. Insgesamt 79 Zweigwerke mit 200.000
Beschäftigten und einer Jahresproduktion im Wert von zehn Milliarden
Mark kamen zusammen. Europas größter Freund von Firmenzusammenschlüssen,
Fiat-Boss Giovanni Agnelli, lobte: „Jetzt sind wenigstens die Engländer
stark.“
Es schien, wenigstens zu
Anfang, tatsächlich so. Schon im Dezember des gleichen Jahres schickte
sich der neue Leyland-Chef Sir Donald Stokes an, die bundesdeutschen
Lastwagenhersteller Hanomag und Henschel aufzukaufen - beide im Besitz
des Essener Rheinstahl-Konzerns und vom heutigen VW-General Toni
Schmücker geleitet. Dabei ging es Stokes nicht um die 4.000
Arbeitsplätze, er war nur an den 840 Verkaufsstützpunkten der
Rheinstahl-Töchter interessiert. Über sie sollten Leyland-Lastwagen zu
deutschen Käufern gesteuert werden.
Schmücker schlug Alarm und
machte nach eigenem Bekenntnis „die alten Säcke in Untertürkheim wach“:
In einer Blitzaktion übernahm die Stuttgarter Daimler-Benz AG 51 Prozent
des Kapitals der bedrohten Lastwagenfabriken, um den Briten die Zufahrt
nach Deutschland abzuriegeln.
Damit endete Leylands bis
heute einziger Expansionsversuch. Die Entwicklung schlug eher ins
Gegenteil um. Ratenweise mussten die Briten einen Auslandsmarkt nach dem
anderen räumen. Erst wurden die Leyland-Fabriken in Australien
aufgegeben - Kosten 88 Millionen Mark; dann gingen die konkursbedrohten
Spanien-Niederlassungen an den US-Autogiganten General Motors. Eine
Rettungsaktion für den 1969 drittgrößten Automobilhersteller Europas
nach VW und Fiat musste in Gang gesetzt werden.
10.000 Arbeiter wurden
entlassen, die Zahl der Zweigwerke wurde auf 55 verringert. Nur durch
akrobatische Buchungstricks brachten die Leyland-Kassierer noch
Jahresüberschüsse zusammen, um dem Unternehmen die Gunst der Banken und
des Kapitalmarktes zu erhalten. 1973 wies die Bilanz bescheidene 20
Millionen Mark als Gewinn aus - VW erwirtschaftete im gleichen Jahr, im
Schatten des ersten Öl-Embargos, immerhin noch fünfmal so viel. 1974
musste die Londoner Regierung mit 300 Millionen einspringen, als durch
massive Absatzschwierigkeiten eine Dreitagewoche erzwungen wurde. Auf
nochmals zwei Milliarden Mark wurde der Kapitalbedarf für dringend
notwendige Modernisierungen geschätzt. Hatte Leyland 1973 noch knapp
eine halbe Million Autos verkauft, waren es im Jahr darauf nicht einmal
mehr 400.000.
Alle Rettungsversuche
mussten aber schließlich an streikenden Arbeitern scheitern. Vor allem
wilde Streiks in den für die Gesamtproduktion wichtigen Teilbereichen
legten ganze Werke lahm: So gefährdete eine Handvoll Arbeiter in der
Motorenmontage die Zukunft des Werkes Cowley; der Ausstand von 100
Arbeitern des Bremsen-Zulieferers Girling stoppte die gesamte
Jaguar-Fertigung; massive Lohnforderungen von bis zu 40 Prozent zerrten
an der dünnen Finanzdecke.
„British
Leyland-Arbeiter“, so glossierte ein Branchenwitz die Streiklust mit bis
zu 700 Arbeitsniederlegungen im Jahr, „brauchen an den Werkstoren nicht
mehr die Stechuhren zu drücken, sie tragen sich nur noch ins Gästebuch
ein.“
Was in der Bundesrepublik
mit Sicherheit landesweit politische Unruhen ausgelöst hätte, ließ die
Briten freilich gelassen, denn schließlich blieb ja noch der Staat als
Rettungsanker. Die Gewerkschaften hatten ohnehin schon lange ihre
Zustimmung zu einer Verstaatlichung der Leyland-Firma angemeldet.
Deshalb war niemand mehr
überrascht, als Sir Donald Stokes 1974 den Offenbarungseid leistete und
seinen Bittgang ins Technologie-Ministerium antrat. Eine
Sonderkommission unter Leitung des Industrieberaters Don Ryder klopfte
die tönernen Füße des Riesen ab und arbeitete Empfehlungen zur Abfindung
der 227.000 Leyland-Aktionäre aus: 1975 ging das Unternehmen dann in den
Besitz der Nation über. Doch außer der Tatsache, dass seither Englands
Steuerzahler für die Verluste aufkommen müssen, änderte sich wenig.
Finanzspritzen von vier Milliarden Mark aus der Staatskasse seit 1975
konnten den Konzern nicht auf geraden Kurs bringen.
Streiks, veraltete
Produktionsanlagen und ungenügende Arbeitsleistung bestimmten weiterhin
die Szene. „Alle Welt weiß natürlich, wie man ein Autounternehmen führt,
aber wenn wir Gaszähler hergestellt oder Brücken gebaut hätten, dann
hätte man uns wenigstens in Ruhe gelassen“, murrte der mehr an Technik
als an Design und Absatz interessierte Stokes über den staatlich
verordneten Niedergang.
1978 musste auch er,
inzwischen 65 Jahre alt, gehen. Nachfolger Michael Edwardes hatte seine
Erfahrungen bei Renault gesammelt und verordnete dem siechen
Unternehmen, nicht anders als seine Vorgänger, erst einmal eine
Entschlackungskur. Erstes Rationalisierungsopfer: der inzwischen seit
einem halben Jahrhundert gebaute MG-Sportwagen. Der MG - Abkürzung für
Morris Garages - war britische Autotechnik par excellence, aber weder
der Schönste noch Schnellste seiner Gattung. Dafür entwickelte er sich
rasch als eine Art Markenzeichen wetterharter Pfeifenraucher -
technisches Talent vorausgesetzt, denn bei älteren Modellen fielen
irgendwann einmal die hölzernen Bodenplatten aus dem Fahrzeugrahmen.
Nach einer halben Million Exemplaren legte Edwardes das MG-Werk in
Abingdon still, „weil uns einfach das Geld fehlt, um Verlierer
durchzuschleppen.“
Geld - genau 1,53
Milliarden Mark verteilt auf die nächsten vier Jahre - sagte auch
Londons Regierung wie schon bei allen vorangegangenen
Sanierungsversuchen wieder zu. Und abermals standen auch
Massenentlassungen sowie Werksstillegungen auf dem Programm. Neu war
nicht viel.
Wirklich schien eigentlich
nur die Reaktion der Belegschaft. Edwardes hatte sie im November 1978
über seine Absichten abstimmen lassen und mit 87 Prozent eine
überwältigende Zustimmung gefunden. Die verlusttreibenden Streiks
schienen besserer Einsicht gewichen zu sein.
Doch es schien nur so.
Denn da arbeitete ein gewisser Derek Robinson bei Leyland, 52 Jahre alt,
seit 30 Jahren im Betrieb, politisch extrem linkslastig und Führer
sämtlicher 860 gewerkschaftlichen Vertrauensleute bei Leyland. Robinson
wollte die Pro-Edwardes-Abstimmung nicht anerkennen und protestierte mit
Flugblättern gegen die Gesundschrumpfung: „Man möge denjenigen, die mit
Ja gestimmt haben, vergeben, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Die
Firmenleitung schlug zurück, entließ Robinson fristlos und provozierte
damit die Arbeitsniederlegung von 30.000 Beschäftigten. Wieder einmal
wurde gestreikt.
Aber Edwardes ließ sich
nicht einschüchtern, selbst nicht, als die
Transportarbeiter-Gewerkschaft schon den Totalstreik ausrief. Gestützt
auf die Vier-Fünftel-Zustimmung der Belegschaft zu seinen Plänen,
stellte er die Streikenden vor die Wahl: „Entweder weiterarbeiten oder
fristlose Entlassung.“ Die Streikenden kehrten an ihre Maschinen zurück.
Inzwischen sieht es so
aus, als habe auch dieser längst überfällige Kraftakt um wenigstens ein
Jahrzehnt zu spät stattgefunden. Leylands Anteil am Markt dürfte nämlich
1980 erstmals unter die 20-Prozent-Marke abrutschen. Das Management
steht vor der Entscheidung, den Massenmarkt aufzugeben und sich ganz auf
die kleinen Spezialmärkte der Jaguar und Rover zu konzentrieren, oder
wenigstens eine Überleitungsaktion zu versuchen, deren Erfolg allerdings
niemand vorherzusagen wagt.
Die Neuentwicklung eines
Mittelklassewagens wäre kaum vor Ende 1983 abzuschließen. Auch der
Versuch, einen potenten Partner auf dem Kontinent, etwa Renault oder VW,
zur Zusammenarbeit zu gewinnen, scheiterte mangels Interesse. So machte
sich Edwardes im vergangenen Herbst auf den Weg nach Tokio zu
Verhandlungen, die nach Ansicht des britischen Motor-Journalisten Graham
Turner von der Tageszeitung „Daily Mail“ den „Stolz Englands als
Autonation in tiefster Seele verwunden“ mussten: Honda, vor allem durch
seine Motorradproduktion etwa ebenso groß wie Leyland, hatte seine
Kooperation angeboten.
Kurz vor Weihnachten 1979
wurde der Vertrag unterschrieben. Was für Leyland „eine technische und
geschäftliche Zusammenarbeit“ bedeutet und ab 1981 durch den Bau des
Honda-Modells Bounty 3.000 Arbeitsplätze im Werk Cowley sichern soll,
ist für den Partner in Tokio der erste Schritt westwärts. Bislang hatten
sich die japanischen Autohersteller bereiterklärt, nicht mehr als zehn
bis elf Prozent des britischen Gesamtabsatzes ins Land zu bringen. Nun,
da ein Honda-Fahrzeug zu mehr als 50 Prozent aus in Großbritannien
gefertigten Teilen bestehen wird, ließe sich dieses Verkaufslimit
elegant umgehen.
Skeptiker sehen um einiges
weiter. Für einen Pariser Renault-Manager ist „British Leyland wie ein
Patient auf der Intensivstation, der nur noch durch Schläuche und Kabel
am Leben gehalten wird. Wenn da einer den Stromstecker rauszieht, ist es
aus.“ Und dann, so fürchten die Fachleute, sind die Japaner endgültig
da. Immerhin konnten sie mit dem Leyland-Abkommen ihren ersten
Produktionsstützpunkt innerhalb der EG verwirklichen - für die Briten
vielleicht der Anfang vom bitteren Ende.
„auto
motor und sport“ 9/1980
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