BLMC - Angriff auf den deutschen Markt

„Das Abschießen von Industriebossen scheint zur Zeit auf dem Kontinent ein volkstümlicher Sport zu sein, und ich gebe zu, dass ich mit Erleichterung feststelle, dass die Jagdzeit auf mich zu Ende zu gehen scheint.“

Der Gejagte, Lord Stokes, Generaldirektor des größten englischen Automobilherstellers - der British Leyland Motor Corporation - schoss jetzt selbst: Er liquidierte die deutsche Niederlassung seines Konzerns im hessischen Bergen-Enkheim. Das in der Nähe Frankfurts angesiedelte Unternehmen, das am Silvestertag zu existieren aufhört, ist damit nicht einmal ein Jahr alt geworden.

Mit dem Ziel, „eine wettbewerbsfähige Verkaufsorganisation auf die Beine zu stellen“, so BLMC-Europa-Generaldirektor Richard D. Bergesen, war die „British Leyland Deutschland GmbH“ gegründet worden, „um ein weiterer Schritt zur Koordinierung von British Leylands europäischer Marketing-Strategie zu sein.“

Der Lord tat jetzt den Schritt zurück. Auf einer Inspektionsreise Anfang September hatte er die BLMC-Dependancen auf dem Kontinent besucht und dabei auch bei den deutschen Repräsentanten seines Konzerns in Bergen-Enkheim hereingeschaut. Bei seiner Stippvisite kam ihm die Erkenntnis: So kann es nicht weitergehen!

Die deutsche Tochtergesellschaft der BLMC war Ende 1970 aus der Deutschen Rover hervorgegangen. (Rover, erst seit 1968 zur BLMC gehörig, hatte dort seit 1964 ein Ersatzteildepot, vor allem für die Land Rover des Bundesgrenzschutzes.) Der neuen Niederlassung oblag der Vertrieb und die Ersatzteilversorgung für die Marken Rover, Jaguar-Daimler und Triumph in Deutschland. Bis dahin waren diese Marken von Einzelimporteuren vertreten worden: Hagen in Krefeld (Triumph), Lindner in Frankfurt (Jaguar-Daimler) und Brüggemann in Düsseldorf (Austin, Morris, MG).

Die Auflösung der Importverträge mit Hagen und Lindner hatte den Engländern keine Schwierigkeiten bereitet: Der Vertrag mit dem Krefelder war im Oktober 1970 ausgelaufen und nicht verlängert worden. Jaguar-Importeur Lindner ließ sich mit rund einer Million Mark abfinden, um für den 1971 entgangenen Gewinn entschädigt zu werden. Allerdings: Den Löwenanteil am deutschen Import englischer Autos konnten die BLMC-Leute nicht so ohne weiteres einheimsen. Die populären Massenautomobile der Corporation nämlich, die Marken Austin, Morris und MG, wurden nach wie vor von der dick im Geschäft sitzenden Düsseldorfer Firma Brüggemann & Co. ausgeliefert. Das Unternehmen hatte 1948 mit dem Import von Austin-Wagen begonnen, um sie vorwiegend an Angehörige der britischen Besatzung zu verkaufen.

Im Laufe der vergangenen 23 Jahre konnte Brüggemann ein Netz von rund 350 Händlern aufbauen, die eine vorwiegend junge Kundschaft mit Minis und den Kleinsportwagen Midget und Sprite belieferten. Der endgültige Durchbruch für die Düsseldorfer kam 1968, als sich ihr Umsatz schlagartig um 90 Prozent steigerte. Die kompakten Modelle vom Typ 1100/1300 - vor allem aber die Minis - hatten sich nicht zuletzt wegen ihrer Sporterfolge einen festen Abnehmerkreis erschlossen.

Was der Düsseldorfer Importeur der Frankfurter Niederlassung voraushatte, war nicht so sehr der bis Ende 1974 geltende Vertrag, sondern vielmehr eine in den letzten Jahren perfektionierte Vertriebs-Organisation, an der es den Frankfurtern mangelte. Grund genug für Brüggemann, sich den Einigungsbestrebungen der Londoner Konzernherren zu verweigern.

Zwar konnte die junge BLMC Deutschland GmbH in den ersten zehn Monaten ihres Bestehens den Umsatz um 33 Prozent auf 29 Millionen Mark steigern - allein das ganz große Geschäft war mit den Renommiermarken Jaguar, Rover und Triumph und einem im Aufbau befindlichen Händlernetz nicht zu erwarten.

So wuchs in London die Erkenntnis, dass man auf die Dauer auf deutschem Boden weder getrennt marschieren noch vereint schlagen konnte. Deshalb lud Lord Stokes of Leyland, von seiner Europa-Visite zurückgekehrt, einige Herren zu sich in die Vorstandsetage am Berkeley Square im Londoner West ein: Es waren die beiden geschäftsführenden Inhaber von Brüggemann, Otto Birgels und Werner Schmidt, sowie sein Europa-Unterhändler Richard Bergesen, der von einer eigens eingerichteten, selbstständigen Zentrale in Lausanne versucht hatte, den Verkauf auf den wichtigsten Exportmärkten für das gesamte Programm in eigene Hände zu bekommen. Bis dahin hatten private Vertretungen und Importeure das Geschäft gemacht. Doch Bergesens Bemühungen waren oft ohne Fortune.

Die Umstellung wurde von einigen der eingesessenen Importeure nicht kampflos hingenommen. In Frankreich gab es einen teuren Prozess und in der Schweiz schaffte es der clevere Importeur Emil Frey, sich in der neuen Gesellschaft die Schlüsselposition zu verschaffen. Die ursprüngliche Absicht von BLMC, für Deutschland aus der ehemaligen Deutschen Rover eine eigene Organisation zu schaffen und den Vertrieb in eigene Hände zu nehmen, erwies sich ebenfalls als Fehlspekulation.

Während Lord Stokes, der Herr über Leyland, den glücklosen Bergesen am gleichen Tag in die Schweiz zurückschickte („Wir brauchen Sie nicht mehr“), offerierte er den Düsseldorfern einen Vertrag. Der Inhalt: Brüggemann übernimmt vom 1. Januar 1972 an zusätzlich den Vertrieb der Marken Jaguar, Rover und Triumph, die bisher von der eigenen Niederlassung in Bergen-Enkheim importiert wurden, während British Leyland einen Geschäftsanteil von 40 Prozent an der Firma Brüggemann übernimmt.

„Spät kommen wir, doch wir kommen“, stellte daraufhin British Leylands Export-Direktor Allan Shepard fest, der im Hinblick auf die EWG-Mitgliedschaft Englands große Pläne für den deutschen Markt hat.

Hauptgrund für die bisherige Außenseiterstellung: Die British Leyland Motor Corporation ist selbst erst drei Jahre alt. Der Konzern ist das Ergebnis von Fusionen, Auflösungen und Neugründungen. Die BLMC entstand aus der Verbindung zweier großer Firmengruppen: aus dem Nutzfahrzeug-Hersteller Leyland mit sieben verschiedenen Marken und aus der British Motor Holding, in der die Pkw-Marken Austin, Morris, Wolseley, Van den Plas, MG, Rover, Jaguar, Daimler und Triumph zusammengefasst waren.

1952 erfolgte die erste größere Fusion all dieser Marken zur British Motor Corporation (BMC). Ihre Anfänge gehen wiederum in das Jahr 1927 zurück, als Lord Nuffield - damals hieß er noch schlicht William R. Morris - die Wolseley-Werke erwarb. 1935 kam die MG Car Company hinzu und drei Jahre danach Riley. Diese sogenannte Nuffield-Gruppe schloss sich dann 1952 mit der Austin Motor Company zur BMC zusammen, die fortan auch das Sportwagenprogramm des ehemaligen Rallyefahrers und Konstrukteurs Donald Healey mit in ihre Produktion aufnahm.

Es folgte eine Epoche der verwirrenden Typenvielfalt und des sogenannten „badge engineering“ („Marken-Konstruktion“), in dem sich viele Modelle lediglich durch das Firmen-Emblem und gewisse Ausstattungsdetails unterschieden. Ein Kriterium, unter dem der junge Konzern heute noch leidet.

Nach der Fusion der British Motor Holding mit Leyland Motors (1968) bestand die Aufgabe des neuen Managements vor allem darin, die unübersichtliche Verästelung des Konzerns zu entwirren und durch langfristige Planungen und Rationalisierungsprojekte für eine Neuordnung der Fertigung zu sorgen. Es entstanden sieben Hauptabteilungen. Die größte, die Austin-Morris-Group, befasst sich mit der Fertigung von Großserien-Personenwagen. Jaguar, Daimler, Rover und Triumph sind zur „Specialist Car Division“ zusammengefasst,

Die Typenbereinigung des Konzerns befindet sich jedoch noch in den Anfängen und es scheint, als ob das konservative Element dem Fortschritt Hemmschuhe anlegt. So ist es zum Beispiel unverständlich, warum Triumph einen neuen Achtzylindermotor (Stag) entwickelte, obwohl ein solcher bei Rover und Daimler bereits im Programm war. Andererseits unterblieb die Entwicklung eines modernen Vierzylindermotors, der für die Großserienmodelle dringend notwendig wäre.

Andererseits bescherte Austins Chefkonstrukteur Alec Issigonis der internationalen Autotechnik eine Neuerung, die dem Konzern ein Erfolgsauto und deshalb viele Nachahmer (Fiat, Autobianchi, Simca, Peugeot) gebracht hat: Nach dem Konzept „mehr Innenraum und höhere Fahrsicherheit“ und unter dem Diktat der suezkrisen-bedingten Benzinknappheit schuf Issigonis (der wie Ettore Bugatti und Ferdinand Porsche nicht einmal Diplom-Ingenieur war, dafür aber von der Queen geadelt wurde) 1959 ein Auto mit querliegendem Frontmotor, den „Mini“. Das Konzept des Auto-Knirpses wurde in der Folgezeit auch bei größeren Modellen mit Erfolg angewandt: Die Typen 1100, 1300 und 1800 sind noch heute Englands meistgekaufte Autos.

Statt diese frontgetriebenen Modelle zu verbessern, reparatur-freundlicher zu machen und sie zu modernen englischen „VW“ zu entwickeln, erweiterte man die Typenreihe um „völlig unnötige Modelle“, wie sie die englische Fachpresse bezeichnet: Den Triumph Toledo und den Morris Marina, zwei konkurrierende 1300er mit simpler Mechanik, Heckantrieb und Starrachse, von denen sich das jeweilige Werk einen warmen Verkaufsregen erhofft.

Trotz aller Bemühungen um eine Rationalisierung und Steigerung der Produktion (Austin baut künftig nur frontgetriebene Autos, Morris nur Heckantriebswagen) hat sich das Gesamtergebnis von British Leyland nicht zum Vorteil entwickelt. Im vergangenen Jahr produzierten Austin und Morris 588.000 und Triumph 123.000 Fahrzeuge. 1966 waren es 846.000 Einheiten, also 75.000 mehr.

Doch BLMC-Boß Lord Stokes vertraut auf die Zukunft. Für sein Unternehmen, das mit mehr als 100 Streiks pro Jahr als das größte Sorgenkind der europäischen Automobilindustrie gilt, erhofft er sich von der EWG-Mitgliedschaft Englands große Vorteile. Vorab ließ er kürzlich für den deutschen Markt drastische Preissenkungen (bis zu 13 Prozent) verkünden. „Zu lange haben wir besonders den deutschen Markt vernachlässigt, als dass wir nun ohne Schwierigkeiten einsteigen könnten“, bekennt sein Export-Direktor Shepard, „immerhin hoffen wir, unseren Europa-Absatz bis 1975 verdoppeln zu können.“

Brüggemann-Mitinhaber Schmidt sinnierte, nachdem er das Angebot von Lord Stokes erhalten hatte: „Eigentlich hätten wir es lieber gehabt, wenn die ganze Sache ein Jahr später auf uns zugekommen wäre.“ Ein Jahr später jedoch will Lord Stokes mit Brüggemann bereits 30.000 Autos in Deutschland verkauft haben.

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