Rover P6 3500 V8
Salonlöwe
Man
kann nicht bestreiten, daß seit einiger Zeit der gediegene Ruf englischer
Automarken leicht angekratzt ist. Dazu mögen auch zahllose Streiks und
Produktionsengpässe nicht unwesentlich beigetragen haben. Am Rover scheint
dieses Geschehen spurlos vorbeigegangen zu sein. Denn nicht nur auf der
britischen Insel, auch in unseren Breiten umgibt er sich mit einem Flair
von Solidität und Komfort, das nichts von dem ehemals makellosen Image der
englischen Automobilindustrie eingebüßt hat. Für viele ist er
gewissermaßen zum Statussymbol geworden, seine Exklusivität wird von
Mercedes kaum erreicht und nur von wenigen anderen Marken übertroffen, die
allerdings auch in der Preisliste einige beachtliche Stufen höher stehen.
Die
Noblesse des Rover fühlt man bereits beim ersten Betrachten. Daran ändert
auch der neu geschaffene, eher sportliche Kühlergrill nichts, auf dem ein
kleines Schildchen "V8" prangt. Diese kleinen Schilder sind von nicht zu
unterschätzender Bedeutung, denn nur an ihnen erkennt man äußerlich den
Unterschied zwischen 2-Liter- und 3,5-Liter-Version. Die Differenz ist
beträchtlich, sie beträgt immerhin über 50 PS. Daß man den 151 PS starken
V8-Motor in die Karosserie des Zweilitermodells eingebaut hat, ergab
keinerlei Schwierigkeiten. Denn bereits der Zweiliter-Rover besitzt alle
Voraussetzungen, die ein modernes Auto dieser Leistungsklasse haben muß:
eine aufwendige, daher auch kostspielige Mechanik, dazu zählt unbedingt
die De-Dion-Hinterachse, die bekanntlich vom Konstruktionsprinzip her die
beste Lösung einer Starrachse darstellt, weiters ungewöhnlicher Komfort
und gediegene Ausstattung. Das echtlederne Innenleben mit dem großen
Holzlenkrad und der Fülle von Kipphebeln und Drehknöpfen, die weit vor dem
Fahrer liegende Windschutzscheibe und die reichhaltige Instrumentierung
schaffen eine Atmosphäre, die einer Kombination aus Flugzeugkanzel und
englischem Salon nahekommt. Auch die eher hochbeinigen Sitze, die sehr
bequem sind und eine ausreichende Seitenführung aufweisen, erinnern an
steiflehnige englische Club-Fauteuils. Allerdings bietet der Innenraum
nicht diejenige Ellbogenfreiheit, die man bei einem V8 dieser
Größenordnung erwartet. Hier gibt es etliche andere Modelle, deren Volumen
innerhalb des Blechkleides besser genützt wurden.
Die
Bedienung der unzähligen Kippschalter, Dreh- und Druckknöpfe läßt einen
Uneingeweihten anfangs verzweifeln. Kennt man sich auf dem Armaturenbrett
allerdings einmal aus, stellt sich heraus, daß alles sehr sinnvoll und
funktionell angeordnet ist, vor allem mit allen möglichen Rafinessen
abgerundet. Die Mechanik im Rover ist zum Unterschied von vielen anderen
englischen Modellen keineswegs verstaubt, im Gegenteil, sie ist
hochaktuell und entspricht dem modernen Stand der Technik. Das beginnt bei
der De-Dion-Hinterachse und endet bei der Sicherheitsbauweise der
Karosserie.
Wie
der Innenraum, so ist auch der Kofferraum nicht sehr üppig bemessen. Vor
allem ist er mehr hoch als breit, diese Dimensionierung entsteht durch das
senkrecht stehende Reserverad, hier ergeben sich manchmal gewisse
Unterbringungsschwierigkeiten.
Den
Rover gibt es serienmäßig nur mit Automatik. Klar - bei dieser
Motorleistung ist für eine Luxuskarosse ein handgeschaltetes Getriebe
überflüssig. Die vorhandene Kraft ist derart üppig, daß der Verlust durch
die Automatik nicht ins Gewicht fällt. Für den 3,5
Liter-V8-Stoßstangenmotor charakteristisch ist sein gigantisches
Drehmoment im unteren Bereich. Hohe Drehzahlen bringen absolut keinen
Vorteil, man spürt die bullige Kraft und kann keinen entscheidenden
Leistungszuwachs im oberen Drehzahlbereich registrieren. Aus diesem Grund
ist die Automatik auch so ausgelegt, daß sie selbst bei Kickdown-Effekt
bereits bei knapp über 4000 U/min schaltet. In der Stellung D des
Automatik-Wählhebels kann man also gar nicht höher drehen, selbst wenn man
es wollte. Diese Möglichkeit bietet sich lediglich in den Stellungen für
den ersten und zweiten Fahrbereich, hier kann man den Motor voll ausdrehen
und dann den Gang manuell wechseln.
Die
aufwendige technische Konzeption des Fahrwerks macht einen überaus
ausgereiften Eindruck. Besonders deutlich wird es bei ganz niedrigen
Geschwindigkeiten über starke Bodenunebenheiten. Die Federung spricht
tadellos an, schluckt alle Wellen und Löcher, ohne daß man das Gefühl hat,
in einer weichen Schaukel zu sitzen. Die Dämpfung ist eher straff, dadurch
wird dem Fahrer immer ein guter Kontakt mit der Straße vermittelt, ohne
daß der Komfort darunter leidet.
Eine
Charakteristik hochwertiger Automobile war es immer schon, die Insassen
nichts von der tatsächlichen Geschwindigkeit merken zu lassen. Der Rover
ist ein Beispiel ersten Ranges für dieses Phänomen. Die 151 Pferde tun
ihre Pflicht, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Die Geräuschdämpfung
des V8-Motors ist erstklassig, ganz gleich ob auf der Autobahn oder einer
Bundesstraße, vom Motorlärm vernimmt man nie mehr als ein sanftes Sausen,
das bei Standgasdrehzahl bis zur Unhörbarkeit absinkt.
Beim
vollen Beschleunigen hingegen bekommt man dennoch zu spüren, daß man in
einem überaus punchfreudigen Auto sitzt. Trotz nahezu völliger
Geräuschlosigkeit wird man in die Sitzlehnen zurückgepreßt, und das in
fast jedem Geschwindigkeitsbereich. Nur aus dem Stand heraus läßt die
Beschleunigung zu wünschen übrig. Daran ist die Automatik schuld, deren
Drehmomentwandler die zur Verfügung stehende Kraft nicht plötzlich auf die
Räder bringt. Kavalierstarts sind mit diesem Wagen nicht möglich, das
würde allerdings auch der Charakteristik des ganzen Autos schmerzlich
widersprechen.
Der
Borg Warner-Getriebeautomat schaltet sehr weich, mit etwas Gefühl im
Gasfuß kann man die Übergänge beim Gangwechsel völlig verwischen.
Erstaunlich ist das Handling des mehr als 1300 Kilo schweren Autos. Dank
der Servolenkung läßt sich der gewichtige Wagen spielerisch leicht
manövrieren, auch im dicksten Verkehr, und beim Einparken hat man den
Eindruck, eher einen Mittelklassewagen zu rangieren. Das Lenkrad, das
etwas überdimensioniert wirkt, könnte allerdings kleiner sein. Den
gediegenen Komfort lernt man erst bei langer Überlandfahrt richtig
schätzen. Die Sitze, die anfangs keinen besonders weichen Eindruck machen,
rufen keine Ermüdungserscheinungen hervor, das Lüftungssystem zeigt an
heißen Tagen eine erstaunliche Wikrung: Im Wagen kann man es jederzeit
angenehm kühl haben.
Die
Straßenlage des Rover wird von einem leichten Untersteuern im Grenzbereich
charakterisiert. Allerdings ist in jeder Situation trotz der Automatik
genügend Kraft an den Hinterrädern vorhanden. In schnellen Kurven wird die
Untersteuerungstendenz geringer, der Wagen liegt ziemlich neutral. Eine
relativ starke Neigung des Wagenkastens in scharf gefahrenen Kurven
beeinträchtigt die Straßenlage keineswegs, es ist eine komfortbedingte
Begleiterscheinung.
Für
durchschnittliche Ansprüche sind die Bremsen völlig ausreichend, das Pedal
erfordert infolge der Servounterstützung nur einen sanften Druck.
Lediglich bei schnellen Bergabfahrten, bei denen man jede Kurve scharf
anbremst, ist Zurückhaltung geboten. Hier entsteht bald ein Fading, das
von den Bremsklötzen mit Rauchentwicklung und penetrantem Geruch quittiert
wird.
Zweifellos ist der Rover mit einem Preis von nur 129.900 Schilling ein
sehr preiswertes Auto. Vor allem kauft man hier für relativ wenig Geld
einen exklusiven Hauch von Gediegenheit, für den man bei anderen Autos
eine schöne Stange Geld mehr auf den Tisch blättern muß. Und für ein Auto,
das in England immerhin als einer der vornehmsten Wagen gilt, ist diese
Vereinigung von solchen Eigenschaften und diesem Preis eine schöne
Leistung.
0-100 km/h 10,1 Sek.
Höchstgeschwindigkeit 185
km/h
Verbrauch 11 bis 16 l/100
km
auto revue / Österreich 10/1971
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