Rover 3500 V8
Rolls-Royce und Rover sind die
letzten Vertreter der "guten alten" englischen Automobiltradition. Solide,
gediegene Qualitätsarbeit, das ist das Hauptmerkmal dieser Fahrzeuge, denn
konservativ sind die jüngsten Produkte der britischen Renommiermarken nicht
mehr. Es ist wohl kein Zufall, daß es bei Rover die wenigsten Streiks und die
geringsten Probleme im British Leyland-Konzern gibt. Auf ähnlich hohem Niveau
steht vielleicht noch Jaguar, dessen Image aber viel mehr in Richtung Sport
tendiert. Nicht nur in England bringt der Name Rover eine gewisse Exklusivität
mit sich, eine Exklusivität, die man nicht einmal besonders bezahlen muß. Einen
Rover kauft man nicht wegen seiner pompösen Außenmaße, hier spielen ganz andere
Gesichtspunkte eine Rolle. Wenn man einen der ausgeprägtesten englischen
Charakterzüge kennt, den Hang zum Understatement, dann wird einem schon eher
klar, warum der Rover 2000 und sein stärkerer Bruder, der Typ 3500, solch ein
Erfolg wurden.
Ein flüsternder Achtzylinder
mit brillanten Leistungen
Mit sehr viel konstruktivem Mut
ging man vor mehr als 10 Jahren bei Rover daran, einen neuen Mittelklassewagen
zu entwickeln. Neben dem modern konzipierten 2-Liter-Motor war es vor allem das
Federungssystem und der Aufbau der Karosserie, der die gesamte Fachwelt beim
Erscheinen des Rover 2000 aufhorchen ließ, der sich binnen kürzester Zeit zu
einem Bestseller entwickelte. Nachdem die Produktion richtig lief, begann man an
stärkere Motorversionen zu denken. Die erste Stufe war der Zweivergasertyp 2000
TC. Verschiedene Prototypen eines auf der 2000er-Maschine basierenden
3-Liter-Sechszylindermotors wurden ausgiebig getestet, aber ebenso wie der
geplante V6-Motor nie in Serie produziert.
Da wurde den Rover-Technikern
eine ausgereifte Maschine praktisch "frei Haus" geliefert. Es war ein V8-Motor
mit 3,5 Liter Hubraum, den man inklusive Produktionseinrichtungen in Amerika
kaufte. Dieser Leichtmetall-V8, ursprünglich für zwei amerikanische Kompaktwagen
entwickelt, den Buick Special und den Oldsmobile F-85, die aber mit der Zeit
immer weniger kompakt wurden, stand nun zum Einbau in die Rover-Modelle bereit.
Sicherlich bedurfte es noch einiger Arbeit, bis diese Maschine soweit
modifiziert war, daß man damit zunächst die schon veraltete 3-Liter-Maschine mit
den seitlichen, stehenden Auslaßventilen in den großen Modellen ablösen konnte.
Der nächste Schritt war die Verwendung des V8-Motors im Rover 2000. Die
überraschend gedrungene Maschine fand im Motorraum knapp Platz, lediglich die
Batterie wanderte in den Kofferraum, wo sie relativ leicht zugänglich ist, ohne
allzuviel Raum zu beanspruchen. Die sonstigen Änderungen unter der Karosserie
sind bescheiden: ein verstärkter vorderer Querträger, härtere Federn, größere
Stoßdämpfer, direkter untersetztes Differential sowie Verbesserungen am
Bremssystem werden der hohen Leistung des Achtzylinders gerecht.
Vor einigen Monaten hatten wir
nun diesen "Wolf im Schafspelz", den Rover 3500, im Testbetrieb laufen. Wie aus
den Fotos ersichtlich, handelte es sich dabei schon um die neueste Version, da
dieses Modell bereits das jüngste "Facelifting" mitbekommen hatte. Doch vorher
einiges über die Kraftquelle, den V8-Motor. Denn am eindrucksvollsten ist am
Rover 3500 wohl die Maschine und die Art, wie sie ihre Arbeit verrichtet. Das an
Bug, Heck und an der Mittelkonsole angebrachte V8-Zeichen läßt keinen Zweifel
darüber aufkommen, daß es sich beim Rover 3500 um etwas Besonderes handelt.
Sobald man mit dem etwas ungünstig plazierten Zündschlüssel - er liegt nämlich
direkt hinter dem Lichthupenhebel - den Motor startet, erwartet man instinktiv,
daß sich die Kraft auch akustisch bemerkbar macht, aber es tut sich rein gar
nichts. Die Nadel des Drehzahlmessers steht wie festgenagelt, ohne zu zittern,
auf 600 bis 700 U/min und man hört, wie aus weiter Ferne, ein leises Flüstern -
das Ansauggeräusch, das sich bis zur Höchstdrehzahl zu einem kultivierten
Rauschen steigert. Die Laufkultur des kurzhubigen Achtzylindermotors (Bohrung
88,9 mm, Hub 71,12 mm) findet man nur in ganz wenigen europäischen Autos, und
die kosten jedenfalls um einiges mehr. Ein Blick auf den Drehzahlmesser macht
einem deutlich, daß man hier eine amerikanische Maschine vor sich hat. Dank der
Automatik dreht der V8-Motor auch bei Kickdown kaum über 4000 U/min, und im
normalen Verkehr bewegt man sich ohnedies meist im höchsten Gang mit etwa 2000
bis 2500 U/min.
150 DIN-PS sind zwar bei 3,5
Liter Hubraum nicht gerade umwerfend, aber genug, um aus dem zwar 1290 kg
wiegenden Rover 3500 ein Fahrzeug mit hochsportlichen Leistungen zu machen.
Außer der Tatsache, daß es sich dabei um einen Leichtmetallmotor mit trockenen
Zylinderlaufbüchsen handelt, weist der Rover-3,5-Liter-Motor wenig technische
Besonderheiten auf. Eine zentrale Nockenwelle steuert über Hydrostößel die
hängenden Ventile. Zu den Vorzügen des großvolumigen Motors gehört vor allem
dessen ungeheure Elastizität und die gewaltigen Kraftreserven bei allen
Geschwindigkeiten. Kein Wunder, werden viele vielleicht sagen, das
Leistungsgewicht von nur 8,6 kg/PS muß sich ja entsprechend bemerkbar machen.
Dabei ist das hohe Beschleunigungsvermögen gar nicht besonders teuer, der
Benzinverbrauch des 10,5:1 verdichteten Motors ist eher bescheiden. Wenn man
davon absieht, daß man bedingt durch die hohe Verdichtung 100 Oktan-Benzin
verwenden sollte, sind die Treibstoffkosten in Anbetracht des Hubraums relativ
gering. 14,4 l/100 km als Durchschnittstestverbrauch ist nicht gerade hoch,
Autobahnschnitte um 165 km/h sowie dichter Stadtverkehr bringen einen etwas
höheren Verbrauch: zwischen 16 bis 17 l/100 km. Aber man kann den Rover 3500
auch sparsam fahren; auf Landstraßen, sofern man im üblichen Verkehr
mitschwimmt, wird man mit 10 bis 11 l/100 km auskommen. Sicher spielen dabei die
bekannt sparsamen SU-Vergaser eine wesentliche Rolle. Mit gezogenem Choke
startet der Motor auch im kalten Zustand sehr leicht. Als besonders angenehm und
wohldurchdacht vermerkten wir die Chokewarnlampe, die aufleuchtet, sobald die
Motortemperatur 50 Grad überschreitet.
Serienmäßig mit Automatik
Seit einiger Zeit, genauer
gesagt seit dem letzten Londoner Salon, stimmt dieser Satz nicht mehr ganz, denn
nunmehr ist der Rover 3500 als Modell "S" auch mit einem handgeschalteten
Vierganggetriebe lieferbar. Da sich am Motor so gut wie nichts geändert hat,
lassen sich die beiden Versionen sehr schön vergleichen. In Silverstone konnten
wir den 3500 S fahren, und um es gleich vorwegzunehmen: wir waren nicht
begeistert. Wenn man den Rover 3500 mit Automatik kennt, wird man sich
wahrscheinlich gut überlegen, auf diesen Komfort für einige Tausend Schilling
Minderpreis zu verzichten. Die Handschaltung paßt nicht so gut zum Charakter des
zwar sportlich schnellen, aber dabei ausgesprochen ruhig und zahm erscheinenden
Rover 3500. Noch dazu ist die Maschine ungemein drehfreudig, und nun heißt es
gut aufpassen, damit man nicht lustig in den roten Bereich am Drehzahlmesser
dreht. Mit der gut angepaßten Borg Warner-Getriebeautomatik hat der Lenker diese
Sorgen nicht; nebenbei bemerkt handelt es sich dabei um den vielfach bewährten
Typ Borg Warner 35, der von diversen anderen Fahrzeugen her schon bekannt ist.
Allerdings harmoniert diese Automatik mit keinem Motor so gut wie mit der
Rover-3,5-Liter-Maschine. Schaltstöße sind für die Insassen kaum wahrnehmbar; da
auch das Motorgeräusch fast nicht zu hören ist, sieht man den Schaltvorgang in
erster Linie am Drehzahlmesser. Üblicherweise wird auch ein sehr sportlicher
Fahrer kaum die unteren Gänge sperren, obwohl dies noch etwas bessere
Beschleunigungswerte mit sich bringt. Vom Stand bis 160 km/h kann man auf diese
Weise nochmals etwa 4 Sekunden gewinnen. Wie bei Borg Warner-Getrieben üblich,
reagiert die Automatik bei Kickdown mit etwas Wartezeit, doch erfolgt dafür das
Zurückschalten sehr weich und ruckfrei.
Karosserie - exzentrisch,
aber elegant
Mit dem Modelljahrgang 1971
wurden die Rover-Typen 2000 und 3500 durch leichte Änderungen der Karosserie
optisch aufgewertet. Die dunkel gehaltene elegante Frontpartie, zwei beinahe
aggressiv wirkende "Ausbauchungen" der Motorhaube sowie die dunklen Dachsteher
geben dem Rover 3500 ein unaufdringliches, rassiges Aussehen. Sonst blieb die
Karosserieform im großen und ganzen seit dem Erscheinen des Rover 2000
unverändert; damals wurde sie von manchen, wahrscheinlich wegen der vielfach
recht breiten Fugen zwischen den einzelnen Blechpreßteilen, als eine
unverfrorene Kopie des großen Citroen bezeichnet. Gewisse Merkmale, wie die
lange Motorhaube sowie das leicht abfallende Dach, mögen zwar eine gewisse
Ähnlichkeit geben, der Grund für die Fugen ist jedoch konstruktiver Natur. Denn
sämtliche Blechteile haben keinerlei tragende Funktion; die Kotflügel, ja sogar
das Dach sind ähnlich einer Beplankung am Grundskelett nur angeschraubt.
Kleinere Reparaturen kommen dadurch billig. Dieses Skelett bildet einen
stoßabsorbierenden Käfig, der den Fahrgastraum wie eine feste Zelle umschließt.
Besonders interessant ist die Tatsache, daß dieses Skelett bereits ohne
Karosserieteile völlig fahrtüchtig ist.
Im Innenraum gibt es ebenfalls
gravierende Neuerungen: am meisten fallen die Rundinstrumente ins Auge.
Charakteristisch für viele englische Wagen der höheren Preisklasse ist die
ungewöhnlich reichhaltige Instrumentierung. Neben dem gut ablesbaren Tachometer
und Drehzahlmesser findet man im Rover 3500 noch ein Öldruckmanometer,
Amperemeter, die Benzinuhr sowie das Kühlwasserthermometer. Einige sehr
sinnvolle Warnleuchten sowie die unterschiedlich geformten Drehschalter, ja
sogar ein Scheibenwischer-Intervallschalter ergänzen die überkomplette
Ausstattung, die kaum Wünsche offen läßt. Ein spezieller Gag ist der
Benzin-Reservehahn.
Die geschmackvolle
Innenaustattung schafft im Rover 3500 sofort eine behagliche Atmosphäre. Vier
bequeme Clubfauteuils charakterisieren den Rover als kompromißlosen Viersitzer,
wenngleich der Zulassungsschein einem dritten Fahrgast das Mitfahren auf den
Rücksitzen erlaubt; nur wird dieser sich dort nicht lange wohlfühlen. Man sitzt
fantastisch auf den leicht schalenförmigen Ledersitzen, auch im Fond. Die
Sitzflächen sind gut gepolstert, und man muß es Rover hoch anrechnen, daß nicht
versucht wurde, durch kurze Sitzflächen auf den Rücksitzen mehr Beinfreiheit
vorzutäuschen. Als Lenker kann man seine Sitzposition dank der vielfältigen
Verstellmöglichkeiten - auch das Lenkrad ist regulierbar - fast ideal gestalten.
Sehr günstig plaziert sind die beiden großräumigen Handschuhfächer vor den
Frontsitzen sowie die praktischen Belüftungsdüsen am Rand der Ablage des
Armaturenbrettes.
Ebenso wie der Innenraum ist
der Kofferraum um keinen Zentimeter zu groß, das seitlich stehende Reserverad
und der über der Hinterachse liegende Tank nehmen viel Platz weg. Dafür hat der
Rover-Fahrer die Möglichkeit, das Reserverad nötigenfalls außen am
Kofferraumdeckel diebstahlsicher zu befestigen. Dann ist der vorhandene Raum
noch immer nicht gerade üppig, aber da der Kofferraum zwar kurz, aber dafür
ungewöhnlich tief ist, faßt er mehr als es den Anschein hat.
Noch ein paar Worte zum
Tankeinfüllstutzen, der hinter dem linken hinteren Dachsteher etwas ungünstig
liegt, außerdem ist der Durchmesser des Einfüllrohres relativ gering, so daß man
bei modernen automatischen Zapfsäulen kaum tanken kann. Um die Tankwarte nicht
allzu sehr zu vergrämen, muß man sie eben mit einem höheren Trinkgeld für die
Mehrarbeit entschädigen. Übrigens faßt der Tank 68 Liter und es nimmt geraume
Zeit in Anspruch, bis er auf diese Art gefüllt ist.
Außergewöhnliches Fahrwerk
bringt Komfort und sicheres Fahrverhalten
Nicht nur die Hinterachse ist
ungewöhnlich, auch die Vorderradaufhängung mit einem unteren Querlenker und über
Winkelhebel betätigte längsliegende (!) Schraubenfedern kann man als
unkonventionell bezeichnen. Hinten griff man bei Rover auf eine der
De-Dion-Achse ähnliche Aufhängung zurück. Ein am Wagenboden befestigtes
Differential mit den daneben liegenden Scheibenbremsen bringt geringe
ungefederte Massen mit sich. Über Doppelgelenkwellen werden die Hinterräder
angetrieben. Die für eine echte De-Dion-Achse maßgebenden Schiebestücke in den
Antriebswellen fehlen, dafür gleicht eine Schiebevorrichtung im Achsrohr die
Längenänderungen beim Einfedern aus. Aus diesem Grund ist die Rover-Achse zwar
sturzkonstant, aber nicht spurkonstant wie die De-Dion-Achse. Die Räder werden
über vier Längslenker - zwei davon schräg liegend, die die Schraubenfedern und
Stoßdämpfer tragen - und einem kurzen Panhardstab exakt geführt. Ungewöhnlich
viel Aufwand besonders für ein englisches Fahrzeug; aber der Erfolg gibt den
Technikern in Solihull recht, denn der damit erzielte Fahrkomfort ist für einen
Wagen mit konventioneller Federung überdurchschnittlich gut. Auch bei langsamer
Fahrt schluckt der Rover 3500 Bodenwellen jeder Art in bestechender Manier.
Tribut muß man dafür in Form einer relativ starken Kurvenneigung bezahlen.
In schnellen Kurven legt der
Rover 3500 eine ausgeprägte Untersteuertendenz an den Tag, die sich durch
entsprechenden Krafteinsatz an den Hinterrädern neutralisieren läßt. Sehr
schnell gefahren geht der Rover in einen sauberen Four-wheel-drift über.
Einziger Schönheitsfehler ist der Mangel an Richtungsstabilität und eine gewisse
Seitenwindempfindlichkeit bei extrem hohen Geschwindigkeiten.
Vier Scheibenbremsen mit einem
relativ stark übersetzten Unterdruck-Servo sind dem Temperament des Rover 3500
angepaßt. Im Normalbetrieb sind sie allen Anforderungen durchaus gewachsen,
lediglich wenn man es bewußt darauf anlegt, kann man durch mehrmalige
Notbremsungen aus hohem Tempo ein leichtes Fading provozieren, das jedoch sehr
schnell wieder verschwindet.
Mit dem Rover 3500 bietet
British Leyland ein außergewöhnliches, qualitativ hochwertiges Fahrzeug sehr
preisgünstig an, gedacht für Leute, die das Besondere lieben und den Umfang
ihrer Brieftasche nicht unbedingt durch protzigen Chromschmuck dokumentieren
wollen. Der Rover 3500 ist ein getarnter Sportwagen, ein Auto mit der Kultur
eines großen Amerikaners und den kompakten Außenmaßen eines europäischen
Mittelklassewagens, mit dem man sich auch im dichtesten Stadtverkehr wohlfühlt.
Es wäre gefehlt, wollte man ihn als einen Wagen für Snobs abtun. Denn Schirm und
Melone, Pfeife und "a cup of tea" sind nicht unbedingt die typischen Merkmale
eines dem Charme des Rovers erlegenen Zeitgenossen.
0-100 km/h 11,0 Sek.
Höchstgeschwindigkeit 186 km/h
Testverbrauch 14,4 l/100 km
Austro-Motor / Österreich
3/1972
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