Rover 3500 V8

(Vergleich mit Citroen DS 20 und Mercedes 300 SEL 3.5 / W 108)

 

Bereits 1964 wird der Rover P6 mit 2-Liter-Vierzylinder zum "Car of the Year". 1968 erscheint der "Three Thousand Five", wie die Briten den 3500 nennen. Herzstück ist sein V8-Alumotor mit Hydrostößeln, der seine 140 PS per mechanischem Vierganggetriebe an die Hinterräder weiterreicht. Der 3,5-Liter ist ursprünglich ein "Small Block" von Buick, der von British Leyland auf die Bedürfnisse der Insulaner angepasst wurde und fortan über Jahrzehnte hinweg diverse Fahrzeuge vom Morgan Roadster bis zur Luxuslimousine antrieb.

 

Beim Gesamtkonzept gehen die Techniker aus Solihull einen ähnlichen Weg wie die Citroen-Kreateure. Auch der P6 genannte Rover hat ein tragendes Chassis, an dem die sichtbaren Teile verschraubt sind. Es wird berichtet, dass die finalen Probefahrten auf der Teststrecke ohne Karosserie, nur als Chassis mit Antrieb, durchgeführt werden. Erst danach erhielt er seine stählernen Planken. Wobei die beiden Hauben aus Aluminium sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: einfacherer Fertigungsaufwand, leichtere Reparatur. Immer dabei: das Vinyldach in Ebony oder Huntsman-Brown.

 

Im P6 stecken einige smarte Ideen. Die hinteren Scheibenbremsen sind innen montiert, das verringert die ungefederte Masse. Das Lenkrad ist, wenn auch nur marginal, in der Neigung einstellbar. Es gibt zwei Handschuhfächer. Und durch die an den vorderen Standlichtern oben angesetzten Prismen, die der Fahrer stets im Blickfeld hat, bemerkt der Pilot bequem vom Fahrersitz aus, wenn eine Lampe defekt ist.

 

Und auch den Rost bekämpft Rover mit viel Aufwand: Das von "Pressed Steel" angelieferte Stahlskelett ist während des Transports mit Wachs geschützt - so setzt es unterwegs keinen Flugrost an. Basis und Panele erhalten dann im Rover-Werk eine elektrophoresische Grundierung, das Gerippe bekommt noch eine Schicht Bitumen an den kritischen Schweißstellen. Zusätzlich werden die Hohlräume sowie der komplette Unterboden mit Wachs eingesprüht. Erfolg: Die erste Generation bis 1970 gilt als vergleichsweise gut gegen Gilb geschützt. Bei der zweiten Serie des 3500 S soll die schlechtere Blechqualität für seinen erhöhten Lochfraß verantwortlich sein.

 

Auch an der Vorderachse gehen die Entwickler einen außergewöhnlichen Weg: Die Schraubenfedern vorn liegen horizontal in Blechkästen (seitlich im Motorraum sichtbar) und werden über Umlenkhebel angesteuert. Hintergrund der Lösung war die Idee, im Laufe der Rover-Genesis auch eine Gasturbine anzubieten. Dazu kam es nicht, aber Platz für den kräftigen V8 blieb dafür genug.

 

Bei aller Cleverness in der Entwicklung haben die Mannen aus Solihull einen unlösbaren Zielkonflikt: Trotz 4,56 Meter Gesamtlänge ist der Kofferraum mit 268 Litern Volumen einfach zu klein. Der 68 Liter-Tank hinter der Rücksitzbank, die raumgreifende De-Dion-Hinterachse, das Reserverad, und ab der zweiten Serie ist rechts im Heckabteil zusätzlich noch die Batterie untergebracht. Da blieb nicht mehr allzu viel Platz fürs Gepäck übrig. Das fünfte Rad am Wagen wird entweder stehend links, liegend unten mittig, oben auf dem Heckdeckel gelagert, oder gleich ganz weggelassen. Dann nämlich, wenn die Kundschaft die damals brandneuen Dunlop Denovo-Pneus (nur in Verbindung mit Servolenkung) ordert. Die Runflat-Reifen bedürfen spezieller Felgen und sollen auch ohne Luft noch bis zu 100 Meilen lang spursicher durchhalten.

 

Ein 3500 mit Stoffsitzen kostet 1969 bei uns stolze 17.500 Mark. Ein Jahr später bringt ein kleines Facelift dem P6B 3500 S einen Kühlergrill aus Plastik und 1972 steigt die Leistung um sechs auf 150 PS. Und noch im vorletzten Produktionsjahr erhält der Rover eine zweifelhafte Ehre: Ihm wird vom britischen Automobilclub AA das "Viereckige Rad" verliehen. Das Gegenstück zur hiesigen "Silbernen Zitrone" des ADAC erhält er 1974 wegen vieler Liederlichkeiten, die die Besitzer richtig nerven.

 

1976 schließlich endet diese durchaus erfolgreiche Epoche. Etwas über 85.000 V8-Limousinen verlassen das Werk Solihull. Nachfolger ist der Rover SD1 mit modernem Fließheck. Ein noch traurigeres Kapitel der P6-Historie folgt sechs Jahre später, am 13. September. Die monegassische Fürstin Gracia Patricia, auch als Hollywood-Schauspielerin Grace Kelly bekannt, verunfallte in ihrem Rover 3500 und erliegt später im Krankenhaus ihren Verletzungen.

 

Unser Testwagen

Oliver Waldschmidt ist im wahrsten Sinne Rover-Pilot. Im echten Berufsleben steuert der gebürtige Hesse nämlich Hubschrauber. Sein almondbraun lackierter Wikinger macht, bis auf etwas Oberflächenrost am hinteren Türausschnitt, einen sehr gepflegten Eindruck. Der gesunde V8-Schrei entlaubt Sträucher und Wiesen, die Automatik hakt zwar gelegentlich etwas, aber die Lederpolster und das Faltdach machen den Briten zu einem noblen Familientransporter. Der Zähler steht auf fast 75.000 Meilen. Waldschmidt hat davon seit dem Kauf im Dezember 2012 wohl erst 1.000 Miles selbst draufgespult. Denn wenn er mit seiner Tochter Nele unterwegs ist, fährt er lieber seinen MG Midget der Serie III. Am Rover schätzt er das gute Raumangebot und das stilvolle Ambiente. Für den praktischen Alltag hat sein P6 eine Anhängerkupplung montiert.

 

--------------

 

Wer ständig von Maßstäben in der Oberklasse schreibt, muss auch nachmessen und knallhart vergleichen. Als Tester bitten wir Siegfried Wilke, langjähriges Mitglied des Oldtimerclub Augsburg, mit einer gewissen exzentrischen Neigung zur Verkleidung und der britischen Oberklasse, hinzu. Nach seiner französischen Phase mit Citroen DS und später CX wechselte er Ende der 70er endgültig ins britische Lager.

 

Sein vorläufiges Urteil: "Zugegeben - die Mercedes-Latte hängt hoch". Die schwäbischen Tugenden sind unbestritten, der Daimler ist formal vielleicht etwas langweilig. Dafür ist er zuverlässig und gediegen verarbeitet. Und wenn nicht der thermisch kritische 250er-Motor verbaut ist, ist er auch heute noch für die linke Spur tauglich. Das Platzangebot ist üppig wie behaglich, der Kofferraum ein Kofferraum - mehr Gepäck und Insassen schluckt keiner in diesem Trio. Und bis auf den 6,3 sind "gewöhnliche" W 108/109 technisch problemlos und robust. Teile gibt es beim freundlichen Mercedes-Händler, es ist alles nur eine Frage des Geldes. Auch Chromteile sind traditionell teuer. Aber: Wer Oldiefahren ohne Risiko will, kommt um die S-Klasse von Mercedes nicht herum.

 

Der Rover P6 gibt sich innen recht cosy, und das Gepäckabteil ist das kleinste im Vergleich. Deshalb gibt es auch ohne Mehrpreis eine Reserveradhalterung für den Kofferraumdeckel. Der Brite wirkt verspielter: Das Wikingerschiff aus dem Markenlogo findet sich stilisiert sogar an den Türschlössern oder Lenkhebeln wieder. Wie beim Citroen lassen sich die Blechteile abschrauben, das erleichtert Tausch oder Restaurierung sehr. Die V8-Motoren gelten als robust, wenn ihnen nicht dauernd deutsche Autobahntempi abverlangt werden. Doch wer schneller als 120 fährt, ist sowieso ein Prolet! Weiteres Briten-Plus: Er ist nicht auf der Shoppingliste deutscher Sammler, das macht ihn auch preislich so interessant. Am besten, man holt seinen Rover P6 direkt von der Insel. Dann ist auch das Steuer auf der richtigen Seite.

 

Man muss nicht unbedingt frankophil sein, um die DS abgöttisch zu lieben. Das herausragende Design ist Kunst pur und erinnert an Skulpturen von Hans Arp. Das Fahrwerk zieht Schlaglochpisten glatt wie Herbergsväter die Bettlaken im Landschulheim. Die Hydropneumatik macht den Wagenheber überflüssig. Das Fahrgefühl ist majestätisch, das Raumangebot behaglich angemessen. Dazu kommen Leckerbissen wie die Knopfbremse, innen liegende Scheibenbremsen, vier rahmenlose Scheiben. Und dann erst der Komfort! Man fühlt sich wie auf der Couch. So ein Citroen gehört auf die Landstraße - für Autobahnen mit ihren dauerlinksfahrenden Vertreter-Turbodieseln ist er zu schade. Einziges Manko: Die angebotenen Motoren sind nicht wirklich die allererste Wahl. Ein Sechszylinder oder wenigstens etwas mehr Leistung wären schön gewesen. Doch was soll´s: Im Untergeschoss unserer automobilen Gedankenwelt hat eine DS ihren reservierten Parkplatz. Wenn die Chapron-Cabrios nur nicht längst in preislich völlig utopische Sphären entschwebt wären, wir hätten eines in der Garage.

 

Fazit

Mercedes-Fahren ist ein Lebensgefühl. Qualität, Image, Wertbeständigkeit und gute Teileversorgung machen ihn zum echten Allrounder für Oldiefans. Das Design wirkt wie aus einem Guss. Potente Motoren, komfortable Extras, immer gern mit Automatik - so mag es der etablierte Sternenkundler.

 

Deutlich subtiler gibt sich der im Markt immer noch unterbewertete Rover. Laien würden keinen Achtender in der gefälligen Karosse vermuten. Auch die Materialien wirken gediegen, das Design ist geschmackvoll. Wer britische Clubs mit eigener Tontaubenschießanlage und Singlemalt-Whisky bevorzugt, chauffiert würdevoll einen Rover P6. In unseren Breitengraden ist er der etwas schrullige Außenseiter für Männer, die es individuell und britisch mögen.

 

Aus einer scheinbar völlig anderen Dimension kommt dagegen die DS. Hinter dem Einspeichenlenkrad sehen auch Mittelschüler mindestens wie Ärzte, Apotheker oder Architekten aus. Jedes Designelement im Citroen zeugt von Liebe zum Detail - und auch einer gewissen Arroganz. Distanz zur Masse, das scheint die Philosophie der französischen Autobauer gewesen zu sein. Eher existenzialistisch dagegen geben sich die Antriebe: Der Anspruch von La Deesse ist nicht die nervöse Hatz auf dem Überholstreifen. Sie ist zum göttlichen Gleiten gebaut.

 

Bleibt die Frage: Welchen Klassiker unseres Testtrios nehmen? Für gewöhnliche Millionäre ist die Antwort einfach: natürlich alle drei. Wir Otto Normalschrauber müssen uns jedoch entscheiden, der unbedeutende Unterzeichner dieser Zeilen kann es leider nicht.

Autoclassic / Deutschland 2013

ZURÜCK