Rover 3500 S
Die neue Generation der
Rover-Limousinen, die im Herbst 1963 mit dem Modell 2000 eingeführt wurde,
erhielt im Frühjahr 1968 Zuwachs durch den Typ 3500. Dieser mit einem V8-Motor
ausgerüstete Typ war nur mit einer automatischen Kraftübertragung erhältlich,
einem Borg Warner-Getriebe, dessen Robustheit zwar gut zu einem luxuriösen
Langstrecken-Reisewagen paßte, dessen Tendenz zur Trägheit aber die volle
Ausnutzung der Motorleistung verunmöglichte. Mit dem am Londoner Salon 1971
eingeführten Modell 3500 S ist das nun anders geworden. Mit einem
Handschaltgetriebe ausgerüstet, erweist sich diese neue Version nicht nur als
schneller und zu rascherem Beschleunigen befähigt als die Version mit
Getriebeautomat, sie ist auch um 1.000 Fr. (18.900 gegenüber 19.900 Fr.) weniger
teuer, was manchmal Bedeutung haben kann.
In Anbetracht der Wagenklasse,
der sie angehören, und ihrer Leistungsfähigkeit werden die starken Limousinen
3500 / 3500 S zu einem wirklich sehr interessanten Preis angeboten. Das wird
denn auch durch den Erfolg bestätigt, den diese Wagen haben, einen Erfolg, der
dazu zwang, die Wochenproduktion der Werke in Solihull von 900 auf 1000
Einheiten zu steigern (Modelle 2000 und 3500 zusammengezählt). Obschon die
Rover-Limousinen seit ihrer Lancierung nur geringfügigen Abänderungen unterzogen
wurden, wirken sie doch nach wie vor attraktiv. Sie sind technisch interessant,
präsentieren sich gediegen und elegant und verkörpern auf typisch englische Art
vornehmes Gehabe mit dem Streben nach hoher Leistung. Seit ihrem ersten
Erscheinen sind bis jetzt rund 200.000 Wagen des Modells 2000 und 60.000 Wagen
des Modells 3500 herausgekommen.
Was neu ist
Der 3500 S unterscheidet sich
vom 3500 äußerlich durch sein mit Vinylfolie bespanntes Dach, durch die
Beifügung eines "S" an der Typenbezeichnung und durch sternförmige
Radzierkappen, im Wageninnern durch neugestaltete, noch umfassendere Sitze als
die des 3500 sowie ein lederbezogenes sportliches Lenkrad von kleinerem
Durchmesser (41 statt 43 cm) für die Wagen mit Servolenkung, die auf Wunsch für
Fr. 800 geliefert wird und angesichts des Leergewichtes des Wagens von nahezu
1400 kg eigentlich zum Wagen serienmäßig gehören sollte.
In technischer Hinsicht
unterscheidet sich der Rover 3500 S außer durch das Getriebe nicht wesentlich
vom 3500 mit Getriebeautomat. Die hauptsächlichen Charakteristiken sind
beibehalten worden. Der starke kipphebelgesteuerte V8-Leichtmetallmotor wurde
von einem seit etwas mehr als zehn Jahren nicht mehr gebauten Buick-Triebwerk
abgeleitet und selbstverständlich verbessert. Er wird immer noch mit zwei
Vergasern gespiesen, jedoch nicht mehr mit den SU HS 6-Vergasern, mit denen die
Berlinen ursprünglich ausgerüstet wurden, sondern zwei Halb-Fallstromvergasern
SU HIF/6 mit horizontalem Lufteinlaß und Schwimmerkammern mit konstantem Niveau,
die "sauberer" und bei jeder Motorbelastung und -temperatur regelmäßiger
arbeiten. Wie er jetzt im 3500 S eingebaut wird, entwickelt dieser Motor eine
Höchstleistung von 147 DIN-PS, das heißt 6,5 PS mehr als der Motor des 3500. Der
Leistungsgewinn kommt durch eine neue Formgebung des Auspuffsystems zustande.
Das Vierganggetriebe ist aus
demjenigen der Berline 2000 TC hervorgegangen. Mit Rücksicht auf die größere
Wärmeabgabe des V8-Motors war es jedoch notwendig, das Ölfassungsvermögen der
Getriebewanne zu vergrößern und ihre Form zu modifizieren. Eine hinten an der
Zwischenwelle montierte zusätzliche Pumpe sorgt außerdem für eine bessere
Schmierung. Die Wellen und Lager wurden verstärkt und anstelle von Kugel- und
Nadellagern sind konische Rollenlager getreten.
Fast ein "Pleonasmus"
Das sehr gut abgestufte und
einwandfrei synchronisierte Getriebe wird sehr genau mit einem kurzen
Mittelschaltknüppel bedient, der gut zur Hand liegt. Man könnte nur wünschen,
daß sich die Gänge, vor allem der erste Gang, mit weniger Kraftaufwand einlegen
ließen. Die Charakteristiken des Getriebes erlauben es, die Leistung und
Elastizität des Motors gut zur Geltung zu bringen. Der robuste Motor ist frei
von den Vibrationen, die uns das Vierzylindertriebwerk manchmal beschert. Er
arbeitet geräuschlos bis 4500 U/min, kommt rasch auf Touren und klettert
gelegentlich fröhlich auch in den Bereich der roten Drehzahlen (von 5300 U/min
an), wobei er allerdings ausgesprochen laut zu arbeiten beginnt.
Wie es der Wert und die
Drehzahl des höchsten Motordrehmomentes erwarten lassen (27,4 DIN-mkg bei 2700
U/min), erweist sich dieser Motor als außerordentlich elastisch. Er steht im
vierten Gang schon von 500 U/min an zur Verfügung und entwickelt sein volles
Durchzugsvermögen von 1500 U/min an. Die Kombination eines solchen Motors mit
einem Getriebeautomaten scheint beinahe überflüssig und kommt einem daher
unwillkürlich fast wie ein Pleonasmus vor.
Originelle technische
Lösungen
Was die Federung betrifft,
findet man die gleichen originellen Lösungen, die schon an den Rover 2000 und
3500 zur Anwendung gelangten. Die nach aufwärts verlängerten Achsschenkel der
Vorderräder werden unten durch Dreieckquerlenker und oben durch Winkelhebel
geführt. Die waagerecht liegenden Schraubenfedern sind in dieses
Winkelhebelsystem eingebaut. Die Vertikalschwingungen werden demnach von den
Achsschenkeln über die Winkelhebel zu den Schraubenfedern übertragen. Die
Querneigungsstabilisierung erfolgt durch einen Torsionsstab, der die beiden
Winkelhebel miteinander verbindet.
Die Hinterradführung ist nicht
weniger originell konzipiert: Um Längsschiebemuffen in den Radantriebswellen
vermeiden zu können, die manchmal Anlaß zu Knackgeräuschen geben, wurde die De
Dion-Hinterachse, welche die beiden Hinterräder miteinander verbindet, seitlich
verschiebbar ausgebildet. Die seitliche Führung der Hinterräder wird deshalb
ausschließlich von den Radantriebswellen übernommen. Ihre Längsführung geschieht
durch die De Dion-Achse, die ihrerseits durch ein Wattgestänge geführt ist. Die
Schraubenfedern und die konzentrisch in ihnen eingebauten Teleskopstoßdämpfer
stützen sich auf die Diagonalstreben ab, die den vorderen Teil des Wattgestänges
bilden. Um das Gewicht der unabgefederten Massen zu verringern, wurden die
Bremsscheiben unmittelbar neben dem Winkel- und Differentialgetriebe angeordnet.
Die dadurch erleichterten Hinterräder neigen so auch auf holprigen Straßen
weniger zum Hüpfen, haben eine bessere Haftung auf der Fahrbahn.
Man sieht, daß nichts
vernachlässigt wurde, was den Wageninsassen optimalen Komfort und höchstmögliche
Sicherheit verheißt, selbst wenn es Mehrkosten mit sich brachte, denen sonst
jede Konkurrenz ausweicht (nur die Alfa Romeo Alfetta weist eine gleiche
Hinterradfederung auf).
Kein Blendwerk
Da dieser Test im Grunde
genommen eine Ergänzung des Berichtes über den 3500 ist, den wir im Mai 1969
veröffentlichten, erübrigt sich eine nochmalige Beschreibung der zahlreichen
Einzelheiten, die dem Wagen eine hohe passive Sicherheit verleihen. Wir
beschränken uns auf den Hinweis, daß sich beim Rover 3500 S die primäre (aktive)
und sekundäre (passive) Sicherheit sich gegenseitig ergänzen, während sie von
gewissen anderen Konstrukteuren mehr noch als Alternativen verwirklicht werden.
Die Passagierkabine ist bis auf
einige Einzelheiten unverändert geblieben. Mit ihrem diskreten sportlichen
Gepräge (gut ausgerüstete, leicht ablesbare Armaturen) und dem hohen
Komfortniveau, das sie bietet (die vorderen Einzelsitze und die Fondsitze mit
ihrer idealen Wölbung verdienen in dieser Hinsicht besonders hervorgehoben zu
werden), entspricht sie durchaus dem, was man vom Fahrgastraum eines
Langstrecken-Reisewagens erwarten kann.
Das bisher gespendete Lob darf
allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Beinraum im Wagenfond nach wie
vor dürftig bemessen ist und daß das theoretische Fassungsvermögen des
Gepäckraumes wegen des platzraubenden großen Reserverades nur schwer ausgenützt
werden kann. Wohl kann man das Reserverad, das normalerweise an der linken
Seitenwand des Gepäckraumes verstaut ist, herausnehmen und auf dem
Kofferraumdeckel befestigen, beeinträchtigt damit aber mindestens das allgemeine
Aussehen des Wagens
Die Zone von 160 km/h
Der 3500 S vermag eine
Höchstgeschwindigkeit von nahezu 200 km/h zu erreichen. Gegen 160 km/h hin kommt
er jedoch in eine "kritische Zone" hinein, die drei Fehler in Erscheinung treten
läßt: Die zwei ersten, nämlich eine merkliche Zunahme des Benzinverbrauches und
ein beträchtliches Anschwellen der Fahrtwindgeräusche, haben ihre Ursachen in
der Form des Wagenbugs, der zwar gefällig ist, aber in aerodynamischer Hinsicht
noch zu verbessern wäre. Der dritte Fehler besteht in einem gewissen Schwimmen
der Lenkung, das besonders bei seitlichen Windstößen und auf unebenen Fahrbahnen
spürbar wird und bei hohen Geschwindigkeiten die Richtungsstabilität des Wagens
beeinträchtigt. Die wenig günstige Form des Wagenvorderteiles, die
wahrscheinlich Auftriebskräfte in Erscheinung treten läßt, dürfte wenigstens
teilweise ebenfalls zu diesem Verhalten des Wagens beitragen. In Anbetracht der
sonst hohen Qualitäten des Rover 3500 S drängen sich Maßnahmen zur Korrektur
dieser störenden Neigung zum Schwimmen bei Geschwindigkeiten von mehr als 160
km/h besonders deutlich auf.
Unterhalb von 160 km/h
ermöglicht die angenehm untersetzte (3 1/4 Lenkradumdrehungen von Anschlag zu
Anschlag), präzise und leichtgängige (wenn mit Servohilfe) Lenkung dem Fahrer
einen guten Kontakt mit der Straße. Die Lenkungsuntersetzung nimmt von der
Geradeausfahrt bis zum vollen Einschlag von 21,5 bis 26,1:1 zu. Wie beim Modell
3500 kann das Lenkrad achsial und in der Neigung verstellt werden, so daß jeder
Fahrer die ihm am besten zusagende Lenkradstellung wählen kann.
Die Vierradscheibenbremsen sind
dem Gewicht und den Leistungen des Wagens gut angemessen. Sie haben eine gute
Standfestigkeit, wären aber in der Wirkung noch leichter zu dosieren, wenn sie
nicht eine ziemlich lange Ansprechzeit hätten, die unter anderem dem Umstand
zugeschrieben werden dürfte, daß bei den kontinentalen Modellen die Leitung
zwischen dem rechts vorn im Motorraum eingebauten Servoapparat und dem links
unter dem Cockpit angeordneten Hauptbremszylinder ziemlich lang ist. Dieser
Fehler ist allerdings nicht allzu schwerwiegend und wird, nachdem man sich an
ihn gewöhnt hat, umso weniger spürbar, je leichter der auf das Pedal ausgeübte
Druck ist. Schließlich verdient noch hervorgehoben zu werden, daß bei normalem
Gebrauch der Bremsen die Stabilität immer befriedigend war, selbst dann, wenn
aus hohen Geschwindigkeiten stark verzögert wurde.
Er hängt nach außen, bleibt
aber griffig
Der Rover 3500 S erweist sich
keineswegs als "übermotorisiert". Die Charakteristiken seines Chassis kommen mit
den 147 DIN-PS des Motors durchaus zurecht. Als sie den 3500 S entwickelten,
bekümmerten sich die Ingenieure von Solihull vor allem um das Wohlbefinden der
Wageninsassen und wählten die Federungsweichheit dementsprechend aus. Die
Federung erhielt ein ausgezeichnetes Schluckvermögen für Straßenunebenheiten,
ohne daß deshalb die Straßenhaftung zu kurz gekommen wäre. In langgezogenen
Kurven verhält sich der 3500 S neutral, in engeren fängt er an, leicht zu
untersteuern. Werden im Extremfall Haarnadelkurven sehr schnell angefahren, so
geht er zum Übersteuern über, und zwar mehr oder weniger progressiv, je nachdem,
ob die Fahrbahn trocken oder nass, eben oder holprig ist. Wir hatten keinerlei
Schwierigkeiten, ein seitliches Wegwischen des Wagenhecks unter Kontrolle zu
halten. Wie es das dynamische Bild am Kopf des Artikels bezeugt, kann die
Karosserie beim schnellen Durchfahren von Kurven stark, wenn nicht gar
bedenklich nach außen hängen. Aber selbst in solchen Fällen kommt es nur selten
zu einem Rutschen.
0 bis 100 km/h 10,3 Sek.
Höchstgeschwindigkeit 195,4 km/h
Verbrauch 13,0 bis 19,2 l/100 km
Testverbrauch 16,1 l/100 km
auto / Schweiz 2/1973
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