Rover 3500 V8

Understatementalität

Understatement ist, wenn man nicht sieht, was es gekostet hat. Dem deutschen Wesen liegt diese Mentalität fern, dem Engländer sagt man nach, dass er mehr zum Understatement neigt. Es gibt einige Autos, die das bestätigen. Zu ihnen gehört seit einigen Jahren der Rover 2000, jene technisch aufwendige, aber unscheinbare Limousine, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten unterdessen zu den anerkannten Qualitätsprodukten der britischen Automobilindustrie zählt.

Seit einigen Jahren war das Projekt bekannt, den Rover 2000 mit dem 3,5-Liter-V8-Motor auszurüsten, dessen Baulizenz und Herstellungseinrichtungen Rover von Buick erworben hatte. Der Leichtmetall-V8, den Buick für die wenig erfolgreichen Compactmodelle entwickelt hatte, war durch seine günstigen Einbaumaße und sein geringes Gewicht für dieses Auto wie geschaffen. Rover verwendete ihn allerdings zunächst in der altehrwürdigen Mark IV-Limousine und ließ sich mit dem Einbau in den moderneren Typ Zeit. Seit 1968 wird nun auch diese vielversprechende Kombination gebaut.

Der Understatement-Effekt wird natürlich durch den V8-Motor noch gesteigert. Zugleich wird aber auch der Käuferkreis beschränkt, denn – Understatement hin, Understatement her – ein wenig Platz und Kofferraum möchte man in einem 16.000 Mark teuren Achtzylinderauto schon haben. Setzt man sich 1969 in den Rover, der in dieser Form seit 1963 gebaut wird, dann stellt man fest, dass die Jahre an ihm nicht spurlos vorübergegangen sind. Die Karosserie, die man damals als originell empfand, wirkt jetzt ein wenig verschroben und altbacken. Die hohe Gürtellinie, das nach hinten abfallende Dach, die Trapezform der hinteren Seitenteile muten den monderfahrenen Menschen von heute wie eine Erinnerung aus alter Zeit an. Schade, dass Rover diese gut konstruierte, unfallsichere Karosserie damals nicht zukunftssicherer gestaltet hat.

Schade auch, dass sie nicht etwas geräumiger ist. Für mehr als zwei Leute ist weder vorn noch hinten Platz, und die Ellbogen muß man militärisch anlegen, wenn man nicht dem Nachbarn ins Gehege kommen will. Die Knappheit des Kofferraumes ist schon beinahe sprichwörtlich und veranlasste Rover zu der originellen Lösung, eine Ersatzradhalterung auf dem Kofferdeckel anzubieten (beim 3500 serienmäßig).

Erfreulich dagegen die geschmackssichere und gute Innenausstattung. Sie versöhnt etwas mit der Raumknappheit, weil sie ein ausgeprägtes „Klein-aber-fein-Image“ hervorruft. Man merkt: hier ist man nicht bei armen Leuten. Gut geformte, bequeme Sitze mit serienmäßiger Lederpolsterung und stufenloser (wenn auch etwas umständlicher) Lehnenverstellung, eine große offene Ablage, zwei verschließbare Fächer, verstellbares Lenkrad, gut gekennzeichnete Schalter und Hebel, Teppiche mit Filzunterlage sorgen für einen gediegenen Gesamteindruck. Die Einzel-Rücksitze entsprechen in Form und Bequemlichkeit den vorderen, bieten allerdings nur dann genügend Knieraum, wenn die Vornsitzenden sich mit dem Raumanspruch bescheiden. Die Bedienung entspricht nahezu dem kontinentalen Standard, Abblendung und Lichthupe werden mit dem linken Lenkradhebel betätigt, Blinker und Hupe mit dem rechten. Eine Lenkrad-Wischerbetätigung gibt es nicht, aber der Wischer-Wascher-Hebel liegt so, dass man ihn vom Lenkrad aus leicht erreichen kann. Auch eine separate Lüftung und ein kräftiges Lüftergebläse sind vorhanden. Auf die Lehnen können vorn und hinten spezielle Nackenstützen aufgesteckt werden, die sich durch genügend weit vorgewölbte Form und dicke Polsterung auszeichnen.

Motor: gepflegte Kraftentfaltung

Dass Rover selbst Motoren konstruieren kann, war mit dem 2-Liter-Vierzylinder genügend dokumentiert worden. Da aber für ein Werk dieser Größenordnung (Rover war damals noch selbstständig) die Konstruktion weniger ein Problem darstellt als die Anschaffung der Herstellungseinrichtungen, wäre es ohne das günstige Buick-Angebot wohl kaum zu der Achtzylinder-Version gekommen. Auch die BLMC, unter deren schützendem Dach sich Rover unterdessen eingefunden hat, kann kein gleichwertiges Triebwerk bieten: Die großvolumigen Jaguar-Sechszylinder haben keine lange Zukunft mehr vor sich, der Daimler-V8 ist kleiner und hat weniger Leistung.

Die Rover-Inschrift auf den elegant verrippten Ventildeckeln lässt nichts mehr von der US-Vergangenheit des Motors merken. Man braucht sich aber dieser Vergangenheit auch nicht zu schämen, denn der Leichtmetallmotor verkörpert modernsten Motorenbau – auch wenn die Amerikaner unterdessen wieder zum billigeren Grauguß zurückgekehrt sind. Mit 71,1 mm Hub und 88,9 mm Bohrung ist er sehr kurzhubig, automatisch nachstellende hydraulische Ventilstößel sorgen für einen ruhigen Lauf. Die Nockenwelle ist in üblicher Weise zentral angeordnet und betätigt die Ventile über kurze Stoßstangen.

Rover hat den Motor mit einer Dreigang-Getriebeautomatik von Borg Warner kombiniert, ein Schaltgetriebe gibt es nicht. Dieses Verfahren ist durchaus sinnvoll, denn zu durchzugskräftigen Achtzylindern passt nichts besser als die Getriebeautomatik mit Drehmomentwandler. Dass damit die endgültige und optimale Lösung der Antriebsfrage beim Rover gefunden ist, zeigt schon der erste Fahreindruck. Man hört wenig und merkt viel. Leise und mit großer Kraft wird das Auto vorwärtsbewegt. Es gehorcht sauber auf Gaspedalbewegungen, hat viel Temperament und bleibt dabei nervenschonend.

Der vorherrschende Eindruck ist nicht der eines sportlichen, sondern mehr der eines gepflegten und kommoden Automobils. Der V8 fühlt sich ziviler an als der 2000 TC, ist aber dennoch wesentlich schneller. Diese Kombination zwischen hoher Leistung und absoluter Laufruhe wird dadurch besonders reizvoll, dass es sich um ein äußerlich kleines Auto handelt. Man kann sich das Understatement sozusagen auf der Zunge zergehen lassen. 188 km/h Spitze sind ja immerhin etwas, und die Beschleunigung ist zwar nicht sensationell, enthebt aber den Fahrer aller Steigungs- und Überholschwierigkeiten.

Die Getriebeautomatik arbeitet im Normalbetrieb so, dass man sich mit ihr nicht zu beschäftigen und lediglich die D-Stellung zu benutzen braucht. Das Schalten geht weich und fast unmerklich, wenn auch nicht überaus schnell vor sich. Auf den Kickdown reagierte sie im Testwagen etwas zu unwillig: Man konnte die Gänge nur im unteren Teil ihres Fahrbereiches zurückholen, die Automatik schaltete zwar gern herauf, aber ungern herunter. Das ist bei einem elastischen Achtzylinder nicht so tragisch, aber manchmal hätte man doch gern den ersten oder zweiten Gang, wo man in D-Stellung auf den dritten angewiesen ist. In diesen Fällen hilft nur Zurückschalten mit dem Wählhebel, durch den in üblicher Weise die beiden unteren oder der untere Gang festgehalten werden können. Mit Durchschalten sind auch spürbar bessere Beschleunigungswerte zu erzielen als beim Anfahren in Stellung D (siehe Messwerte). Als einziger Mangel der sonst überaus leisen und weichen Kraftübertragung waren ein kräftiger Stoß beim Umschalten in den Rückwärtsgang und ein vernehmliches Brummen der Kardanwelle im Bereich zwischen 160 und 170 km/h zu notieren. Bei weiter zunehmender Geschwindigkeit ließ dieser Erscheinung wieder nach. Sonderlob verdient das ungewöhnlich genau und gleichmäßig anzeigende, trotz seiner Bandform gut ablesbare Tachometer, dessen einziger Nachteil die spiegelnde Scheibe ist.

Mit einem gesunden Lebendgewicht von 1365 kg ist der Rover kein leichtes Auto – er würde sonst mit 149 PS auf noch bessere Beschleunigungswerte kommen. Das Gewicht wirkt sich auch auf den Verbrauch aus, der, wenn man die Leistung einigermaßen ausnutzen will, kaum einmal unter 15 l/100 km sinkt. Die Durchschnittswerte liegen zwischen 15 und 17,5 Liter, unter ungünstigen Bedingungen auch darüber. Mehr als 20 Liter werden aber nicht durchlaufen – gemessen an Hubraum und Leistung ist der 3500 V8 also ein Auto mit akzeptablen Verbrauchsansprüchen. Der Tank ist mit 68 Liter Inhalt nicht überaus groß, das Tanken ist kein einfaches Geschäft, weil der Einfüllstutzen nicht so viel schluckt wie die Zapfpistolen zu liefern vermögen. Im Ölverbrauch erwies sich der Motor als sparsam.

Fahreigenschaften: schluckfreudig

Mit seiner eigenwilligen Vorderradaufhängung, deren Übertragungshebel auf waagerecht liegende Schraubenfedern wirken, und der De-Dion-ähnlichen, aber spurverändernden Schieberohr-Hinterachse ist der Rover ein ganz unenglisches Automobil. So viel Mühe pflegte man in Rolls Royce´s own country früher nicht auf Radaufhängungen zu verwenden, und auch heute noch sind wirklich gut federnde Autos dort Ausnahmen. Der Rover gehört zu ihnen.

Mit dem leisen und vibrationsfreien Motor kommt dieser Vorzug besonders gut zum Tragen. Es zeigt sich, dass nicht nur den Radaufhängungen, sondern auch der Abdämmung der Karosserie gegen die Geräusche und Vibrationen Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Die Federung arbeitet so gut wie geräuschfrei, ein auf rauher Fahrbahn hörbares Abrollgeräusch hielt sich in wenig störenden Grenzen und dürfte auf die Gürtelreifen zurückzuführen sein. Alle Arten von Bodenwellen werden von der Federung ausgezeichnet geschluckt, lediglich Autobahn-Querfugen sind manchmal in der Karosserie spürbar. Die Federung spricht auch bei langsamem Fahren leicht an, so dass man den Rover zu den Autos mit gutem Stadtkomfort rechnen kann. Große Bodenwellen werden von der Dämpfung absorbiert, ohne dass es zu störende Schwingungen kommt.

Mit diesem Komfort ist der Rover ein Auto, das sich gut für schnelle Autobahn-Dauerfahrten eignet. Das schnelle Fahren wurde aber, ausser durch die erwähnten Vibrationen in der Kraftübertragung, durch einen ungenauen Geradeauslauf bei Geschwindigkeiten über 160 km/h etwas beeinträchtigt. Bis ca. 160 lief der Wagen schnurgerade und brauchte keinerlei Korrekturen, über 160 begann er leicht zu schwimmen. Zum Teil ist das bestimmt auf die Avon-Gürtelreifen zurückzuführen, die wir auch auf anderen Autos schon als ungenügend richtungsstabil kennenlernten. Beteiligt ist aber auch die Lenkung, die im Mittelbereich etwas zu nachgiebig arbeitet, so dass der Wagen auf Ausgleichsbewegungen immer erst mit Verzögerung reagiert.

Für den Normalbetrieb erwies sich die Lenkung trotz des relativ hohen Wagengewichts als nicht zu schwergängig, stoßfrei und genügend exakt. Es ist eine Burman-Kugelumlauflenkung mit variabler, bei zunehmendem Einschlag indirekter werdender Übersetzung. Dank dieser Auslegung fordert der Rover auch beim Rangieren nur geringen Lenkungs-Kraftaufwand. Erfreulich ist der kleine Wendekreis. Eine Servolenkung wird von Rover bisher nicht angeboten.

Beim schnellen Kurvenfahren erwies sich der 3500 wie der 2000 als zunächst unter- und im Grenzbereich übersteuernd. Der Übergang zum Übersteuern schien uns jedoch milder zu sein als beim 2000, man kam nicht in Schwierigkeiten und konnte den Wagen durch Zurücknehmen des Lenkradeinschlages leicht unter Kontrolle halten. Ohnehin liegt die Querbeschleunigung, bei der das Übersteuern beginnt, so hoch, dass man sie im Normalbetrieb kaum einmal erreichen wird. Der vorherrschende Eindruck ist der eines überdurchschnittlich kurvenfesten, auch bei hoher Kurvengeschwindigkeit noch spurgenau laufenden Autos.

Rover hat die Bremsen der höheren Leistung angepasst. Sie waren auch bei hoher Beanspruchung nicht zum Nachlassen zu bringen und dürften allen Situationen des Fahrbetriebes gewachsen sein. Natürlich empfiehlt es sich, bei Dauer-Bergabfahrten in die Getriebestellungen 1 oder 2 zurückzuschalten. Erfreulich war die gute Wirkung der Handbremse, die auf die innenliegenden hinteren Bremsscheiben wirkt.

Der Gesamteindruck ist der eines durch und durch kultivierten, ausgereiften Automobils mit hoher Leistung, guter Fahrsicherheit und hervorragendem Fahrkomfort. Rover wird mit diesem Wagen seinen Ruf, Autos von ungewöhnlicher Qualität zu bauen, weiter festigen können. Leider gibt es in Deutschland nur wenige Kundendienstwerkstätten, aber der Wagen machte nicht den Eindruck, als würde er oft die Betreuung durch eine Werkstatt nötig haben. Wer bei uns den Mut zum Understatement aufbringt und sich dieses Auto anschafft, wird diesen Entschluß beim Fahren nicht bereuen.

Karosserie

Viertürige Karosserie mit ausreichend bequemem Einstieg und befriedigenden Sichtverhältnissen. Kompakte Aussenmaße, enger Innenraum, Bewegungsfreiheit für vier Personen im Verhältnis zur Preisklasse gering. Kleiner, aber gut zugänglicher Kofferraum, Unterbringung des Ersatzrades auf dem Kofferdeckel möglich.

Ausstattung

Vollständige und qualitativ hochwertige Innenausstattung, gutgeformte Sitze mit Lederpolsterung und stufenloser Lehnenverstellung.

Bedienung

Übersichtliche Bedienung durch gut gekennzeichnete Schalter und Hebel, ausreichend gut erreichbarer Scheibenwischerschalter, gute Kapazität und Dosierbarkeit von Heizung und Belüftung.

Kraftübertragung

Serienmäßig automatisches Getriebe mit drei Gängen und Drehmomentwandler, jeder Gang sperrbar, gut plazierter Mittelwählhebel mit Knopfsperre, weiche Schaltvorgänge, Reaktion der Automatik auf Kickdown unbefriedigend. Vibrationen in der Kraftübertragung bei Geschwindigkeiten zwischen 160 und 170 km/h.

Motor

Leise und vibrationsfrei laufender Achtzylindermotor mit hoher Durchzugskraft im gesamten Drehzahlbereich.

Fahrleistungen

Gutes Beschleunigungsvermögen, hohe Kraftreserve am Berg und beim Überholen, Höchstgeschwindigkeit 188 km/h.

Verbrauch

Verbrauchswerte je nach Fahrweise zwischen 15 und 20 Liter/100 km, Durchschnittswerte 15 bis 17 Liter.

Fahreigenschaften

Sichere Fahreigenschaften, hohe Kurvenfestigkeit bei spurgenauem Fahren, im Grenzbereich Übergang zu gut beherrschbarer Übersteuerneigung, gute Bodenhaftung auch auf schlechter Fahrbahn, Geradeauslauf bei Geschwindigkeiten über 160 km/h nicht ganz befriedigend,

Fahrkomfort

Leise ansprechende, bei jeder Geschwindigkeit gut schluckfähige Federung, geringes Fahrgeräusch, sehr guter Gesamtkomfort.

Lenkung

Ausreichend leichtgängige, stoßfreie Lenkung mit variabler Übersetzung, Zielgenauigkeit bei hohen Geschwindigkeiten nicht ganz befriedigend, kleiner Wendekreis.

Bremsen

Gut dosierbare, standfeste Bremsen mit geringer Bedienungskraft (serienmäßig Verstärker), wirksame Hebel-Feststellbremse.

 

 Beschleunigung

 

Stellung D

handgeschaltet

0 bis   40 km/h

3,4 Sekunden

3,2 Sekunden

0 bis   60 km/h

5,9 Sekunden

5,6 Sekunden

0 bis   80 km/h

9,1 Sekunden

8,4 Sekunden

0 bis 100 km/h

13,0 Sekunden

11,9 Sekunden

0 bis 120 km/h

17,9 Sekunden

16,8 Sekunden

0 bis 140 km/h

25,4 Sekunden

23,4 Sekunden

0 bis 160 km/h

36,8 Sekunden

34,5 Sekunden

400 m mit stehendem Start

18,5 Sekunden

18,0 Sekunden

1 km mit stehendem Start

33,5 Sekunden

32,9 Sekunden

 

 Höchstgeschwindigkeit 188,5 km/h

 

 

 Verbrauch

Autobahn Schnitt ca. 125 km/h

14,2 l/100 km

Autobahn Schnitt ca. 145 km/h

17,9 l/100 km

Landstraße Schnitt ca. 80 km/h

14,9 l/100 km

Landstraße Schnitt ca. 95 km/h

17,1 l/100 km

Kurzstrecke

14,0-16,5 l/100 km

Testverbrauch

16,6 l/100 km

auto motor und sport / Deutschland 19/1969

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