Rover 3500 S
Musterkarte feiner Lebensart
Ein
Amateursportler unter den Reisewagen
Sie werben mit William
Shakespeare: In Gestalt und Bewegung wie bedeutend wunderwürdig!". Auf
ihren Fotos steht das Auto vor alten Mühlen oder in reifen Kornfeldern, kurvt
durch Butzenscheiben-Gassen oder wartet beim Picknick am Seeufer auf makellos
kurzgeschorenem Rasen. Der Rover 3500 S der British Leyland ist, scheint´s,
eine Limousine für Ästheten.
Als ich während einer
Fahrt über die Autobahn kurz vor Kiel bei einer Geschwindigkeit um 160
Stundenkilometern in eine Kaltfront mit schlagartig einsetzenden Böen und
dichtem Hagelschauer geriet, hätte sich der Wagen beinahe in eine rotierende
Bewegung versetzt. Immer wenn man die unterbrochene weiße Linie der
Autobahn-Fahrspurmarkierung in einem sehr spitzen Winkel anfährt, darf man
sicher sein, daß das Fahrzeug sich gewissermaßen weigert, diese Linie zu berühren,
und in leichtes Schlingern verfällt. Der Rover 3500 S der British Leyland ist,
argwöhne ich, kein Auto für lässige Nebenbei-Raser. Dieses Auto verlangt
einen konzentrierten und sicher zufassenden, reaktionsgeschwinden und bei aller
Forschheit besonnenen Fahrer
Wer
einen schleswig-holsteinischen Feldweg mal alle Schlaglöcher langsam
auskostend, mal ohne Rücksicht auf die Stoßdämpfer durchrasend überstand;
wer die kurvige Hügelstrecke der Sauerlandlinie in kürzest möglicher Zeit zu
fahren suchte; wer eine Tankfüllung lang ohne Verschnaufpause auf dem Sitz
hinter dem Fahrer aushielt; wer sich bemühte, doch noch einen dritten größeren
Koffer irgendwo im Wagen unterzubringen; wer sich´s leisten kann, für diese
unterschiedlichen Vergnügungen knappe zwanzigtausend Mark zu bezahlen, weiß:
der Rover 3500 S ist ein kraftvoller und durchaus komfortabler, ein bißchen
hausbacken-altmodischer, aber dafür auch eigengesichtiger und nobler
Reisewagen, der seinen sportlichen Ehrgeiz angesichts doch nicht unerheblicher
Bedingungen auf ein gesundes Amateurmaß reduzierte und nun mit etwas
"Trimm-dich"-Eifer und dezenter Kosmetik sich unter den forschen
Junggebliebenen hält.
Nach
dem Zweiten Weltkrieg brachte die heute dem Konzern British Leyland angehörige
Firma ihren "Land Rover" auf den Markt, eine außerordentlich geländegängige
Kreuzung aus Limousine, Bulldozer und Kleintransporter, ein Vehikel für Wüstendurchquerer
und Urwaldkultivierer, für Nomaden oder kleinere, aber gut verdienende
Jazz-Bands. Inzwischen hat sich das Kombinationsgefährt verjüngt und verstärkt,
ist auch komfortabler (und teurer) geworden und sieht nicht gleich nach
Pionierarbeit in knietiefem Schlamm aus - der "Range Rover".
Von
diesem "Bullen auf Rädern" hat auch der Rover 3500 S noch ein bißchen
mitbekommen. Wie auch die Wagen der Skandinavier, die Volvos und Saabs, haben
sich die englischen Autos vorbehalten, ihre Kraft und Stabilität ziemlich
deutlich nach außen zu zeigen: Jaguar und Daimler, Bentley und Jensen, selbst
die kleineren Triumphs und Sunbeams verbergen nicht, was in ihnen steckt.
Zum
anderen kann der Rover 3500 S nicht verheimlichen, dass er zum Konzern der
Jaguar- und Triumph-Hersteller gehört. Ein Rover ist gewissermaßen der
Rolls-Royce des kleinen Mannes, jedes Detail, innen wie außen, verrät einen
Sinn für Eleganz und Noblesse, hat eben Stil. Und dass dies mit dem nötigen Maß
an vornehmer Zurückhaltung, an Understatement vorgezeigt wird, versteht sich am
englischen Rande.
Die
Innenausstattung beispielsweise: Sitze aus hochwertigem Leder, aber fein genug,
um nicht protzig zu wirken; in Schalenform, aber nicht mit der einklemmenden
Enge eines Rallye-Stuhls; als Liegesitz vorn, aber mit der dezenten Härte, in
der man nicht versinkt: für jeden der Insassen ein Höchstmaß an Sitzkomfort
und Bequemlichkeit, das auch lange Strecken überstehen läßt, ohne dass
hinterher sämtliche Glieder schmerzen, dabei aber nie das Image eines nur den upper
ten thousands angemessenen Wagens.
Herzstück
dieses Fahrzeugs ist ein Achtzylinder-Leichtmetall-Motor, obengesteuert,
Verdichtungsverhältnis 10,5:1, mit einem ausgezeichneten Drehmoment von 27,4
mkg bei 2700 Umdrehungen. Dieser Motor läuft unwahrscheinlich ruhig, erst bei höheren
Drehzahlen geht das eher Summen als Brummen zu nennende Geräusch in höhere
Phonzahlen über und selbst Spitzengeschwindigkeiten verursachen keinen größeren
Lärm.
Dazu
ist der Motor offenbar sehr elastisch. Man darf es sich durchaus gelegentlich
leisten, schaltfaul zu fahren (ob das auf die Dauer dem Wagen sehr bekömmlich
ist, steht dahin). Weder bockt er in untertourigen Regionen, noch nimmt er es
einem übel, wenn man ihn weit in den roten Bereich hineintreibt.
Die
Spitzengeschwindigkeit von 193 Stundenkilometern ist eher belanglos.
Entscheidend ist, dass trotz des hohen Gewichts von eineinhalb Tonnen der Wagen
erstaunlich flink blieb. Beschleunigungen aus dem Stand auf 50 km/h in
knapp vier Sekunden, auf 80 in acht, auf 100 in 10,8, auf 120 in 16 auf 160 in
29 Sekunden, von 80 auf 150 in 16 Sekunden sind möglich. Sie geben dem Auto das
entscheidende Maß an Spritzigkeit, das einem in brenzligen Situationen hilft.
Dass gerade diese Spontaneität auch vom Fahrer eine sichere Hand und ein gutes
Reaktionsvermögen verlangt, davon war ja schon die Rede.
Entsprechend
gut sind die Bremsen. Die statistischen Bremswege werden immer unterschritten.
Allerdings neigte mein Testwagen zu einseitigem "Ziehen", eine bei
Wagen von British Leyland nicht ganz untypische Krankheit. Andererseits hat
Rover für die Bremssicherheit ein übriges getan: eine Kontrollampe leuchtet
auf, wenn die Bremsflüssigkeit einen zu niedrigen Stand erreicht oder die
Bremsklötze zu sehr abgenutzt sind.
Aktive Sicherheit also in einem
den heute üblichen Standard noch übertreffenden Maße. Auch an passiver
Sicherheit bietet der Rover eine Menge: ein steifer Käfig umschließt die
Passagiere; die vordere Knautschzone ist zwar nicht riesig, aber eine Stahlwand
verhindert beispielsweise das sofortige Eindringen des Motors bei frontalem
Aufprall, die Lenksäule kann auf kürzestem Raum zusammenschrumpfen; die Türen
sind gegen Aufspringen bei heftigen Stößen gesichert; die Armaturen reichen an
Zahl und Größe aus; Frontscheibe aus Verbundglas und heizbare Heckscheibe sind
serienmäßig eingebaut, desgleichen eine Intervall-Schaltung für den
Scheibenwischer.
Ein
Auto mit Komfort und Raffinessen also, elegant, leistungskräftig und dabei - in
seiner Größenklasse - sparsam. Ein englisches Auto.
Um
beim Englischen zu bleiben und noch einmal auf den eingangs zitierten
Shakespeare zurückzukommen: Die Anglisten und die Theaterexperten mögen mir
verzeihen, wenn ich irre, aber ich habe den Verdacht, daß die
Public-Relations-Experten sich geschickt einer wenig präzisen Übersetzung
bedienten. Gemeint ist ja wohl die Stelle aus dem "Hamlet", wo der Dänenprinz
zu dem ihn heimsuchenden Geist bemerkt: "Du kommst in so fragwürdiger
Gestalt" - wobei hier unter "fragwürdig" (questionable)
weniger ein "zweifelhaft", "bedenklich" denn ein "zu
einigen Fragen Anlass gebend" zu verstehen ist.
In der Tat gibt auch der Rover
3500 S im Jahre 1973 zu einigen Fragen Anlass, etwa:
–
Muss tatsächlich die Bedienung der Scheibenwaschanlage so eingerichtet
sein, dass der Fahrer notwendigerweise eine Hand vom Steuer nimmt?
–
Ist es unumgänglich, dass der Fahrer zur Betätigung des Drehknopfes,
der das vordere Ausstellfenster öffnet, sich die Hand verrenkt, weil er
entweder an das Steuerrad oder an den Türgriff stößt?
–
Sind die aerodynamischen Konsequenzen so schlimm, wenn man die Begrenzung
des Wagens so weit anhöbe, dass die vordere rechte Kante dem Fahrer einsichtig
wird und Parkmanöver nicht nach Gehör durchgeführt werden müssen?
–
Ist es so unvernünftig, exakt wissen zu wollen, wieviel Benzin nach geöffnetem
Reservehahn noch vorhanden ist? Muss die Benzinuhr notwendigerweise vom
Steuerrad verdeckt werden?
–
Sollte sich eine rationale Begründung dafür finden lassen, dass der
Fahrer für den Blinker die linke, für die Lichthupe und andere Funktionen
hingegen die rechte Hand benötigt, für die Hupe gar das Steuerrad so gut wie
loslassen muß?
–
Ist es partout unmöglich, einen Benzin-Einfüllstutzen so zu
konstruieren, dass nicht der Tankwart oder - bei zunehmendem Self service - der
Fahrer den Zapfhahn ständig in Brusthöhe und mit ausgestreckten Armen halten
muss?
–
Reicht nach Meinung der Rover-Ingenieure tatsächlich ein
Kofferrauminhalt von 460 Litern für einen Reisewagen aus, wobei zudem in der
Regel ein Viertel des Raumes durch den senkrecht stehenden Reservereifen
eingenommen wird?
–
Haben Engländer gegenüber uns Kontinental-Europäern wirklich einen so
andersgearteten Körperbau, dass sie ein Lenkrad mit 42 Zentimetern Durchmesser
handhaben können, zumal dann, wenn von Anschlag links bis Anschlag rechts
viereinhalb Umdrehungen benötigt werden? Müssen die Steuerradspeichen notwendig
scharfkantig sein, und dient die Möglichkeit, die Steuerradhöhe verstellen zu
können, allenfalls dazu, mit dem Problem der Beine zwar fertig zu werden, dafür
aber nach kurzer Zeit müde Arme zu bekommen?
Shakespeare, soviel ist sicher,
wird von den Rover-Leuten nicht nur aus ästhetischen Gründen zu Recht zitiert.
Allerdings: das Fahrverhalten des 3500 S selber ist ja auch nur geringfügig und
unwesentlich durch das "Fragwürdige" beeinträchtigt. So kann man
denn fast auch den Osrick zitieren: "In der Tat, um mit Sinn von ihm zu
sprechen, er ist die Musterkarte der feinen Lebensart; denn Ihr werdet in ihm
den Inbegriff aller Gaben finden, die ein Kavalier nur wünschen kann zu
sehen" (Hamlet 5, 2).
DIE ZEIT / Deutschland
22.6.1973
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