Rover 2000
In England hat der Rover seit Jahrzehnten den Beinamen "Rolls-Royce des
armen Mannes", womit der Charakter dieser Wagen sehr treffend beschrieben
ist, auch wenn der Begriff "armer Mann" in England einen ganz anderen
Personenkreis beschreibt als bei uns. Der "arme Mann" in England, das ist
der wohlhabende Advokat, Arzt oder Geschäftsmann, der eben gerade nicht
Millionär ist und daher auf den Rolls verzichten muß, aber doch ein
äußerst gediegenes, respektables Auto sucht. Hohe Qualität, erstklassige
Verarbeitung, eine nüchterne, solide und eben respektable Karosserie - das
alles fand man im Rover, ganz besonders im Dreilitermodell, welches ganz
besonders charakteristisch für die bisherige Geschäftspolitik von Rover
war.
Nun
war man aber bei Rover nicht ganz zufrieden, nur eben "Endstation" zu
spielen und an Leute Autos zu verkaufen, die in etwas fortgeschrittenem
Alter eine Position im öffentlichen Leben erreicht haben. So entstand ein
völlig neues, etwas kleineres Modell von völlig anderem Charakter. Der
Rover 2000, mit dem die Firma den "Junior Manager" ansprechen wollte, also
die Generation der erfolgreichen Dreißig- und Vierziger, Leute mit Schwung
und Initiative, die sicherlich schon einen ordentlichen und zuverlässigen
Geschäfts- und Familienwagen brauchen, aber gerne ein Auto mit einem
Unterschied hätten. Für dieses Projekt baute Rover eine neue Fabrik mit
einem Aufwand von einer Dreiviertelmilliarde Schilling und ließ seinen
Entwicklungsingenieuren so viel freie Hand, wie sie sich das wünschen
konnten. So entstand ein Auto, völlig neu von der Stoßstange bis zum
Bremslicht, wohl das interessanteste Fahrzeug des Jahrgangs 1963. Ein
Vierzylinder mit fünffach gelagerter Kurbelwelle und obenliegender
Nockenwelle, der mit 2000 ccm Hubraum eine Leistung von 90 PS bei 5000
U/min abgibt. Neben der Lancia Flaminia ist der Rover 2000 das einzige
Serienauto Europas mit DeDion-Hinterachse. Diese vereinigt bei recht hohem
technischen Aufwand die Vorteile von Starrachse und unabhängiger
Hinterradaufhängung ohne die Nachteile der beiden. Man hat also, ganz im
Gegensatz zur bisherigen Politik, nicht nur hinsichtlich Ausstattung und
Komfort Luxus getrieben, sondern auch in der technischen Konzeption des
Wagens.
Am Volant
Schon
an der Anordnung der Bedienungsschalter merkt man, daß hier ein "junges"
Auto für Autofahrer entstanden ist. Alle Schalter sind deutlich mit
Symbolbildern versehen, die ihre Funktion andeuten. Sie haben außerdem
verschiedene Formen, so daß man sehr bald auch in der Nacht mit seinem
Tastsinn den richtigen Knopf findet - was für eine Wohltat, wenn man an
die zahllosen Typen denkt, bei denen ein Dutzend gleicher Knöpfe wie eine
Kompanie Soldaten aufgereiht ist, um den Fahrer zu verwirren! Nächst dem
Lenkrad ist der Scheibenwischerknopf, der auch den Scheibenwascher
betätigt, eine sehr vernünftige Anordnung, weil dieser Schalter sehr
häufig und in kritischen Situationen (Überholen nach Regen!) benötigt
wird. Der Scheibenwischer hat zwei Geschwindigkeiten. Das Licht wird über
einen Hauptschalter, der die Standlichter betätigt, eingeschaltet. Erst
danach kommt der Schalter, welcher Scheinwerfer/Abblendlicht kontrolliert.
Er ist links unter dem Lenkrad angeordnet und betätigt bei Zug auch das
Blinklicht bei Tage, das man im schnellen Verkehr, besonders auf der
Autobahn, nicht missen möchte. Alle Instrumente sind vor dem Fahrer in
einem Rechteck angeordnet und durch das Zweispeichenlenkrad gut sichtbar.
Der
bandartige Geschwindigkeitsmesser ist einer der deutlichsten seiner Art;
hier sind auch Benzinuhr und Wasserthermometer installiert.
Ladekontrollicht, Scheinwerferkontrolle und Handbremswarnlicht (welches
auch bei Fehlen von Bremsflüssigkeit aufleuchtet) sind ebenfalls
vorgesehen. Die Lenksäule ist vertikal (sogar während der Fahrt)
verstellbar, so daß man sich - auch wegen der besonders weitgehenden
Verstellmöglichkeiten des Sitzes - wirklich die ideale Lenkposition
individuell aussuchen kann. Vor dem Fahrer und Passagier ist je ein
geräumiges, verschließbares und gepolstertes Handschuhfach, in dem man
selbst eine kleinere Aktentasche unterbringt. Heute leider schon sehr
selten, trotzdem aber eine feine Sache ist der Benzin-Reservehahn. Sehr
raffiniert das Heizungs-/Lüftungssystem, außerordentlich wirksam, mit
einem bemerkenswerten Detail: Frischluftzufuhr in Kopfhöhe, womit auf
langen Reisen Ermüdungserscheinungen durch verbrauchte Atemluft nicht
auftreten können.
Die
Vordersitze sind kübelartig gestaltet und geben ausgezeichneten seitlichen
Halt, selbstverständlich wird nur echtes Leder verwendet. Der Rover 2000
ist ein besonders bequemer Viersitzer, in dem man auf kurzen Strecken auch
eine fünfte Person hinten mitnehmen kann.
Auf der Straße
Das
größte Kompliment, das man dem Rover 2000 machen kann: Man fühlt sich
schon nach dreihundert Metern zuhause. Der Schalthebel ist dort, wo man
ihn braucht, die Pedalanordnung genau richtig (sowohl der Winkel als auch
die Lage der Pedale zueinander), so daß man ohne Verrenkung Bremse und Gas
beim Schalten gleichzeitig mit einem Fuß betätigen kann. Die Kupplung
greift weich, rutscht aber auch nicht, wenn man mit hoher Drehzahl
anfährt. Im zweiten und dritten Gang erreicht man mühelos 80 bzw. 125
km/h, ohne den Motor zu überfordern. Man hat irgendwie immer das Gefühl,
daß dieser Motor einfach nicht zu ruinieren ist und sich über hohe
Drehzahlen direkt freut.
Die
bequeme Autobahngeschwindigkeit liegt bei 145 km/h, die
Höchstgeschwindigkeit etwas über 160 km/h. Die letzten Kilometer holt man
nur mit recht langem Anlauf heraus, was mit der Getriebeauslegung
zusammenhängt. Die Höchstgeschwindigkeit stellt an den Fahrer keine
besonderen Konzentrationsansprüche, weil der Wagen sehr
seitenwindunempfindlich ist.
Die
größte Freude mit dem Rover aber hat man auf kurvenreichen Straßen.
Vielleicht kann man seine Eigenschaften am treffendsten so
charakterisieren: Wenn er auch kein Sportwagen ist, so benimmt er sich
doch wie einer. Dabei ist der Rover 2000 ein recht gutmütiger Wagen, der
auch mitunter einen Fahrfehler, ein Bremsen in der Kurve, verzeiht und
nicht bösartig reagiert. Der technische Aufwand um die DeDion-Hinterachse
hat sich sicherlich gelohnt und im Vergleich zu den in England noch sehr
zahlreichen Starrachsern ist er haushoch im Vorteil, besonders auf (den in
England recht seltenen) holprigen Straßen. Zu dem Gefühl der Sicherheit,
das man im Rover sehr schnell entwickelt, tragen auch die vier
Dunlop-Scheibenbremsen bei, welche unempfindlich gegen Fading und dank dem
Servomechanismus spielend leicht zu betätigen sind. Bei Notbremsungen
brach der Wagen nie seitlich aus.
Die
Sicht ist ausgezeichnet, da die Pfeiler sehr dünn sind. Ein mittelgroßer
Fahrer sieht beide Kotflügel, womit das präzise Parken sehr erleichtert
wird. Hier hilft auch der ausgezeichnete Einschlag (Wendekreis ca. 10 m)
und die leichtgängige, ziemlich indirekte Lenkung (3 3/4 Umdrehungen von
Anschlag zu Anschlag).
Mir
gefiel: der Komfort, die allgemeine Leichtgängigkeit und die Freude am
Fahren, die der Wagen vermittelt.
Mir
mißfiel: die Hupe und ihre Betätigung, das Abblendlicht und die
Motorhaubenverriegelung.
Charles Meisl
auto revue / Österreich 6/1965
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