Rover 2000

Fortschrittliches Kind einer traditionsreichen Familie

1964 - das in der Welt des Automobils schon am 12. September 1963 mit der Frankfurter IAA begonnen hat - steht in der Automobilgeschichte am Beginn eines neuen Kapitels: allenthalben haben die größeren Marken vollständig neue Modelle herausgebracht und in einigen Fällen hat man sich entschlossen von dem bisher über die Jahre verfolgten technischen Kurs getrennt. Solch ein "Neuling" von der Stoßstange bis zur Auspuffblende ist der Rover 2000, das jüngste Kind eines alten und angesehenen Werkes.

Der "Basiskörper"

Der Rover 2000 hat eine selbsttragende Karosserie. Das heißt, die Bodengruppe, die Tür- und Fensterpfosten, die umlaufende Dachleiste und die Innenwände des Gepäckabteils bilden ein steifes dreidimensionales Gerüst, das im Werksjargon "Basiskörper" genannt wird. An dieses Autoskelett werden die Teile der Radführung und Federung, das Triebwerk, die Kabel der elektrischen Anlage usw. montiert. Ist das geschehen, dann ist das Auto mechanisch komplett und fahrbereit. Es wird nunmehr auf dem Rollprüfstand und auf der an das Werk grenzenden Versuchsstrecke erprobt. Nicht nur in Form von Stichproben. Jeder Wagen, der vom Montageband rollt, wird dieser Prozedur unterworfen. Ist das Skelettauto abnahmefertig, dann wird es gesäubert und geht in den Karosseriebau zurück. Hier werden die fertig lackierten Karosserieschalen angesetzt und mit jeweils wenigen Bolzen und Muttern mit dem Skelett verschraubt. Dieses dem Schalenbauverfahren  - wie es z.B. seinerzeit an der Lloyd Arabella praktiziert wurde - nahe verwandte Verfahren ist zwar relativ arbeitsintensiv, bringt aber den erheblichen Vorteil, daß am fertigen Wagen mit Sicherheit keine Nacharbeiten mehr erforderlich werden und eine spätere Reparatur von Blechschäden schnell und relativ preiswert erfolgen kann. Manches an der Konstruktion dieser Karosserie erinnert an die DS/ID-Typen von Citroen.

An dem "Basiskörper" fallen zwei Dinge sofort auf: der in die Bodengruppe als Bestandteil eingeschlossenen Mitteltunnel und das ungemein kräftig konstruierte Windlaufteil.

Originelle Radführung

Die Vorderräder des Rover 2000 werden unten an einem zusammengesetzten Querlenkerpaar und oben durch je eine lange Längsschwinge geführt. Grundsätzlich ist eine solche Anordnung auch bei den Glas-Typen Isar 600 und 700 zu finden, nur ergibt sich hier auf Grund der sehr langen Schwingen eine günstigere Geometrie. Die Schraubfeder liegt sehr hoch unter dem Blech des Vorderkotflügels und stützt sich horizontal gegen den Windlauf ab. Ebenso originell ist die Führung der Hinterräder durch eine leichte Rohrachse mit eingebautem Schiebestück und je einem nach vorn und nach rückwärts weisenden Lenkerpaar, das nach dem Prinzip eines Watt-Gelenks an entsprechenden Ohren des U-förmigen Achskörpers angreift. Die Querkräfte werden von den Achswellen aufgenommen, deren Längenunterschiede bei Ein- und Ausfedern durch das Schiebestück im Achsrohr kompensiert werden. Das ist eine recht aufwendige Geschichte, zu der man sich nach langjährigen und sehr eingehenden Versuchen mit verschiedenen Arten von Einzelradfederungen entschloß, weil sie die Vorteile von Starrachse und Einzelradfederung vereint, ohne die jeweils vorhandenen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Bei der Vorderradfederung wurde eine progressive Federkennung erreicht, indem in die Schraubenfeder ein konisches Gummielement eingeschlossen wurde, das bei stärkerem Einfedern auf einen gleichförmigen Stahlblechkegel mit seiner Spitze auftrifft und sich dann zusammendrückt. Die Teleskop-Stoßdämpfer liegen vorn zwischen unterem Querlenker und Karosserie annähernd senkrecht, hinten innerhalb der Schraubenfedern, die sich auf den sehr kräftigen, nach vorn weisenden Lenkern abstützen.

Der Rover 2000 ist an allen vier Rädern mit Dunlop-Scheibenbremsen ausgestattet, wobei die Bremsscheiben der Hinterachse beiderseits des Differentialgetriebes "innerbords" sitzen. Ein Unterdruck-Bremsbehelf gehört zur Serienausstattung.

Recht originell ist auch die Lenkung, für deren Konstruktion auch der Sicherheitsgedanke maßgebend war. Eine Lenksäule im eigentlichen Sinn ist nicht mehr vorhanden. Das sehr zierliche Lenkrad sitzt an einem Preßstahlarm, der unten am Windlauf in engen Grenzen gelenkig gelagert und oben am Armaturenbrett in einer Gabel gefaßt ist. Ein handlicher Knebel unter dem Lenkrad ermöglicht eine Höhenverstellung des Rades von ca. 80 mm. Die Verbindung zwischen Lenkrad und dem motorseitig an der Spritzwand sitzenden Lenkgetriebe stellt eine zweiteilige kurze Gelenkwelle her.

Vierzylinder mit obenliegender Nockenwelle

Bisher waren die Rover-Motoren wegen ihres eigenwilligen Ventilantriebs mit hängenden Einlaß- und stehenden Auspuffventilen sowie wegen ihres besonders ruhigen Laufes bekannt. Der Vierzylinder des 2000 läuft zwar ebenfalls sehr kultiviert - doch damit hört die Verwandtschaft auch auf. Die massige Kurbelwelle ruht in fünf Dreistofflagern, der Zylinderkopf besteht aus Leichtmetall. Mit 85,7 mm Bohrung und 85,7 mm Hub ist der Motor genau quadratisch ausgelegt. Seine Verdichtung beträgt 9,0:1, die Leistung 90 PS bei 5000 U/min. Während Rover früher seinen Ehrgeiz darin setzte, Motoren mit einem Drehmomentverlauf zu bauen, bei dem das Maximum möglichst weit "unten" lag, folgt der neue Vierzylinder moderneren Auffassungen. Bei ihm wird der Maximalwert von 15,7 mkg bei 2750 U/min erzeugt. Wie die Praxis zeigt, ist er im unteren Drehzahlbereich zwar nicht so elastisch, läßt aber bei 120 bis 130 km/h auch an einer ordentlichen Steigung kaum im Tempo nach.

Konstruktiv originell sind erstens die Art des Antriebs von Nockenwelle und Nebenaggregaten und zweitens die Form des Verbrennungsraumes. Vom Vorderende der Kurbelwelle führt eine Doppelrollenkette zu einer Zwischenwelle, von der ebenfalls über eine Doppelrollenkette die Verbindung zu der sechsfach gelagerten Nockenwelle auf dem Zylinderkopf hergestellt wird. Die Zwischenwelle treibt den Zündverteiler und die außerhalb des Kurbelgehäuses ungewöhnlich hoch angeordnete Ölpumpe. Der Antrieb der Kühlwasserpumpe und der Lichtmaschine erfolgt in der üblichen Weise durch einen Keilriemen vom Vorderende der Kurbelwelle aus. Die parallel hängenden Ventile werden von der Nockenwelle unter Zwischenschaltung von Tonnenstößeln betätigt. Seine sehr günstige Form verdankt der Verbrennungsraum nicht der Anordnung der Ventile, sondern dem halbkugelförmig konkav gewölbten Kolbenboden. Die Leistung des Motors in seiner gegenwärtigen Serienform mit einem SU-Horizontalvergaser ist mit 46 PS/l konservativ. Es sind bei Rover Versuche mit zwei Vergasern und einer Nockenwelle mit sportlichen Steuerzeiten im Gange, in deren Verlauf beträchtliche Leistungssteigerungen erzielt werden konnten.

Vier Gänge, vier Türen, vier Sitze

Der Rover 2000 ist serienmäßig mit einem Viergang-Vollsynchrongetriebe mit Mittelschaltung ausgestattet - Alternativen sind einstweilen nicht vorgesehen. Namentlich die Schaltung ist musterhaft in Präzision und Handlichkeit, wobei vor allem die Sperrvorrichtung für den Rückwärtsgang Lob verdient. Die viertürige Karosserie kann als geräumig gelten - doch ist sie im Gegensatz zu den meisten anderen Wagen dieser Größenklasse eindeutig als Viersitzer konzipiert. Dieser Umstand wird auch durch die Gestaltung der Fondsitze unterstrichen, die praktisch als "zusammengebaute Einzelsitze" gelten können. Zwar ist es möglich, im Fond auch drei Leute unterzubringen - die Breite läßt das ohne weiteres zu -, aber der "dritte Mann" muß auf der Besuchsritze hocken! Die vorderen Einzelsitze sind mit Liegebeschlägen eigener Konstruktion ausgestattet, die ohne Rasten mit einem langen handlichen Feststellhebel in jeder gewünschten Position arretiert werden können; eine Konstruktion, die der üblichen Art entschieden überlegen scheint. Allerdings sind die schalenförmig gerundeten Rückenlehnen so hoch, daß sich im Rover 2000 keine Betten bauen lassen.

Das Armaturenbrett gleicht eigentlich eher einem modernen Radioempfänger als dem Instrumenträger eines Autos. Wenn der Schreiber auch sonst kein Freund von Horizontaltachometern ist - dieses kann man wirklich gut ablesen. Die ganze Wagenbreite nimmt ein breites Ablageregal ein, in dessen gepolsterter Vorderkante zwei längliche Öffnungen Frischluft in den Innenraum leiten. Sie sind mit Regelklappen versehen, mit denen sich der Luftstrom nach Wunsch steuern läßt. Ein guter Gedanke ist zweifellos die unterschiedliche Form der verschiedenen Schalter. So läßt sich auch im Dunkeln sofort erkennen, welchen man in den Fingern hat.

Wie er sich fährt

Über die äußere Form des Rover 2000 läßt sich streiten. Sicherlich ist sie funktionell und praktisch - ob sie schön ist, mag jeder für sich entscheiden. Was die Fahr- und Federungseigenschaften betrifft, so kann man nur staunend feststellen: so etwas war bisher noch nicht da! Die Rover-Leute berichteten über ihre Fahrwerksauslegung, sie hätten bei der Konstruktion mit den Reifen begonnen. So ist denn der 2000 auch nur mit Pirelli Cinturato oder Dunlop SP lieferbar. Die Federung muß als besonders gut bezeichnet werden und trotz der ungewöhnlich niedrigen Frequenzen von 67 Schwingungen pro Minute vorn und 73 hinten findet sich hier weder jenes wenig angenehme Auf- und Abschaukeln des ganzen Wagens, wie man es oft bei sehr weich gefederten Autos beobachtet, noch eine nennenswerte Neigung der Karosserie in schnell gefahrenen Kurven. Der Schreiber hat den 2000 einen Vormittag lang über enge und kurvenreiche Straßen in Warwickshire gejagt und schloß die Fahrerprobung dann auf einem ehemaligen Kriegs-Flugplatz ab, der jetzt gelegentlich von der Fahrzeugindustrie für Versuche benutzt wird. Mehrere Male wurde versucht, den Rover auf Schlaglochstrecken und in geschotterten Kurven aus dem Gleichgewicht zu bringen - es war einfach nicht möglich! Die absolute Spitzengeschwindigkeit liegt bei etwa 165 km/h, doch wichtiger erscheint das Beschleunigungsvermögen dieser mit knapp über 1200 kg durchaus nicht leichten Limousine. Die Messungen ergaben im Mittel 0-60 km/h in 7,0 sec, 0-80 km/h in 10,0 sec, 0-100 km/h in 15,0 sec und 0-130 km/h in 28 sec. Leider reichte die Zeit zur Messung des Kraftstoffverbrauches nicht aus, so daß ich mich in diesem Punkt auf das Ergebnis englischer Kollegen verlassen muß, die für ein Dauertempo von 65 Meilen pro Stunde = 104 km/h einen Verbrauch von 10,2 l/100 km ermittelten.

1964 wahlweise mit Gasturbine

Wenn man das bei Rover auch nicht direkt zugab, so wurde es doch auch nicht in Abrede gestellt, daß der Rover 2000 in nicht allzuferner Zukunft wahlweise auch mit einer Gasturbine anstelle des Kolbenmotors geliefert werden soll. Die Entwicklung und Vorbereitung des Rover-BRM-Sportwagens, der sich in Le Mans so gut geschlagen hat, zeigen, daß die Turbine heute ohne weiteres die Zuverlässigkeit für den Alltagsbetrieb besitzt und eine kurze Probefahrt im Turbinenwagen T4 überzeugte den Schreiber davon, daß solch ein Triebwerk auch in der Bedienung keine besonderen Probleme stellt.

Olaf v. Fersen

Motor Rundschau / Deutschland 21/1963

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