Rover 2000
Sicherheit
ernstgenommen !
Zu den bemerkenswerten Neukonstruktionen des Automobiljahres 1964 (es
begann im September mit der IAA) gehört der Rover 2000. Sein Hersteller
rechnet zu den ältesten und traditionsreichsten Marken Englands - und
vielleicht gerade deswegen fühlte man sich in Solihull verpflichtet, mit
einer besonders fortschrittlichen Konstruktion aufzuwarten. Rover hat sich
mit diesem neuen Modell reichlich Zeit gelassen. Fünf Jahre lang wurde
konstruiert, gebaut, probiert und geändert, bis der 2000 seine endgültige
Form erhielt - womit nicht unbedingt sein Äußeres gemeint ist, über das
durchaus verschiedene Urteile herrschen.
Der
2000 ist, wie die Typenbezeichnung schon sagt, ein Zweiliter-Wagen, der in
seinen Dimensionen und in seiner ganzen Auslegung in Deutschland etwa im
BMW 1800 eine Parallele hätte.
Drei bemerkenswerte
Details
Es sind eigentlich drei
konstruktive Details, die dafür sprechen, daß dieses neue englische Auto
als die wesentlichste aller Neuschöpfungen des Modelljahres gelten kann:
- die hier erstmals
angewandte Art des Karosseriebaus
- die recht ungewöhnliche
Radführung und
- der Vierzylindermotor
mit obenliegender Nockenwelle, bei dem die günstige Form der
Verbrennungsräume nicht durch die schräge Anordnung der Ventile, sondern
durch konkav gewölbte Kolbenböden erzielt wird, wie sich das sonst nur bei
Dieselmotoren findet.
Die Karosserie besteht aus einem sogenannten
"Basiskörper", einem tragenden Gerippe aus Stahlblech-Kastenprofilen, zu
dem die Bodengruppe, der Windlauf, Tür- und Fensterpfosten und die
Innenwände des Gepäckraumes gehören. An dieses sehr drehsteife Gerippe
werden die Teile des Fahr- und Triebwerkes montiert. Daneben ist das
Gebilde vollkommen betriebsfähig und kommt in die sehr gründliche
Fahrerprobung, der jeder Wagen unterzogen wird. Erst nach deren Abschluß
werden die einzelnen Schalen der Karosserieaußenhaut mit jeweils wenigen
Bolzen montiert und die Innenausstattung eingebaut. Der Vorteil dieses
Verfahrens besteht darin, daß nach dieser Endphase das Auto
hundertprozentig fertig ist.
Was das Fahrwerk betrifft, so hat der Rover
2000 für die Hinterräder eine Doppelgelenkachse - auch "De Dion-Achse"
genannt. Man hat verschiedene Arten der Einzelradfederung erprobt, kam
aber stets zu dem Ergebnis, daß nur die Doppelgelenkachse die gute
Bodenhaftung der Einzelradfederung und den geringeren Reifenverschleiß der
Starrachse vereinigen kann. Die Konstruktion ist zwar recht aufwendig,
aber die Fahreigenschaften sind dann auch danach!
Der Motor ist ein "quadratischer"
Vierzylinder, das heißt, Hub und Bohrung sind sich mit je 85,7 mm gleich.
Bei einem Dichtungsverhältnis von 9,0:1
leistet der Motor bei 5000 U/min 90 PS. Das ist nicht übermäßig viel, und
man trägt sich bei Rover mit der Absicht, in Kürze mit einer sportlichen
Version mit zwei Vergasern auf den Markt zu kommen - wie sie ja bei dem
zuvor zitierten "deutschen Parallelfall BMW" in Form des 1800 TI mit 110
PS auch schon vorhanden ist. Das maximale Drehmoment des Rover-Motors
liegt bei 2750 U/min und beträgt ansehnliche 15,7 mkg.
Wichtige Gesichtspunkte
Im Gegensatz zu vielen Automobilfabriken,
deren Streben nach der so gern zitierten "inneren Sicherheit" sich im
Anbringen einiger Polsterwülste am Armaturenbrett und einem Lenkrad in
Schüsselform erschöpft, hat man sich bei Rover mit diesem Gebiet
offensichtlich sehr ernsthaft beschäftigt. So hat dieses neue englische
Auto keine Lenksäule im hergebrachten Sinn mehr. Das Lenkrad ist an einem
Stahlblech-Arm gelagert, der an seinem oberen Ende mittels einer
Klemmschraube gehalten wird. Diese wiederum kann durch ein bequemes
Handrad gelöst oder angezogen werden. Auf diese Weise ist eine einfache
Höhenverstellung des Rades in Grenzen von ca. 80 mm möglich. Vom Rad
führen zwei kurze, durch ein Universalgelenk verbundene Wellen zum
Lenkgetriebe, das an der motorseitigen Spritzwand sitzt. Ganz abgesehen
davon, daß ein frontaler Schlag kaum bis zum Lenkgetriebe vordringen kann,
würde in einem solchen Fall die zweigeteilte kurze Verbindung einfach
zusammenklappen.
Auch bei der Gestaltung des Innenraumes wurden
Gesichtspunkte der Sicherheit weitgehend berücksichtigt. So liegen vor den
Knien der Personen auf den Vordersitzen bis in den Fußraum reichende
Behälter, die unten an einem Scharnier gelagert und an ihrer Vorderseite
stark gepolstert sind. Diese Behälter aus Kunststoff sind nicht nur sehr
fassungskräftig, sie stellen auch einen höchst wirksamen Aufprallschutz
dar.
Der Rover 2000 ist an allen Rädern mit
Dunlop-Scheibenbremsen ausgestattet, ein Unterdruckservo gehört zur
Serienausstattung.
Vier Einzelsitze
Recht originell sind die Sitze der viertürigen
Limousine. Sie sind nämlich als Einzelsitze aufgefaßt und schalenförmig
gepolstert. Es ist zwar möglich, nach Einklappen der Mittelarmlehne im
Fond drei Personen unterzubringen - die mittlere muß aber gewissermaßen
"auf der Besuchsritze" thronen, was diese Platzierung zum
Kurzstrecken-Notbehelf macht. Dafür sind die vier regulären Sitze umso
komfortabler. Ganz fein ist der von Rover im eigenen Haus entwickelte
Liegesitzbeschlag; mit einem langen und sehr griffgünstig angeordneten
Klemmhebel läßt sich die Rückenlehne stufenlos in jedem beliebigen Winkel
festsetzen.
Brillante Fahreigenschaften
Der Rover 2000 wird nur mit Dunlop SP oder
Pirelli "Cinturato"-Reifen geliefert. Sie sind hier Konstruktionselement der
Radführung und Federung. Die Rover-Leute sagten offen, sie hätten die
Konstruktion dieses Autos "bei den Reifen begonnen". Daß dieses Auto
wirklich "konstruiert" ist, merkt man schon nach wenigen Kilometern Fahrt.
Die Federung ist bemerkenswert gut, Kurven- und Straßenlage beinahe schon
sensationell. Ich habe während der Zeit, zu der mir ein Rover
2000-Prototyp für Fahrversuche zur Verfügung stand, einiges versucht, um
schwache Stellen im Fahrverhalten zu finden. Es ist mir nicht gelungen.
Die mit rund 1200 kg durchaus nicht leichte
Limousine beschleunigt in 10,0 Sek. von 0 auf 80 km/h, ist in 15 Sek. auf
100 und in 28 Sek. auf 130 km/h. Die Spitzengeschwindigkeit liegt bei ca.
163-165 km/h, der Verbrauch bei einem Tempo von 105 km/h bei 10,2 l/100
km. Das Auto fährt sich ungemein leicht, wozu das sehr gut schaltende
Vierganggetriebe mit kurzem Mittelschaltknüppel viel beiträgt.
Wenn man sich die originelle Führung der
Vorderräder ansieht, fragt man sich unwillkürlich, wozu hier wohl alles
aus dem Weg geräumt worden ist, wo doch der Zweilitermotor wahrhaftig
nicht viel Raum beansprucht. Die Antwort lautet: bei Rover denkt man
daran, den 2000 eventuell in gar nicht so ferner Zukunft wahlweise mit
einer Gasturbine an Stelle des Vierzylindermotors auszustatten. Die
Turbine selbst ist heute serienreif - das hat u.a. auch die eindrucksvolle
Fahrt des Rover-BRM beim 24 Stunden-Rennen von Le Mans bewiesen.
Anläßlich meines Besuches in Solihull
unmittelbar nach der IAA hatte ich Gelegenheit, mit einem
Gasturbinen-Prototyp ein Stück zu fahren; mit dem Auto kann man sich ohne
Furcht in den Straßenverkehr begeben - die wenigsten Leute kämen überhaupt
auf den Gedanken, daß unter seiner Motorhaube etwas anderes als ein
Kolbenmotor sein könnte.
Olaf
v. Fersen
Frankfurter Neue Presse / Deutschland Januar 1964
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