Rover 2000 TC
Vollblut aus gutem
Stall
Eine technische Sensation war der Rover 2000 bei seinem Erscheinen im
Jahre 1963. Und heute haben seine wesentlichen Neuerungen noch keineswegs
an Glanz eingebüßt. Es ist wohl kein Zufall, daß Rover - erst kürzlich mit
Leyland, einem der größten englischen Konzerne fusioniert - die einzige
englische Fabrik ist, die bis zur Stunde ihre Produktion noch in vollem
Umfang aufrechterhalten konnte. Allerdings bildet der bewährte Land Rover
die solide Absatzbasis der Werke. Seine Qualität ist die Gewähr, daß die
2000er den legendären 3-Liter-Typen gleichgestellt werden können.
Spazieren Sie einmal des Nachts die diskret-vornehme Harley Street in
London entlang, so wird Ihnen auffallen, daß gut die Hälfte der geparkten
Wagen Rover sind. Harley Street ist das Herz des Ärzteviertels, und
britische Ärzte bevorzugen seit eh und je den ruhigen, sicheren,
gediegenen und konservativen Rover, allerdings die 3-Liter-Modelle 95 und
110. Viele dieser Fahrzeuge haben 150.000 Kilometer und mehr auf dem
Buckel und das mit dem Originalmotor ohne Kolbenservice!
Chefkonstrukteur Wilks - ein Mitglied der Gründerfamilie von Rover -
erhielt 1962 freie Hand, einen modernen Zweiliterwagen zu bauen. Freilich
war der Erfolg der Issigonis-Fahrzeuge bei BMC für die ganze britische
Automobilindustrie Ansporn zur gründlichen Modernisierung der
Bauprogramme. Doch darf nicht übersehen werden, daß das genauso
spektakuläre wie erfolgreiche Experiment mit dem Rover-Turbinenauto
bereits unter Beweis stellte, daß die Rover-Leute genügend Mut zur
Verwirklichung von Neuerungen haben.
Der
Rover 2000 - und auch die Zweivergaserversion Twin Carburettor TC - ist
ein technisch vollkommen neues Fahrzeug, es hat keine Ahnen; aber es ist
nicht nur neu, sondern in vielen Konstruktionselementen geradezu
revolutionierend. Das überaus feste Rahmenkarosserieskelett und die
Radaufhängung stellen einen technischen Sprung nach vorn dar. Zwar sind
Triebwerk und Kraftübertragung ebenfalls Neukonstruktionen, doch weichen
diese von den klassischen Prinzipien des Automobilbaus kaum ab.
Der
Rover 2000 TC ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kompaktwagen. Es gibt
in seiner Preis- und Größenklasse kaum einen zweiten, der pro Zentimeter
Wagenlänge so hohes Gewicht hat. Nicht etwa aus Ersparnisgründen bei der
Verwendung von hochwertigem Material oder bei der Bearbeitung. Im
Gegenteil, ohne Rücksicht auf den Kostenaufwand hatte der Konstrukteur
freie Hand, das bestmögliche hinsichtlich Fahr- und Unfallsicherheit zu
bauen.
Das
Hauptmerkmal der originellen Konstruktion ist, daß weder ein Fahrgestell
mit Karosserieaufbau noch die im Automobilbau übliche selbsttragende
Karosserie Verwendung fand, vielmehr besteht der Rover 2000 aus einem
Stahlskelett, auf das die äußere Beplankung wie Seitenwände, Kotflügel,
Motorraum- und Gepäckraumdeckel, Dach und Türen montiert werden. Das
vordere Torpedo ist besonders stabil, um einerseits die nicht weniger
originelle Vorderradaufhängung aufnehmen zu können, andererseits den
berechneten Schutz bei eventuellen Kollisionen für den Passagierraum zu
gewährleisten. Das Skelett bildet eine äußerst steife Zelle für die
Fahrgäste, völlig unabhängig von den Karosserieblechteilen, die
nachträglich, einzeln lackiert und bereits auf Hochglanz poliert, montiert
werden. Vor dieser Endmontage ist das Fahrskelett mit sämtlichen
mechanischen, elektrischen usw. Ausrüstungen versehen und bereits fahrbar.
Diese - überaus aufwendige - Bauweise hat zwei besondere Vorteile: die
außerordentliche Festigkeit und die leichte Behebung von kleinen Schäden
durch Austausch der Blechteile.
Neuartige Radaufhängung
Die
unkonventionelle Radaufhängung bewährte sich in ihren Hauptmerkmalen
bereits im Rover-Turbinenwagen von 1956. Die Teile der Vorderradaufhängung
sind seitlich des Motorblocks verlegt und beeinträchtigen weder den
Motorraum noch den Radeinschlag. Die ungewöhnlich langen
Achsschenkelbolzen mit Kugelgelenken sind unten mit je einem Querlenker
und einer Schrägstrebe abgestützt, oben dagegen mit einem Kniegelenk, das
am Stahlskelett an einer Querwelle gelagert ist. Eine Stange stützt das
Kniegelenk an der horizontal angeordneten Spiralfeder ab, die ihrerseits
hinten am Wagenskelett abgestützt wird. Die Kniegelenke beider Seiten sind
hinter dem Motor mit einem Torsionsstabilisator untereinander verbunden.
Die Stoßdämpfer sind ebenfalls auf das Wagenskelett abgestützt. Vorteile
dieser Konstruktion: minimale ungefederte Masse, viel freier Raum für den
Motor und Vorderradkästen und denkbar exakte Radführung.
Die
Hinterradaufhängung stellt eine Weiterentwicklung der DeDion-Achse dar.
Hier, wie bei der Vorderradaufhängung, wurde das Hauptaugenmerk auf
möglichst geringe ungefederte Masse gelegt. Die
Doppelgelenk-Antriebswellen haben keine Schiebestücke, daher muß sich beim
Einfedern die Spur, wenn auch geringfügig, verändern. Im starren Achsrohr
ist ein Schiebestück, das die Spurveränderung ermöglicht und dabei den
relativen Sturz der Räder konstant hält. Die Achse wird in Längsrichtung
mittels zwei besonders kräftigen Längslenkern und zwei Wattstangen, in
Querrichtung durch einen kurzen Panhardstab sehr exakt geführt. Die
Längslenker sind auf das Fahrskelett mit Schraubenfedern abgestützt, in
der Mitte der Federn sind die Stoßdämpfer angeordnet.
Elastischer Motor
Der
genau quadratische Motor des Rover 2000 ist eine Neukonstruktion und hat
unter den Produkten aus Solihull keinen Vorgänger. Der TC-Motor - die
Zweivergaserausführung - ist die Weiterentwicklung des 2000ers, wodurch
eine beachtliche, jedoch durchaus nicht übertriebene Leistungssteigerung
erreicht wurde. Die Literleistung von 53 PS/l und insbesondere die
Drehfreudigkeit des Motors - die Höchstleistung von 106 PS wird bei 5500
U/min erreicht - gewährleisten einen ausgesprochen sportlichen Charakter.
Dabei wird das maximale Drehmoment von 16,4 mkg (DIN) schon bei 3500 U/min
erzielt, dadurch ist auch die überraschende Elastizität des Motors
erklärt.
Die
Kupplung wird hydraulisch betätigt. Das neue Getriebe ist an allen vier
Gängen sperrsynchronisiert. Die Übersetzung des zweiten und dritten Ganges
ist relativ hoch. Der direkte Gang ist so ausgelegt, daß die
Höchstgeschwindigkeit ungefähr bei der Drehzahl der maximalen Leistung
erreicht wird. Der Motor dreht hier um die 5500 U/min, in den niedrigeren
Gängen aber über 6000 U/min, daher können relativ hohe
Spitzengeschwindigkeiten im zweiten und dritten Gang erreicht werden - im
dritten Gang mit Leichtigkeit vorübergehend 140 km/h.
Zeitlos und sicher
Das
Styling des Fahrzeugs ist unauffällig, englisch gediegen. Die Form ist
zeitlos-rationell. Die bereits erwähnte, tatsächlich kompakte Bauweise
verleiht dem ganzen Fahrzeug den sportlichen Charakter.
Für
lange Reisen sind die Fondsitze nicht geschaffen. Einer unserer Tester
bemerkte treffend: "Das ist ein zweisitziger Sportwagen mit zwei Notsitzen
und vier Türen." Der Einstieg auf die vorderen Sitze ist leicht, da die
trapezförmige Türöffnung vor den Sitzflächen viel Raum freigibt.
Die
mit Leder bezogenen Sitze sind körpergerecht und geben guten Seitenhalt.
Im ersten Augenblick fühlt man sich im Rover 2000 TC etwas beklemmt. Statt
des Handschuhfaches sind beiderseits Ablagekästen, die den Innenraum
kleiner erscheinen lassen als dieser tatsächlich ist.
Ablagekästen und die körpergerecht geformten Deckel vor dem Fahrer und
Beifahrer sind aus Kunststoff gespritzt und darauf berechnet, daß sie bei
einem Zusammenstoß und beim Aufprall des Körpers durch Verformung
Bewegungsenergie aufnehmen können. Das durch die ganze Wagenbreite
laufende Ablagebrett, der Getriebetunnel, die Radiokonsole und
verschiedene andere Karosserieteile sind auch aus Kunststoff gespritzt und
eigens zur Aufnahme der Stoßenergie des Körpers dimensioniert.
Beim
Rover 2000 TC (und auch beim 2000) sehen wir zum erstenmal im
Automobilbau, daß die Insassen durch konstruktive Maßnahmen relativ sicher
"verpackt" werden.
Handliche
Bedienungsorgane
Das
Instrumentarium ist nicht sachlich gestaltet. Besonders das zum
sportlichen Fahrzeug nicht passende Bandtachometer ist kein besonders
gelungenes Stück. Bei hohen Geschwindigkeiten sind die Werte mit einem
Blick kaum ablesbar. Wir hätten bei diesem sportlichen Fahrzeug ein rundes
Tachometer mit großem Zeiger vorgezogen. Auch der Drehzahlmesser fehlt.
Sehr
gut ist die sportliche und exakte Schaltung. Das Lenkrad ist in der Höhe
in einem bescheidenen Bereich verstellbar. Diese Verstellung ist besonders
angenehm, wenn man Winterbekleidung trägt. Die geknickte, kurze Lenksäule
ist nach dem heutigen Stand der Technik im Falle eines Falles die denkbar
sicherste Lösung.
Die
Bedienungsorgane sind sehr handlich und logisch durchdacht. Der
Abblendschalter ist klugerweise nicht "automatisiert", mit der Hand
betätigt wird die Abblendstellung, mit dem Tastsinn beim Anschlag
wahrgenommen. Das blaue Kontrollicht ist somit nur eine zusätzliche
Sicherheitsmaßnahme.
Die
Pedalanordnung ist geradezu ideal. Das Gaspedal ist leichtgängig und
durchaus präzise zu betätigen. Das Überwechseln auf die Bremse kann dank
der guten Anordnung der Pedale leicht und sicher bewerkstelligt werden.
Die Handbremse ist sehr handlich, doch reicht die Wirkung kaum aus, um das
Fahrzeug an einem steileren Gefälle zu arretieren. Sehr klug ist die mit
der Ölstandskontrolle kombinierte Handbremskontrolleuchte. Der
handbetätigte Choke wird ebenfalls optisch kontrolliert.
Der
Außenspiegel ist ungünstig angeordnet, seine Benutzung ist nur möglich,
wenn man durch das ungewischte Feld der Windschutzscheibe blickt. Das ist
zwar ein kleiner, leicht zu behebender, aber echter Fehler, da der
Außenspiegel gerade dann seine Funktion nicht erfüllt, wenn er am meisten
benötigt wird: bei Regen und Schnee.
Optimale
Fahreigenschaften
Dank
der körpergerechten Anordnung der Bedienungsorgane und der bequemen
Schalensitze fühlt man sich bei der Fahrt im Rover im Nu zu Hause und
gewöhnt sich auch an die "Verpackung". Schon nach kurzer Zeit hat man ein
Fahrgefühl wie nur bei sehr wenigen Fahrzeugen. Vor allem spürt man
sozusagen den echten Bodenkontakt der Räder. Ob starke Beschleunigung,
scharf gefahrene Kurven, Schlaglöcher oder Rumpelstrecken, Windböen oder
Notbremsungen, die Räder haften unter den extremsten Bedingungen absolut
sicher auf der Fahrbahn.
Die
Bremsen sind überaus wirksam. Verzögerungswerte bis 100 Prozent g sind
leicht zu erreichen, wobei der Wagen absolut spurtreu bleibt. Die auf dem
Boden vollkommen haftenden Hinterräder blockieren nicht, der Wagen bricht
selbst bei Schreckbremsungen mit dem Heck nicht aus. Die Dosierbarkeit der
Bremsung ist optimal. Bei starker Inanspruchnahme und Erwärmung der
Bremsen ist das Fading kaum zu merken. Die ideale Funktion ist nicht
allein den Dunlop-Scheibenbremsen zu verdanken, sondern vor allem der
konstruktiv aufwendigen Radaufhängung. Die hinteren Scheibenbremsen sind
innen am abgefederten Differential angeordnet, wodurch die ungefederte
Masse gering, der Bodenkontakt der Räder sehr gut ist. Die Hinterräder
sind beim Einfedern zwar sturzkonstant, die Spur ändert sich dabei
geringfügig.
Das
Fahrverhalten ist in jeder Situation vollkommen neutral. Auch die Federung
ist ideal, sowohl auf guter als auch auf schlechter Fahrbahn. Nicht zu
weich, dabei schluckt die Federung tiefe Schlaglöcher und alle
Unebenheiten derart, daß man weder an der Lenkung noch auf dem Sitz irgend
etwas davon wahrnimmt.
Die
Leistung des kräftigen Motors ist unter allen Bedingungen leicht und
mühelos auf die Straße zu übertragen. Nicht nur das günstige
Leistungsgewicht, sondern auch dieser Umstand, daß die auf dem Boden
sicher haftenden Räder jede Leistung zu übertragen fähig sind, trägt dazu
bei, daß das Fahrzeug in jedem Geschwindigkeitsbereich sportliche
Beschleunigungswerte aufzeigt.
Mit
viel Sorgfalt wurde die leistungsfähige Heizung entworfen und ausgeführt.
Sie ist stufenlos und leicht regelbar, der Lüfter arbeitet geräuschlos und
kann auch kalte Frischluft fördern. Die Frischluftzufuhr ist reichlich, so
daß die Ausstellfenster an Bedeutung verlieren.
Bei
geschlossenen Ausstellfenstern ist das Fahrzeug, selbst bei hohen
Geschwindigkeiten, sehr leise: wir haben bei 100 km/h 76 db, bei 140 km/h
78 db und bei 160 km/h 81 db gemessen. Allerdings sind die Windgeräusche
bei offenen Ausstellfenstern sehr stark.
Die
Beleuchtung - Abblendlicht und Fernlicht - ist sehr gut und für das
besonders schnelle Fahrzeug bemessen. Hübsch und angenehm sind die vorn
angebrachten Kunststoffprismen, die außer der ständigen Kontrolle der
Funktion des Lichtes abends auch als Leuchtpeilecken beim Einparken
wirken.
Der
Rover 2000 ist völlig windunempfindlich. Selbst heftige Seitenwindböen
bringen das Fahrzeug nicht vom Kurs.
Der
Rover 2000 TC ist ein Fahrzeug für Kenner. Bequem, robust konstruiert mit
geradezu idealer Straßenlage, so daß nichts passiert. Dabei wurde alles
eingebaut, daß, wenn etwas passiert, womöglich nichts passiert. Das heißt,
die innere Sicherheit ist nach dem heutigen Stand der Technik maximal
gewährleistet. Dabei sind Straßenlage, Beschleunigungsfähigkeit, die
denkbar besten Bremsen und präzise Lenkung eine Gewähr dafür, daß wirklich
keine technischen Überraschungsmomente auftreten, sofern der Fahrer im
Rahmen der menschlichen Möglichkeiten bleibt.
0 bis 100 km/h 13,9 Sek.
Höchstgeschwindigkeit 175
km/h
Verbrauch bei 100 / 140
km/h: 8,5 / 13,8 l/100 km
Auto-Touring / Österreich Februar 1967
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